Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Raacke & Aljinovic: "Ich traue Berlin alles zu"
> Dominic Raacke und Boris Aljinovic drehen gerade ihren 17. gemeinsamen
> "Tatort". Ein Gespräch in der Drehpause in einem Berliner Hinterhof über
> das Dasein als Tatort-Kommissar.
Bild: Partner: Boris Aljinovic und Dominic Raake
INTERVIEW DAVID DENK
taz: Herr Raacke, Herr Aljinovic, Dominic Raacke hat 2001 mal gesagt, dass
die ähnliche Stimmlage wohl Ihre größte Gemeinsamkeit ist. Stimmt das 2007
immer noch?
Dominic Raacke: Wir sind schon sehr unterschiedliche Typen - nicht nur
physisch, sondern auch, wie wir so drauf sind. Wie wir denken, wie wir
reden.
Im "Tatort" haben sich Ihre Figuren in den vergangenen sechs Jahren spürbar
einander angenähert.
Raacke: Unterschiedlichkeit und Nähe schließen sich doch gegenseitig nicht
aus. Natürlich sind wir uns über die Jahre nähergekommen - genau wie die
Figuren: Wir lagen ja sogar schon im selben Bett im letzten Film.
Boris Aljinovic: Nur frühstückend aber!
Warum wünscht man sich als Zuschauer bloß immer, dass sich in der Realität
widerspiegelt, was man im Fernsehen sieht?
Raacke: Der Zuschauer kennt ja nur die Rolle. Und deswegen interessiert es
ihn so sehr, ob man auch privat so ist, wie man sich im Fernsehen zeigt.
Hinter die Dinge sehen zu wollen, wissen zu wollen, ob das Haus echt ist
oder nur Kulisse, die von hinten mit Holzbalken abgestützt wird - das ist
doch ein zutiefst menschlicher Instinkt.
Andererseits gibts für einen Schauspieler ja kein schlimmeres Etikett als:
Der spielt immer nur sich selbst.
Raacke: Das ist der Zwiespalt, mit dem wir zu leben haben. Da haben wir
beide unsere Strategien entwickelt, damit umzugehen - indem wir nämlich
völlig andere Sachen machen: du am Theater, und ich versuche im Fernsehen
andere Rollen zu spielen, auch Mörder, wie neulich fürs ZDF.
Aljinovic: Klar ist der "Tatort" das Prominenteste, was wir machen, und
überlagert deswegen den Rest. Aber nur noch "Tatorte" zu drehen, das wäre
gruselig.
Raacke: Beziehungsweise nur noch "Tatorte" drehen zu können, weil man so
mit der Rolle verwachsen ist, dass man gar nicht mehr anders besetzt wird.
Was ist die häufigste Bemerkung, wenn Zuschauer Sie ansprechen?
Raacke: Sie sind ja viel größer als im Fernsehen.
Aljinovic: Das sagen sie zu mir nicht.
Raacke: Sondern was: Sie sind ja viel kleiner als im Fernsehen?
Aljinovic: Das sagen sie auch nicht. Mich grüßen die Leute immer mit "Na,
Herr Kommissar" und freuen sich diebisch drüber.
Raacke: Wenn ich mit meiner Tochter unterwegs bin, verteilt sie jedes Mal,
wenn ich erkannt werde, "Bingos". Wenn ich für jeden "Bingo" einen Euro
bekommen würde, wäre das gar kein schlechter Nebenverdienst.
Aljinovic: Dann würdest du viel mehr spazieren gehen.
Raacke: In der U-Bahn allerdings, wo es mir eher peinlich ist, angesprochen
zu werden, verstecke ich mich meistens hinter einem Buch - besonders wenn
gerade ein neuer "Tatort" gelaufen ist.
Aljinovic: Eigentlich ist Bahnfahren noch schlimmer. Da sitzt man rum, alle
sind kultiviert, und dann entwickelt sich ein Gespräch, das man nicht mehr
aufhalten kann.
Raacke: Mit dir oder über dich?
Aljinovic: Mit mir. Ungefähr so: "Na, Sie lesen da gerade wohl ein neues
'Tatort'-Drehbuch." Ja, ja. "Darf ich da mal einen kurzen Blick
reinwerfen?" Bitte! "Wie ist denn das Buch so?" Och, na ja, also ... Und
wenn man dann sagt, ich glaube, ich muss mir mal nen Kaffee holen: "Ich
komm mit." Nein!!
Raacke: Aber es gibt auch sehr diskrete Fans, etwa den, der mir neulich im
Flugzeug ein Briefchen geschrieben hat, weil er mich nicht beim Textlernen
stören wollte.
Klingt ein bisschen bieder.
Aljinovic: Der "Tatort" ist halt gutbürgerliches Familienfernsehen mit
Tradition, wo die ARD zeigt, was sie hat.
Gucken Sie privat auch "Tatort"?
Raacke: Ganz, ganz wenig. Wenn es sich ergibt, du Zeit und Lust hast,
schaltest du ein - und guckst es aber selten bis zum Ende an. Die meisten
in unserer Branche sitzen wesentlich weniger vor dem Fernseher als der
Durchschnittszuschauer.
Fernsehmacher sind also Fernsehvermeider?
Aljinovic: Hiesige fiktionale Produktionen guck ich letztlich immer als
Konkurrenzprodukt. Entspannen kann ich nur bei Tiersendungen.
Raacke: Zu unseren eigenen "Tatort"-Filmen haben wir nicht den nötigen
Abstand. Deswegen ist es gut, hin und wieder bei den anderen Kommissaren
reinzugucken, weil man das viel mehr auf sich selbst beziehen kann als das
eigene Produkt. Man analysiert viel kühler - sieht, was funktioniert und
was nicht und vor allem, warum.
Aljinovic: Beim Herstellen eines "Tatorts" prallen so viele
Einzelinteressen aufeinander, dass es äußerst schwer ist, unter diesen
Umständen einen Film herzustellen, mit dem alle zufrieden sind. Ich bin
schon froh, wenn ich das Gefühl habe, dass alle in diesem wabernden
Interessenapparat so halbwegs mit Humor dabei sind und denken: Die Richtung
stimmt.
Wie häufig hatten Sie in den 16 bereits gesendeten Fällen dieses Gefühl?
Raacke: Hundertprozentig gelungen ist keiner unserer "Tatorte". Ich glaube,
es waren so jeweils drei ziemlich gute und richtig schlechte Filme, der
Rest lag irgendwo dazwischen.
Aljinovic: Wir beide haben Filme wie "French Connection" im DVD-Regal. Wenn
man die anguckt und mit unseren vergleicht, kann man zu gar keinem anderen
Ergebnis kommen. Dieses Gefälle verliert man nie aus den Augen.
Raacke: Es ist Teil unseres Berufsbildes, mit dem Unfertigen, mit der
Unzufriedenheit fertig zu werden und daran zu arbeiten. Das lässt uns
laufen. Und wenn man irgendwann mal das Klingeln des Jackpots hören sollte,
würde man deshalb nicht aufhören, sondern sich sagen: So einen machen wir
noch mal.
Aljinovic: Das eigene Glücksgefühl darf kein Maßstab sein, weil es
trügerisch ist. Ich würde Disziplin und Glücksgefühl strikt trennen. Das
geht manchmal zusammen, aber die Welt ist eigentlich nicht dafür gemacht,
dass man nur fürs Glücksgefühl arbeitet. Denn man arbeitet auch für eine
Kontinuität. Der "Tatort" ist ein Produkt, das gepflegt werden will.
Warum sind Krimis so beliebt?
Raacke: Meine Theorie, warum Krimis, aber auch Ärzteserien so populär sind,
ist: Weil es um den Tod geht, in unserem Fall um Mord und Totschlag. Um
ganz böse Dinge, von denen wir wissen, dass es sie gibt und wir alle damit
irgendwann einmal konfrontiert werden: durch den Tod von Angehörigen oder
den eigenen. Krankheit und Verbrechen sind Tabuthemen, die wir mit Krimis
auf eine unterhaltsame Weise berühren.
Also Themen, mit denen wir außerhalb des Fernsehens möglichst nichts zu tun
haben wollen.
Raacke: Um Gottes Willen! In was für Situationen wir in unseren Rollen
geraten: Ob das das Überbringen einer Todesnachricht ist oder jemanden vom
Springen abzuhalten. Was wir als Figuren in unseren Fällen an Elend,
Schrecken und Leid erlebt haben, ist ja schier unerträglich. Das Letzte,
was ich im wirklichen Leben sein wollte, ist ein Kommissar.
Haben Sie als Rüstzeug für Ihre Rollen auch den Kontakt zu echten
Kommissaren gesucht?
Aljinovic: Es gab ein paar Begegnungen, die ich sehr beeindruckend fand,
zum Beispiel mit einer Kommissarin, die sehr viel mit Kinderschutz zu tun
hat - Wahnsinn! Das hat nichts zu tun mit der Welt der Unterhaltung, die
daraus Opern macht. Wir sind Dilettanten, die auf dicke Hose machen. Man
sollte sich immer dessen bewusst sein, dass unsere Fälle ganz wenig mit dem
Alltag von Leuten zu tun haben, deren Job es ist, da draußen aufzuräumen.
Mit denen will keiner von uns tauschen.
Was zeichnet Berlin als Krimi-Standort aus?
Raacke: Ich traue Berlin alles zu. Jede Geschichte, die in Deutschland im
"Tatort" erzählt wird, kann in Berlin spielen, aber nicht jede am Bodensee.
Und diese Stadt sieht verdammt gut aus. Berlin hat die besten Schauplätze
Deutschlands. Was wir hier schon alles abgefilmt haben! Andere Tatorte
werden immer in derselben Fabrikhalle gedreht.
Aljinovic: Die ARD definiert die "Tatorte" als Heimatfilme. Jede Region
soll sich profilieren und sich dem Zuschauer präsentieren. Eine Haltung zu
Berlin im Film zu entwickeln, finde ich allerdings schwer. Einerseits
wollen wir der Hauptstadt-Krimi sein, andererseits ist der RBB auch
verpflichtet - denn auch das ist Berliner Realität -, den weitläufigen
Provinzialismus zu zeigen; die Kontrastreichheit diese Stadt ist größer als
woanders, und das kann man nur schwer fassen. Ein klares Statement zu
Berlin fällt uns viel schwerer als dem Regierenden Bürgermeister mit seinem
"Arm, aber sexy". Das wäre allerdings für 90 Minuten Tatort viel zu platt.
Marzahn und Hellersdorf, also der soziale Rand Berlins, kam bisher ein
bisschen kurz, oder?
Raacke: Stimmt. Das liegt an komischen Befindlichkeiten innerhalb der
Redaktion. Denn unserer Meinung nach soll der "Tatort" auch Geschichten von
dort erzählen und nicht nur aus Grunewald.
Aljinovic: Dominic und ich reagieren beide mit einer leichten Müdigkeit,
wenn wir im Drehbuch etwas von Mord in einer Villa lesen.
Raacke: "Derrick-Alarm!" schreibe ich dann immer an den Rand. Den Ehrenmord
als Thema macht jetzt wohl der NDR, obwohl das in Berlin passiert ist und
uns als Thema gut zu Gesicht gestanden hätte.
Woran liegt das?
Raacke: Das liegt auch an der Größe des Senders. Ein Riese wie der NDR
federt das ganz anders ab. Man darf auch nicht vergessen, dass die Losung
bei unserem Dienstantritt war: Bloß nicht auffallen!
Aljinovic: Es wäre schön, wenn wir nicht der schlechteste "Tatort" bleiben
würden, so bescheiden war die Zielvorgabe damals. Wir sind jetzt allerdings
so weit, dass wir schon ein bisschen mehr Selbstbewusstsein haben könnten:
Es gab ein paar richtig gute Filme und sogar schon mal eine Nominierung für
einen Preis.
Raacke: Von unserem erarbeiteten Standing in der "Tatort"-Welt könnten wir
uns Experimente erlauben. Den Mut würde ich der Redaktion wünschen.
Aljinovic: Da sind wir seltsamerweise gar nicht so weit auseinander, wir,
die wir so unterschiedlich sind.
14 May 2007
## AUTOREN
David Denk
## TAGS
Berlin
Tatort
## ARTIKEL ZUM THEMA
Letzter Berlin-„Tatort“ mit Boris Aljinovic: Gähnen statt Gänsehaut
Die Visionen einer Studentin werden wahr: Sein letzter Fall führt Kommissar
Stark in die Untiefen der Parapsychologie. Das ist leider ziemlicher
Quatsch.
Neuer Berliner „Tatort“: Tod in Hipster-Land
Eine Schlägerei im U-Bahnhof endet tödlich. „Gegen den Kopf“ führt uns
subtil und sehr gelungen die perverse Dynamik des Wegschauens vor.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.