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# taz.de -- Täglich grüßt das Murmeltier
> FILMPREIS In Berlin wurden am Freitagabendauf einer Galavon der Deutschen
> Filmakademie Filmschaffende wie Sebastian Schipper („Victoria“) mit Lolas
> ausgezeichnet
Bild: Preiswürdig: Frederick Lau und Laia Costa in Sebastian Schippers „Vict…
VON CRISTINA NORD
Nach drei Stunden Gala, das heißt: nach zahlreichen Dankesreden,
Clip-Einspielungen und freudig in die Luft gereckten Lolas, nach einer keck
verschleppten Laudatio von Michael Gwisdek, nach mehreren Appellen –
Staatsministerin Kultur Monika Grütters (CDU) fordert mehr Frauen in den
Entscheidergremien der Filmförderanstalt und mehr Wahnsinn nach dem Vorbild
Werner Herzogs, Laura Poitras fordert Asyl für Edward Snowden in
Deutschland, Katja Riemann fordert mehr interessante Frauenrollen, und Til
Schweiger fordert mehr Lolas für Til Schweiger – nach drei Stunden also,
die man im Berliner Palais am Funkturm bei der Verleihung der deutschen
Filmpreise ausgeharrt hat, geschieht etwas sehr Eigentümliches. Der Abend
beginnt von vorn.
## Fernsehen hat Vorrang
Schuld ist ein Aufzeichnungsfehler, der sich am Anfang zugetragen hat, und
weil das Gelingen der Fernsehübertragung Vorrang vor dem Geschehen im Saal
hat, wird ein Teil der Gala wiederholt. Jan Josef Liefers, der Moderator,
ist also noch einmal in einem Clip zu sehen, wie er, als Hotdog verkleidet,
Jürgen Vogel begegnet, in ihm einen Rivalen erkennt und ihn ausbootet, er
kommt noch einmal auf die Bühne, wiederum im Hotdog-Kostüm, er reißt sich
noch einmal das Brötchen, die Wurst und den Ketchup vom Leib, er singt noch
einmal die kurzen Musikstücke nach bekannten Melodien, zum Beispiel „Hey
Jack, lauf doch nicht weg“ nach der Melodie von „Hey Jude“, bis schließl…
jede der sechs Produktionen, die in der Kategorie bester Spielfilm
nominiert sind, ihr Ständchen bekommen hat, und er ruft noch einmal die
Laudatoren auf die Bühne, die die erste Lola überreicht haben, Charly
Hübner und Milan Peschel.
## Bebende Wirklichkeit
Alle, mit denen ich später auf der Party darüber spreche, fürchten in
diesem Augenblick, dass Peschel und Hübner tatsächlich noch einmal um die
Ecke biegen, dass alles wieder von vorne beginnt und man gefangen ist
zwischen den rigide aufragenden Wänden und den furchteinflößenden rechten
Winkeln des Palais, in einer Zeitschleife, die niemals endet. Und wer weiß,
vielleicht ist es ja ein gutes Zeichen, wenn es der Deutschen Filmakademie
und der von ihr ausgerichteten Gala gelingt, einen in einen Zustand zu
versetzen, in dem der sichere Boden der Wirklichkeit für einen Augenblick
zu beben beginnt, weil man sich plötzlich alles vorstellen kann, oder wenn
schon nicht alles, so doch zumindest den Einbruch der Fiktion in die
wirkliche Welt. Dann bleibt dieser Einbruch doch aus, und der Abend beginnt
nicht von vorn, sondern geht seinem Ende entgegen, was auch gut ist,
schließlich sind alle im Saal entkräftet.
Mit der bronzenen Lola wird „Zeit der Kannibalen“ (Regie: Johannes Haber)
geehrt, mit der silbernen „Jack“ (Regie: Edward Berger) und mit der
goldenen „Victoria“ (Regie: Sebastian Schipper). Es ist die sechste Lola
für diesen Film, der damit der Gewinner des Abends ist; Laia Costa wurde
zuvor als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet, Frederick Lau als bester
Hauptdarsteller, Sebastian Schipper als bester Regisseur, Sturla Brandt
Grøvlen als bester Kameramann und Nils Frahm als bester Filmmusiker.
Nichts anderes war zu erwarten, besitzt „Victoria“ doch das „Quäntchen
jener wilden Verwegenheit“, von dem die Staatsministerin anfangs schwärmte.
Dass die mehr als zwei Stunden währende, in einem Take gedrehte
Kraftanstrengung, die von vier Berliner Driftern und einer spanischen
Drifterin erzählt, die im Morgengrauen in einen Bankraub schlittern, den
Geschmack der 1.700 Akademiemitglieder trifft, war von Anfang an spürbar.
Wenn man an zurückliegende Filmpreis-Verleihungen denkt, fällt auf, dass
diese, obwohl sie die Geduld strapaziert, souveräner wirkt. Weitgehend
verzichtet wird auf den passiv-aggressiven Tonfall, den so viele
Laudatorinnen und Moderatoren in den Vorjahren an den Tag legten, auf die
unglückliche Mischung aus Ironie und Missgunst, deren Bemühen um Witzigkeit
dem Feiern stets im Wege stand. Doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass
mit den Rahmenbedingungen etwas im Argen liegt, seit sich das
Bundesministerium für Kultur und Medien dazu entschlossen hat, das
Preisgeld in Höhe von fast Millionen Euro direkt der Filmakademie zukommen
zu lassen, damit sie es an sich selbst verteile. Eine Filmförderung, die
sich einem kulturellen, einem künstlerischen Auftrag verpflichtet fühlt,
ist und bleibt etwas anderes.
22 Jun 2015
## AUTOREN
Cristina Nord
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