# taz.de -- Elektro-Festival: Sag ja zum nächsten Exzess | |
> Das Sonar ist zu Ende - das wichtigste Festival für elektronische Musik. | |
> Ein Ereignis von grobem Reiz und feinster Subtilität - zwischen | |
> Ambient-Metal und Detroit-Nostalgie. | |
Bild: Finnischer Disco-Schweinerock: Accu | |
Es hatte etwas von einer Epiphanie. Das eigentliche Sonar Festival war seit | |
Stunden vorbei, es war Sonntagnachmittag an einem der wunderbaren Strände | |
ein paar Kilometer jenseits der Stadtgrenze. Im Abstand von einigen hundert | |
Metern finden zwei der zahllosen Sonntagnachmittagspartys statt, mit denen | |
die diversen Labels sich traditionell vom Sonar verabschieden. Die Sonne | |
schien, angenehmer Minimal Techno pumpte über den Sand und hunderte von | |
Menschen tanzten. | |
Nach all der Musik, die man sich in den drei vorangegangenen Tagen gehört, | |
all den Produzenten, denen man zugeschaut und Menschen, die man gesprochen | |
hatte, brach die Restrealität in die Wahrnehmung ein. Jene Nachricht, die | |
vor einigen Tagen bei der Berichterstattung aus dem Gaza-Streifen | |
abgefallen war. Dass die Hamas angeordnet habe, dass Frauen nur noch | |
verschleiert baden dürften. Und für einen Augenblick sieht man es vor sich, | |
auf was für einem zivilisatorischen Hochplateau eine Veranstaltung wie das | |
Sonar stattfindet, was für große Momente Nachmittage wie dieser in der | |
Geschichte der Menschheit markieren. Was für eine Kunst es ist, all die | |
groben Reize, denen man hier ausgesetzt ist - Nacktheit, Drogen, Bass, | |
Alkohol, Hitze - in so viel feine Subtilität umzusetzen: Lachen, Tanzen, | |
Blicke, Gespräche. An einem Ort, der so öffentlich wie einladend ist. | |
Denn das Sonar mag das wichtigste Festival für elektronische Musik sein - | |
doch dass dies so ist, hat sehr viel damit zu tun, dass die Veranstaltung | |
während ihrer drei Tage so umfassend in die Stadt hineinzuwuchern vermag: | |
in die Clubs, wo jedes Label, das etwas auf sich hält, Showcases | |
veranstaltet, an die Strandbars oder schlicht auf die Straßen. Und damit, | |
dass die Stadt dies zulässt - weniger bereitwillig als in den letzten | |
Jahren zwar, frisch verabschiedete Gesetze zur Beförderung der | |
"Bürgerlichkeit" führten dieses Jahr zu mehr als einer Polizeiaktion gegen | |
Partys am Strand. Doch für das große Sehen und Gesehenwerden, Hören und | |
Gehörtwerden, von dem ein solches Festival lebt, bildet Barcelona nach wie | |
vor den passenden Echoraum. | |
Und nach dem etwas planlosen Sonar des vergangenen Jahres, hatten die | |
Veranstalter dieses Mal eine glückliche Hand: Noise hatten sie ihren | |
konzeptuellen Schwerpunkt überschrieben und Sunn O))) bildeten den | |
Hauptact. Viel ist über dieses amerikanisches Drone-Metal-Ambient-Duo schon | |
geschrieben worden. Über den Mittelalter-Mummenschanz, den sie auf der | |
Bühne veranstalten, die sie in Mönchskutten gewandet betreten. Über das | |
scheinbar ironische Verhältnis, das sie zu den klassischen Metalposen | |
pflegen, die sie in Superzeitlupe nachstellen, wenn sie etwa ihre Gitarren | |
heben oder auf die Knie sinken. Tatsächlich kann einen aber wenig | |
vorbereiten auf die überwältigende Macht des Sounds, der man sich | |
ausgesetzt sieht, wenn das Konzert angefangen hat. | |
Nicht dass sonderlich viel passieren würde: Vor einer beeindruckenden Wand | |
aus Verstärkern und Boxen schichten Stephen OMalley und Greg Anderson | |
langsam Akkord auf Akkord, lassen die Klänge rückkoppeln und geben der | |
Rückkoppelung selbst einigen Raum zur nochmaligen Rückkoppelung. Das | |
dauert. Dazu hatten sie für den Auftritt in Barcelona noch einen Partner | |
angeheuert, der Unverständliches in ein Mikrofon gurgelte, irgendwo auf | |
halbem Weg zwischen gregorianischem Choral und Schrei der gequälten | |
Kreatur. Manchmal passierte auch minutenlang scheinbar gar nichts - außer | |
dass man fühlen konnte, wie die Klangwellen durch den Raum jagten und die | |
Körper der Anwesenden durchschüttelten. | |
Das hatte natürlich auch seine merkwürdigen Momente auf diesem doch sehr | |
dem Leben zugewandten Festival - aber hatte die Inquisition in Spanien | |
nicht länger und gründlicher gewütet als irgendwo sonst? Hatte es nicht bis | |
weit ins 19. Jahrhundert hinein gedauert, bis die katholische Kirche hier | |
überhaupt die Idee des Blutkreislaufs akzeptiert hatte? Der konnte durchaus | |
ins Stocken geraten, wenn man sich Sunn O))) anhörte, wie sie brutal laut | |
Klangwelle auf Klangwelle schichteten. Das war gleichzeitig freigebig, | |
offen und großzügig in all den Farben von Schmerz, die dieser Sound einem | |
zufügte. Aber eben auch diszipliniert und genau. | |
Tatsächlich handelte diese Musik im Kontext des Sonar aber auch von etwas | |
ganz anderem: dass sie nämlich unbedingte physische Präsenz verlangt. Nicht | |
nur als Bereitschaft, sich diesen Sound anzutun: Es macht schlicht keinen | |
Sinn, sich Sunn O))) auf Schallplatte anzuhören. Und wenn man all die | |
Fotohandys sah, die sich während des Auftritts in die Luft streckten, | |
wunderte man sich ein wenig, was ihre Besitzer sich wohl erhofften, mit | |
nach Hause zu nehmen. Ein bisschen Mittelalter-Rock? Dies ist eine Musik, | |
die ausschließlich live ihren Ort hat. Nur hier kann sie ihre physische | |
Gewalt entfalten. Undenkbar, sich diesen Sound über einen iPod anzuhören. | |
Sunn O))) machen Musik aus der Zeit nach dem Ende des Tonträgers. Würdevoll | |
und ernst gemeint kehrt sie in die Dunkelheit zurück. | |
Was fast genauso für Dubstep gilt, den aktuellen Klanghybriden des Londoner | |
Underground, die vorläufig letzte Emanation des britischen Hardcore | |
Continuum, wie es der Kritiker Simon Reynolds genannt hat, jener ständigen | |
Neumischung von Elementen aus Reggae, Rave und Hiphop, die den Sound der | |
britischen Hauptstadt seit gut zwanzig Jahren kennzeichnet. Mit Skream und | |
Kode 9 hatte das Sonar die wichtigsten Dubstep-Protagonisten eingeladen - | |
und was bei Sunn O))) die sich rückkoppelnden Rückkoppelungen sind, ist bei | |
Dubstep der Bass. Wer versuchen würde, dies im Wohnzimmer nachzustellen, | |
dürfte sein Haus zum Einsturz bringen. | |
Wenn man so will, illustrierte die Festivaltasche dieses Verschwinden des | |
Tonträgers auf das Schönste. Sosehr sie sich über die Jahre verändert hat, | |
immer war sie groß genug, dass man noch ein paar Maxi-Singles hineinstecken | |
konnte. Bis jetzt. Man bekam eine Herrenhandtasche: Ein Laptop passt rein - | |
Platten nicht mehr. Tatsächlich legten auch die meisten DJs nicht mehr | |
ausschließlich mit Vinyl auf, fast alle haben mittlerweile auch CDs dabei, | |
auf die sie ihre Tracks gebrannt haben. | |
Ausnahme: die Nostalgiker vom wunderbaren Modern Love Label aus England, | |
die an der großen Renaissance des Neunzigerjahre-Sounds von Detroit | |
arbeiten - dass dafür der erzlangweilige und steindumme Indie-Hiphop-Sound | |
endlich verklappt worden war, der einem zuletzt so manchen Nachmittag auf | |
dem Festivalgelände vergällt hatte, nahm man beglückt zur Kenntnis. | |
Und nebenbei konnte man auch die eine oder andere Entdeckung machen: sei es | |
die finnische Band Accu, die man sich vorstellen kann wie die | |
Hetero-Variante der Scissor Sisters, schmierigster Disco-Rock aus der | |
Supermax-Schule, dargeboten von einem Sänger im rosa Rüschenhemd, dessen | |
Falsettgesang in direkter Verbindung mit seiner engen Hose zu stehen | |
schien. Sei es White, ein Noise-Duo aus Peking, bestehend aus einer Frau an | |
den Synthesizern (in dem Dokumentarfilm "Beijing Bubbles" ist sie noch in | |
der Band Hang On The Box zu bewundern), die sich mit einem Krachgitarristen | |
zusammengetan hat - und als man Whites sehr freie wie bezaubernde | |
Coverversion von "Heroin" hörte, freute man sich, dass Velvet Underground, | |
nachdem sie in den vergangenen vierzig Jahren zahllose Bands in der | |
westlichen Welt inspiriert haben, nun auch einen Resonanzboden in China | |
gefunden zu haben scheinen. | |
Auch einen Schwerpunkt mit elektronischer Musik aus Katalonien gab es - | |
hier musste man aber leider feststellen, dass sie bestenfalls in der | |
zweiten Liga spielt. Im Unterschied zu London oder Berlin, den anderen | |
europäischen Metropolen der elektronischen Musik, und in ihrer eigenartigen | |
Mischung aus wohlstandsgesättigter Bürgerschönheit und kaputtem Hedonismus | |
ist Barcelona vor allem eine Ausgehstadt. Wofür man nur einmal morgens um | |
sieben Uhr die Partymeile La Ramblas entlanglaufen muss: Eine treffendere | |
visuelle Umsetzung des einsetzenden Drogendowners als diese Straße lässt | |
sich nicht denken. Aggressive Zuhälter pöbeln einen an, man steigt über | |
betrunkene Engländer, die in der Gosse liegen, und versucht Müllwerkern aus | |
dem Weg zu gehen, die das Pflaster mit Wasserstrahlen für den nächsten Tag | |
säubern. Say Yes To Another Excess. | |
19 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Tobias Rapp | |
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Festival | |
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