# taz.de -- Social Sabbatical im Ausland: Hey Boss, ich brauch mehr Zeit | |
> Deutschlands Wirtschaft hat ein Vaterschaftsproblem: Seit Einführung des | |
> Elternzeitgesetzes 2001 bekunden immer mehr Väter Interesse, tatsächlich | |
> für ihre Kinder da zu sein, statt sich eine soziale Vaterschaft nur zu | |
> wünschen: drei Männer im Spannungsfeld zwischen Beruf und Familie | |
Bild: Am Strand liegen zur Entspannung? Nein, lieber Freiwilligenarbeit. | |
Es hätte schön sein können. Verspielte Tage mit seinem Sohn. Sandkuchen | |
backen. Über die Wiese kullern. Stöckchen suchen. Hätte. Alex Helmert | |
seufzt. | |
Die Erinnerung an jene düsteren Monate im Winter legt sich heute noch wie | |
die kalten Arme eines Kraken um seinen Hals. "Tu es nicht", hatten die | |
Kolle- gen den 37-Jährigen gewarnt. Nach vier Jahren guter Zusammenarbeit, | |
nach durchgeknüppelten Tagen und Nächten, trotz jahrelanger Loyalität | |
sollte er lügen, sich verbiegen? Alex Helmert ging hinauf in den zweiten | |
Stock des Backsteinbaus. Klopfte an die Tür des Chefzimmers. Sagte: "Ich | |
will Elternzeit nehmen." | |
Drei Monate später steht Alex Helmert auf der Straße. "Ein | |
Vaterschaftsproblem" hatte der Chef "die Sache" genannt. Ihn wieder und | |
wieder beiseite genommen. "Mensch, Helmert, überlegen Sie doch mal." | |
Nachts, wenn leise die Autos an seinen Fenstern vorbeirauschten, hämmerten | |
die Gedanken durch Helmerts Kopf. Ist es das wert? Alex Helmert merkt: Ja, | |
ist es. Ich will da sein für meinen Sohn. Will gemeinsam toben, entdecken, | |
in den Himmel schauen. Für mein Kind, für die Familie, für mich. Auch und | |
gerade als Mann. Helmert hat keinen Zweifel: "Es gibt wichtigere Dinge, als | |
immer nur zu arbeiten. Sechs Monate für ein Kind - das muss möglich sein." | |
"Sind Sie zur Vernunft gekommen?", hatte der Chef ihn noch gefragt. Dann | |
musste der Jurist seine Sachen packen. Die Vertragsverlängerung, bis dahin | |
eine Formsache, war gestorben. "Dass ein Vater Zeit für sein Kind haben | |
möchte, kam im Denken meines Vorgesetzten einfach nicht vor." Warum konnte | |
seine Frau, ebenso qualifiziert, in dem selben Großunternehmen problemlos | |
ein Jahr lang aussteigen, er nicht? | |
Bereut hat Helmert seine Entscheidung nie. Vier Monate war er ganz für | |
seinen Sohn da. Besuchte Pekip-Kurse und Spielgruppen. Als Arbeitsloser. | |
Gelohnt hat es sich trotzdem, sagt Helmert. "Sonst hätte ich heute nie so | |
eine enge Bindung zu meinem Sohn wie jetzt." Heute ist Helmert | |
selbstständig. Auch wenn sich die Arbeit in der Kölner Kanzlei oft türmt, | |
bleibt ihm genug Flexibilität, um immer wieder Stunden für seinen Sohn | |
herauszuschlagen. "Und das gehört für mich selbstverständlich zum Vatersein | |
dazu." | |
Das Bild von Vaterschaft ist im Umbruch. Nicht erst seit den neuesten | |
familienpolitischen Fanfarenstößen möchten sich immer mehr Männer nicht | |
mehr mit der alten Rolle des Familienernährers begnügen. "Wir beobachten | |
einen rasanten Wandlungsprozess im Selbstverständnis der Väter: vom | |
Brotverdiener zum Erzieher." Der Münchener Väterforscher Wassilios | |
Fthenakis kann diese Beobachtung mit den Daten einer repräsentativen Studie | |
belegen, die er im Auftrag des Bundesfamilienministeriums 2002 durchgeführt | |
hat. Demnach wünschen sich 67 Prozent der befragten Väter eine soziale | |
Vaterschaft - unabhängig von Bildungsgrad und sozialer Herkunft. | |
Keineswegs nur müde Lippenbekenntnisse: Seit Einführung des | |
Elternzeitgesetzes durch die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2001, das | |
beiden Eltern einen Rechtsanspruch auf Eltern(teil)zeit garantierte, ist | |
der Anteil von Vätern in Elternzeit um 250 Prozent gestiegen: von 1,5 auf 5 | |
Prozent. | |
"Wenn ich bei Vorträgen diese Zahlen aus dem Hut schüttle, lachen sich die | |
Frauen im Publikum immer noch kaputt", sagt Thomas Gesterkamp, | |
Vortragsreisender und Autor des Buches "Hauptsache Arbeit. Männer zwischen | |
Beruf und Familie". "Die Ungeduld ist groß. Dabei wird leicht übersehen, | |
wie deutlich sich hier ein Wandel abzeichnet." Vor allem in einem Punkt | |
erkennt Gesterkamp eine "neue Qualität": "Männer spüren jetzt zum ersten | |
Mal selbst das Spannungsfeld zwischen Beruf und Familie." | |
Immer häufiger schleichen sich Herren auf einer Veranstaltung zu Gesterkamp | |
und erzählen hinter vorgehaltener Hand von ihrer Unzufriedenheit mit der | |
traditionellen Arbeitsteilung und ihrer Angst, daran etwas zu ändern; von | |
dem einschüchternden Klima in der Abteilung, das es unmöglich mache, kürzer | |
zu treten; von den spitzen Bemerkungen der Kollegen, wenn es einer mal | |
wagt; von Auflösungsverträgen, die Kollegen mit Kinderambitionen | |
"angeboten" werden. | |
Die Barrieren für Väter im Berufsleben sind hoch. Gerade weil in den | |
Firmenfluren noch der männliche Habitus namens Anwesenheitskultur regiert, | |
aus dem Männer noch weniger als Frauen auszubrechen wagen. Gerade weil die | |
Unternehmen erst allmählich begreifen, dass sie auch Männer zunehmend aus | |
ihren "gewohnten Verfügbarkeitsfantasien" ausklammern müssen, wie es Stefan | |
Becker, Geschäftsführer der "Beruf und Familie GmbH" in Berlin, formuliert. | |
Seit 1999 checkt die Tochter der Hertiestiftung Unternehmen auf ihre | |
Familienfreundlichkeit. | |
Allein mit familienfreundlichen Programmen und aufgeblasenen | |
Work-Life-Balance-Paketen zu wedeln bringt freilich wenig. "Oft jammern die | |
Vorstände: 'Die Männer nehmen unsere Angebote nicht an'", resümiert die | |
Münchener Beraterin Sabine Asgodom. "Dann erkläre ich ihnen: Solange aus | |
den oberen Etagen keiner selbst diese Programme wahrnimmt, wird sich nichts | |
daran ändern. Denn sie signalisieren: Familienfreundlichkeit ist was fürs | |
Fußvolk. Nichts für Menschen mit Aufstiegsambitionen." Freilich, es sind | |
nicht nur die Barrieren der Arbeitswelt, über die Väter stolpern. Noch | |
lange sind die neuen Rollen nicht klar definiert, die der Väter ebenso | |
wenig wie die der Mütter. Ein Schlingerkurs zwischen Selbst- und Fremdbild, | |
bei dem mancher wieder in klassischen Rollen landet. | |
Für Florian Häuser etwa war die Elternzeit eigentlich abgemachte Sache. Wie | |
soll es auch anders sein für einen, dessen Selbstbild sich im grünen Milieu | |
zu einem modernen Ich geformt hat? Eine Art "Heile-Welt-Film" aus der | |
Abteilung alternative Lebenskonzepte. Verträumte Nachmittage im Kiez, ein | |
Alltag im Pendelschwung zwischen Bioladen, Spielplatz und großem Hallo | |
kinderwagenschiebender Vaterglückseligkeiten. Dann die Diskussionen mit der | |
Freundin. Er: "Ich nehme Elternzeit. Du gehst schnell wieder arbeiten." | |
Sie: "Auch ich möchte eine Auszeit. Mindestens ein Jahr." | |
Als Häusers Tochter Emilie ein Jahr alt ist, hat der heute 38-Jährige | |
gerade einen Karrieresprung hinter sich. Der Referent in einem Münchener | |
Medienhaus ist zum Gruppenleiter geworden. Zum Auftakt sagt der | |
Personalleiter: "Wir können doch davon ausgehen, dass Sie keine Elternzeit | |
nehmen?!" Florian Häuser wagt nicht, zu widersprechen. Weil er ahnt: Das | |
kann ich mir bei der Arbeitsmarktsituation nicht leisten. Weil er merkt: | |
Ich bin erleichtert. Im Grunde meines Herzens will ich mich auf die | |
Ernährerrolle beschränken. Will den unstrukturierten Dauerstressalltag mit | |
Kind gar nicht, den ich bei meiner Frau beobachte. Häuser hat sein | |
politisch korrektes Gewand in die Ecke geschleudert. | |
"Authentisch", sagt er, sei er geworden. Und er traut sich, zu seiner Form | |
der Vaterschaft zu stehen, die zum Glück auch seine Frau akzeptiert: der | |
Freizeitpapa, der mit seiner Tochter eine Hafentour macht. Der | |
Ab-und-zu-Alltagspapa, der beim Lesen, Schreiben, Verstehen hilft. Der | |
Papa, der von acht bis 18 Uhr weg ist, aber dann da, mit Freude. Sicher | |
hätte er gerne mal mehr Zeit für seine Tochter. Aber er hat seine Rolle | |
gefunden. Mehr noch als die hässlichen Signale der Arbeitswelt ärgern | |
Florian Häuser die "unaufrichtigen Gockelrufe vieler Väter in meinem | |
Umfeld, die hehre Bilder moderner Vaterschaft vor sich her tragen und dann | |
sagen: Bei mir geht das leider nicht." | |
Männerforscher Gesterkamp kennt diese Haltung: "Manche verbergen sich ganz | |
gern hinter dem einschüchternden Klima der Arbeitswelt." Nach Einschätzung | |
des Münchener Forschers Fthenakis liegt die Krux häufiger in den | |
desaströsen Rahmenbedingungen, die die oft besser verdienenden Männer in | |
eine Rolle treiben, die zu schweren inneren Konflikten führe: "Das deutsche | |
System verhindert die Umsetzung von Vaterschaft und belastet die Mütter. | |
Wir müssen endlich aufhören, die Familie als Privatsache zu betrachten und | |
die Suche nach Lösungen den Einzelnen zu überlassen. Und wir brauchen | |
endlich eine Debatte über den Wert von Mutter- und Vaterschaft in diesem | |
Land." | |
Und wenn auch hierzulande die Debatten zäh durch die Gazetten fließen, sich | |
selbst ernannte Mediengurus in Emanzenschelte und biologistischen | |
Familienvisionen von vorgestern verbeißen, statt "Visionen von Familie zu | |
entwickeln, die eine Pluralität der Lebensmodelle zulassen" (Fthenakis), | |
scheint ein klein wenig Bewegung in die Unternehmenswelt zu kommen. | |
Julian Griebe hat einen Hauch von Tauwetter am eigenen Leib erlebt. Als der | |
Internist den Antrag auf Elternteilzeit in die Hauspost schob, war er auf | |
das Schlimmste gefasst. Würde er ab Januar in der ungeliebten Ambulanz des | |
Krankenhauses Dienst schieben müssen? War nicht gerade erst ein Oberarzt | |
nach der Elternzeit zum Stationsarzt degradiert worden? Drei Jahre später | |
sitzt Julian Griebe im Biergarten hinter dem Kanzleramt und schaut seinem | |
Sohn zu. Der Wind treibt durch die Wipfel der Kastanien, golden schimmert | |
das Pils im Sonnenlicht. "Guck mal", ruft Laurin und saust bäuchlings die | |
Rutsche hinab. Griebe lächelt, applaudiert. "Sagenhaft." Die Elternzeit ist | |
lange vorbei. Ein halbes Jahr lang hat er sie mit seiner Frau geteilt. | |
Morgens vier Stunden Klinik, mittags eintauchen in die Kinderwelt. Oft ein | |
Stress, wenn sich die Patienten nicht nach seinen fixen Abmarschzeiten | |
richten wollten. | |
Und dann das: "Glückwunsch, Herr Griebe. Genießen Sie die Zeit", hatte der | |
Chef gesagt. Und ihn auf einen interessanteren Posten versetzt. Gegangen | |
ist Julian Griebe trotzdem. Freiwillig. Zwei Jahre später. Hat Forschung | |
und 50-Stunden-Woche mit einem Job anderswo getauscht. Es gibt weniger | |
Geld, aber bessere Arbeitszeiten. Interessante Aufgaben, aber weniger | |
Hahnenkämpfe um die beste Veröffentlichung. "Ich habe gemerkt: Ich möchte | |
etwas von meinem Sohn haben, ihn ins Leben begleiten. Und das geht nur mit | |
mehr Zeit für ihn und weniger für die Karriere - dauerhaft." Irgendeinen | |
Preis hat es eben immer. | |
Die Namen der Väter wurden auf ihren Wunsch anonymisiert | |
24 May 2006 | |
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