# taz.de -- Klage gegen Abschiebung in „sicheres Drittland“: Illegale Einre… | |
> Als syrische Kurden hätte die Familie Mohamad eigentlich Anspruch auf | |
> Asyl. Weil sie aber über Zypern kam, droht ihr die Abschiebung dorthin. | |
Bild: Wehrt sich gegen Abschiebung nach Zypern: Familie Mohamad | |
Hamburg taz | Neulich hat Amad sich schlafend gestellt und sein Schwester | |
Zackey heimlich beim Klavierspielen gefilmt. Er sagt, es nervt ihn, wenn | |
sie auf ihrem E-Piano übt. Aber als er das Handyvideo zeigt, wird klar, wie | |
stolz er auf seine kleine Schwester ist. | |
Amad ist syrischer Kurde und gerde 18 geworden. Er geht auf die Hamburger | |
Nelson-Mandela-Schule und spielt Fußball beim TSG Bergedorf. Mit seiner | |
Schwester und seinen Eltern wohnt er in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in einer | |
Flüchtlingsunterkunft in Hamburg-Bergedorf. | |
Bis vor Kurzem waren sie zu fünft, der älteste Bruder ist gerade umgezogen. | |
580 Plätze gibt es offiziell in dem „Pavillondorf“ am Curslacker Neuer | |
Deich, Amad schätzt, dass bis zu 800 Menschen dort wohnen. | |
An einem niedrigen Tisch in einem der beiden Zimmer stehen zwei Sofas und | |
ein Klappbett, an einer Wand eine Kommode, an der anderen ein Schrank. | |
Darauf drei Koffer, griffbereit: Die Abschiebung ist jederzeit möglich. | |
Schon einmal haben Polizisten mitten in der Nacht an die Tür gehämmert, am | |
10. Februar war das, um drei Uhr morgens. „Sachen packen und sofort | |
mitkommen“, ordneten die Beamten an: Abschiebung nach Zypern. Über den | |
Mittelmeerstaat waren die Mohamads auf ihrer Flucht aus Syrien vor gut | |
einem Jahr in die EU eingereist, dorthin sollten sie zurück. Im Bus auf dem | |
Weg zum Flughafen schrieb Amad eine Whatsapp-Nachricht an seine | |
Mannschaftskollegen: „Wahrscheinlich sehen wir uns nicht wieder - wir | |
werden gerade abgeschoben.“ | |
Doch soweit kam es nicht. Amads Vater Selaheddin wehrte sich. Eher werde er | |
ins Gefängnis gehen, als mit seiner Familie in Zypern auf der Straße zu | |
leben, sagte er. Im Flugzeug weigerte er sich, Platz zu nehmen. „Sie wollen | |
uns gerade abschieben“, schrie er, um die anderen Passagiere aufmerksam zu | |
machen. „Wir wollen das nicht!“ Niemand reagierte. | |
Stattdessen nahmen die Abschiebebeamten den ältesten Sohn Dalsouz beiseite | |
und sagten, er solle seinen Vater überzeugen zu kooperieren. Aber der Vater | |
wollte nicht und als die Beamten versuchten, ihn mit Gewalt an seinen Sitz | |
zu fesseln, fing Schwester Zackey an zu weinen. Ihre Mutter wurde | |
ohnmächtig. Endlich erschien der Pilot. So könne er nicht fliegen, sagte er | |
zu den Beamten. Innerhalb von zwei Minuten müsse die Familie draußen sein, | |
damit er die Maschine starten könne. | |
So geschah es und seit einem Jahr wohnt Familie Mohamad nun am Hamburger | |
Stadtrand. In Deutschland sind sie nur geduldet. Alle zwei bis drei Wochen | |
müssen sie zur Ausländerbehörde und hoffen, dass ihre Duldung verlängert | |
wird. | |
Dabei hätten die Mohamads als syrische Kurden gute Chancen, in Deutschland | |
als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Um ein Asylverfahren in Deutschland zu | |
bekommen, muss man es allerdings schaffen, sich in keinem anderen EU-Land, | |
dass man auf der Flucht durchquerte, registrieren zu lassen. Sonst greift | |
das Dublin-Drei-Abkommen, dem zufolge das Land, in dem ein Flüchtling das | |
erste Mal den Boden der EU betritt, für sein Asylgesuch zuständig ist. | |
Deutschland ist also formal nie zuständig - es sei denn, jemand fliegt | |
direkt aus Syrien oder einem anderen Nicht-EU-Land nach Deutschland. Das | |
wiederum ist nur mit einem gefälschten Visum möglich, denn Deutschland ist | |
für Nicht-EU-Bürger visumpflichtig. | |
Für die Mohamads ist also Zypern zuständig, denn dorthin flohen Amads | |
Mutter Fayroz und ihr Mann Seladdehin Anfang der Neunziger Jahre mit ihrem | |
neugeborenen Sohn Dalsouz. Der Grund: Als Kurde war Selaheddin in Syrien | |
mehrmals festgenommen und schwer gefoltert worden. „Wie alle politischen | |
Gefangenen in Syrien wurde er systematisch den damals üblichen | |
Foltermethoden unterworfen“, steht in einem Bericht der Anwältin Cornelia | |
Ganten-Lange, die die Familie vertritt. Weiter steht dort: „Er wurde in | |
einen Reifen gezwängt, aufgehängt und mit Stöcken und Kabeln geschlagen, | |
mit Gewehrkolben geschlagen, mit Elektroschocks gefoltert und der Bastonade | |
(Schlägen auf die Fußsohle) unterzogen.“ | |
Selaheddin hatte im Gefängnis keinen Anwalt und keinen Kontakt zur | |
Außenwelt. Fayroz wusste nie, ob sie ihren Mann wiedersehen würde. | |
Panikanfälle, Verzweiflung und Alpträume machten sie krank. Doch die | |
syrischen Behörden und der Geheimdienst ließen ihnen auch nach Selaheddins | |
Entlassung keine Ruhe. In Syrien zu bleiben war keine Option. Die Familie | |
floh über die Türkei nach Zypern. | |
Dort bekamen die Mohamads Asyl und einen offiziellen Status als | |
Flüchtlinge. Der Vater fand Arbeit. Zwölf Jahre lang lebten sie in Nikosia. | |
Aber die meisten Zyprer mögen keine Ausländer. Einer Studie des | |
Europäischen Forschungsprogramms ESF zufolge wünschen sich die meisten ein | |
Einwanderungsverbot. | |
2002 ging Selaheddin also zurück nach Syrien, seine Frau und Kinder sollten | |
nachkommen. Aber am Flughafen in Aleppo wurde er verhaftet und für drei | |
Jahre festgehalten. Als er frei kam, floh die Familie erneut nach Zypern, | |
wo sie zumindest nicht um ihr Leben fürchten mussten. Dalsouz studierte | |
Architektur, Amad lernte Englisch und Zackey Klavierspielen. Nur mit der | |
zyprischen Wirtschaft ging es bergab. 2010 verlor Selaheddin seinen Job, | |
2013 stand die Republik kurz vor dem Bankrott. | |
„Von der Finanzkrise auf Zypern betroffen waren in erster Linie Ausländer | |
und Flüchtlinge“, schreibt das Auswärtige Amt. Als die Mohamads ihre Habe | |
verkauft hatten und die Miete nicht mehr zahlen konnten, kratzten sie ihr | |
letztes Geld zusammen und stiegen in ein Flugzeug nach Deutschland. | |
## Gegen Ablehnung des Asylantrags geklagt | |
In Hamburg beantragten sie Asyl, aber das Bundesamt für Migration und | |
Flüchtlinge lehnte den Antrag ab, ohne ihn inhaltlich zu prüfen. Ist ein | |
Asylbewerber über ein sicheres Drittland eingereist, wird nämlich bloß | |
ermittelt, welches Land zuständig ist. Die Behörde ordnete die Abschiebung | |
nach Zypern an. | |
Familie Mohamad klagt nun gegen die Ablehnung ihres Asylantrags und | |
beantragt den Aufenthalt aus humanitären Gründen. Eine Hamburger | |
Asklepios-Klinik bescheinigt Fayroz eine posttraumatische | |
Belastungsstörung, Depressionen und eine Persönlichkeitsstörung. Die | |
Gutachterin kommt zu dem Schluss, dass „eine Abschiebung aus | |
humanmedizinischen und ethischen Gründen nicht vertretbar“ ist. Das | |
Gutachten liegt der Ausländerbehörde vor, passiert ist nichts. | |
Die Klage auf Aufenthalt aus humanitären Gründen indes ist beim | |
Verwaltungsgericht anhängig, der Abschiebebescheid bleibt trotzdem wirksam: | |
„Wenn Dublin Drei greift, haben Klagen keine aufschiebende Wirkung“, sagt | |
Anwältin Ganten-Lange. Solange das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge | |
den Antrag nicht prüft, können die Mohamads also jederzeit abgeschoben | |
werden. | |
Amads Mannschaftskollegen vom TSG Bergedorf haben unterdessen eine | |
Online-Petition gegen die Abschiebung gestartet. In dem Video kommen auch | |
Amads Mitschüler von der Nelson-Mandela-Schule sowie deren Schulleiter zu | |
Wort. Die Wilhelmsburger Stadtteilschule hat vor zweieinhalb Jahren schon | |
einmal eine Abschiebung verhindert. Schulleiter Thorsten Scheffner nennt es | |
einen Skandal, dass die Schule schon wieder gegen eine Abschiebung kämpfen | |
muss. | |
Die Online-Petition indessen hat schon über 10.000 Unterschriften zusammen | |
und wurde an die Bürgerschaft verschickt. Bis auf einen Abgeordneten der | |
Linkspartei hat sich niemand dazu geäußert. | |
Mittlerweile liegt der Fall auch dem Eingabeausschuss der Hamburger | |
Bürgerschaft vor. Dort werden jeden Montag Bitten und Beschwerden von | |
Bürgern verhandelt, die gegen behördliche Entscheidungen vorgehen möchten. | |
Auch dort liegen, wie bei den Verwaltungsgerichten, viele solcher Fälle. | |
Die Akte Mohamad war bis jetzt noch nicht dran. Solange der Fall dort noch | |
liegt, können die Mohamads nicht abgeschoben werden. Aber jeden Montag kann | |
es soweit sein. | |
31 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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BGH-Urteil | |
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