# taz.de -- Knete im Kopf | |
> KUNST Dr. Motte, Harald Juhnke, Klaus Kinski: Karlotta Knetkowski bastelt | |
> berühmte Persönlichkeiten im Kleinformat nach und fotografiert sie dann. | |
> Damit hat die 29-Jährige die wohl schönste Hommage an Berlin der jüngsten | |
> Zeit geschaffen | |
Bild: Promis, die nerven, kann man dank Karlotta Knetkowskis Methode flugs im G… | |
Von Christian Schlodder | |
In einer Stadt wie Berlin, in der man denkt, alles irgendwie schon mal | |
gesehen zu haben, fällt es oft schwer, für viele Dinge die nötige | |
Begeisterung aufzubringen. Vor allem, wenn diese Dinge auf den ersten Blick | |
scheinbar banal daherkommen. Eine, die dieses Bild zurechtrücken könnte, | |
ist Linda Jacobsen alias Karlotta Knetkowski. Die 29-Jährige knetet | |
Persönlichkeiten der Zeitgeschichte nach und trifft damit einen Nerv, der | |
sie wohl selbst mehr überrascht als alle anderen. Vor Kurzem erschien ihr | |
erster Bildband, „Berlin Knetografie“, der gerade dabei ist, ein | |
originelles Stück Hauptstadt-Kulturgeschichte zu werden. | |
Dabei fing alles mit einem Zufall an. Vor sieben Jahren lief sie in einem | |
Spielwarenladen an handelsüblicher Kinderknete vorbei. „Sie hat diesen | |
unverwechselbaren muffigen Geruch und ist dazu weich und elastisch. Das | |
erinnert sofort an die eigene Kindheit“, sagt sie. | |
## Einfach mal ausprobiert | |
Sie kaufte eine Packung und begann, mithilfe eines Küchenmessers den Sänger | |
Morrissey zu kneten – einfach nur, um etwas auszuprobieren. Über die Jahre | |
kamen so illustre Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt nebst seiner Gattin | |
Loki, David Bowie, Albert Einstein, Harald Juhnke, Klaus Kinski und viele | |
weitere hinzu. Von den Materialien für ihre Figuren ist sie bis heute nicht | |
abgewichen, auch wenn die Kostüme aufwendiger geworden sind und Knetkowski | |
die Körper mittlerweile von innen mit Ton verstärkt, damit die Figuren | |
besser stehen. | |
Es ist erstaunlich, wie man mit Knete und lediglich einem Messer derart | |
detaillierte, lediglich 16 bis 23 Zentimeter kleine Abbilder schaffen kann. | |
Bei Knetkowski sitzt jeder Tränensack, jede Falte, und bei Sven Marquardt, | |
dem berühmten Türsteher des Clubs Berghain, sogar das Gesichtstattoo. Diese | |
Detailtreue hat sie sich über die Jahre autodidaktisch erarbeitet. | |
Knete als Material war für sie kein zufällig gewähltes Material mehr, | |
sondern ein Zeichen der Vergänglichkeit; genau wie ihre lebenden Vorlagen | |
selbst. „Früher habe ich nur Leute geknetet, mit denen ich mich in | |
irgendeiner Form identifizieren konnte.“ Für den Bildband musste diesen | |
Anspruch etwas zurücknehmen. Dennoch hat sie nur Leute nachgebildet, die | |
für irgendwas stehen und eine gewisse Persönlichkeit haben. „Ich würde auch | |
nie einen Trash-TV-Star wie Daniela Katzenberger oder einen mir komplett | |
unbekannten Menschen, mit dessen Charakter und dessen Geschichte ich mich | |
unter Umständen nicht auseinandersetzen kann, nachkneten – für kein Geld | |
der Welt“, betont Karlotta Knetkowski. Zu Anfang ihrer Knetkarriere | |
arbeitete sie noch im Musik- und Medienmanagement. Später entschied sie | |
sich für einen Teilzeitjob in einem Callcenter, um „genug Gehirnkapazität | |
für meine Kunst zu haben“, wie sie heute sagt. | |
Mit dem Kneten allein war es aber nicht genug. „Ich ging Stück für Stück | |
dazu über, berühmte Personen zu kneten, um sie anschließend fotografieren | |
zu können, da mir das im echten Leben ja verwehrt bleibt.“ Die Vorlagen | |
bekommen einen Abzug ihres Knet-Alter-Egos. „Hinzu kommt auch, dass einige | |
reale Vorlagen meiner Figuren nicht mehr leben. Meine Freunde und Familie | |
kann ich ja jeder Zeit fotografieren, weshalb ich nie das Bedürfnis hatte, | |
sie zu kneten, um sie dann in an Orte zu stellen und anschließend | |
abzulichten“, sagt Knetkowski. | |
## Post vom Exkanzler | |
Ebendiese Freunde und ihre Familie bedrängten sie zusehends, mit ihren | |
Figuren an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch Knetkowski blieb skeptisch, ob | |
ihre Kunst die Leute interessiert und ob sie erkennen würden, dass sie | |
nicht einfach nur wahllos berühmte Vorlagen nachformte. All das änderte | |
sich, als sie Post von Exkanzler Helmut Schmidt bekam, der sich herzlichst | |
für die nachgeknetete Szenerie bedankte, die ihn mit der damals schon | |
verstorbenen Loki zeigte. „Das war wirklich Wahnsinn. Da habe ich zum | |
ersten Mal gemerkt, dass man als einfaches Mädel aus Prenzlauer Berg mit | |
etwas Kinderknete eine Verbindung zu einem Altkanzler herstellen kann.“ | |
2012 stellte sie erstmals öffentlich Bilder ihrer Knetfiguren aus – in der | |
„Ankerklause“. Das Echo war überwältigend. Ihre Kunst, die für sie als | |
einfaches Hobby begann, wurde plötzlich wertgeschätzt und gefragt. Doch | |
Karlotta Knetkowski zweifelte an der Kunstmaschinerie, weshalb sie sich mit | |
der Ankerklause auch für eine Bar und bewusst gegen eine Galerie entschied. | |
„Obwohl ich sehr kunstinteressiert bin, finde ich Galerien irgendwie | |
menschenfeindlich. Klar braucht es auch Kundschaft, die das alles trägt. | |
Aber wenn das der einzige Sinn und Zweck des Ganzen ist, gibt mir das | |
nichts“, sagt sie. | |
## Der DJ vor der Siegessäule | |
Kurz darauf kam ein Verlag auf sie zu und bat sie, Berlins Persönlichkeiten | |
geknetet in Szene zu setzen. 25 neue Figuren erschuf sie dafür. 25 | |
zusätzliche Persönlichkeiten, denen sie sich Stück für Stück nähern konnt… | |
Ihre Lieblingsknetfigur wurde dabei Dr. Motte, den Mitgründer der | |
Loveparade, den sie vor der Siegessäule posieren lässt. „Das war mein | |
persönlichster Moment. An einem Sonntagmorgen lief ich die Straße des 17. | |
Juni entlang und erinnerte mich an die alte Loveparade. Das hat mich in | |
diesem Moment etwas elektrisiert. Es hat sich für mich so angefühlt, als ob | |
sich ein Kreis für mich schließt.“ | |
Knetkowski hat es mit ein paar in Schwarzweiß fotografierten Knetfiguren an | |
Berliner Orten geschafft, etwas zu transportieren, was für sich spricht. So | |
braucht es auch keine weiteren Erklärungen, wenn sie beispielsweise den | |
gekneteten Harald Juhnke vor seiner Lieblingskneipe „Präpel-Eck“ im Wedding | |
und Klaus Kinski vor der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Szene setzt. | |
## In ganz neuem Licht | |
Berlin wurde sehr oft fotografiert. Über Berlin wurde nahezu alles erzählt. | |
Mit ihrem aktuellen Bildband hat es Karlotta Knetkowski allerdings | |
geschafft, Personen und Ecken, von denen man bisher dachte, alles schon | |
einmal gesehen, alles schon einmal gehört zu haben, in ein komplett neues | |
Licht zu rücken. Ab und zu reicht eben auch so etwas Banales wie | |
Kinderknete, um zu erkennen, dass über diese Stadt vielleicht nie alles | |
erzählt sein wird. | |
4 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Schlodder | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |