# taz.de -- taz-Küche: Marmelade 2.0 | |
> Im Zeitalter der zunehmenden Marmeladen-Differenzierung hilft nur noch | |
> eins: Selbermachen. | |
Bild: Mmmmmmmarmelade | |
Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Marmelade Schnaps enthält. Das | |
fehlte gerade noch - obwohl dies im Rahmen der zunehmenden | |
Marmeladen-Differenzierung kein Wunder wäre: Wellness-Fruchtaufstriche ohne | |
Zuckerzusatz, Konfitüre Extra mit Pfirsichblüten, "Samt"-Editionen ("so | |
cremig fein, dass man ihn sogar dippen kann") und so weiter. In einem im | |
wahrsten Sinne des Wortes übersättigten Markt entsteht in der Regel eine | |
Produktexplosion - so dass man sich vor den entsprechend brüllenden Regalen | |
im Supermarkt fast schon genötigt fühlt, eine Sonnenbrille anzuziehen. | |
Eines jedoch ist sicher: Der Fruchtanteil der verschiedenen Aufstriche | |
nimmt zu und pendelt sich bei einem derzeitigen Mittelwert von 75 Prozent | |
ein, was einem werberelevant gefühlten Anteil von 120 Prozent entspricht. | |
Man könnte von einer Skandinavisierung des Marmeladen-Sektors sprechen - in | |
Schweden tendiert man seit je zu einer zuckerverdrängenden höheren | |
Fruchtkonzentration - wenn nicht schon der Begriff "Marmelade" unzulässig | |
wäre. Die "Konfitüren-Verordnung gemäß der Richtlinie 2001/113/EG des Rates | |
vom 20. Dezember 2001 über Konfitüren, Gelees, Marmeladen und Maronenkrem" | |
unterscheidet nämlich gestreng zwischen Konfitüre und Konfitüre extra. | |
Marmelade darf auf Drängen Großbritanniens nur noch solcher Brotaufstrich | |
genannt werden, der aus Zitrusfrüchten besteht. Ein Zugeständnis an jene | |
Nation, die die "Marmalade" erschuf: Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde | |
die Bitterorangenmarmelade von der schottischen Kaufmannsfrau Janet Keiller | |
erfunden, die erste Marmeladenmanufaktur wurde von selbiger Familie 1797 | |
gegründet. | |
In Deutschland hingegen entstand der Kult um die Marmelade als kritische | |
Antwort auf die Industrielle Revolution: Die Lebensreformbewegung der | |
vorletzten Jahrhundertwende strebte zurück in den Schoß von Mutter Natur, | |
deren Früchte sie zu diesem Zwecke in großen Töpfen mit Zucker verrührte - | |
reine Sitten und reine Marmeladen. | |
Das Selbermachen macht jedoch auch ohne ideologische Aufladung Spaß. | |
Gleichzeitig bewahrt es die KonsumentInnen vor dem unwissentlichen Verzehr | |
australischer Schimmelpilze, die Erdbeer-Aroma vortäuschen, und ähnlichen | |
Zugaben. Der Produzent gebietet selbst über die Inhaltsstoffe: Früchte | |
womöglich aus biologischem Anbau, Pektin, Zitronensaft und Zucker je nach | |
Geschmack. Kann nicht nur die Großmutter in der Provinz, geht auch in der | |
Großstadt. Tipp: Gegen Feierabend zum nächsten Markt gehen und Früchte en | |
gros zum Billigtarif erwerben. Auch mit dem Labeling gibt es keine | |
Probleme. Es ist nicht verboten, häusliche Etiketten mit "Björns | |
Marmeletta" oder "Marmelade 2.0" zu beschriften. | |
20 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
Martin Reichert | |
## TAGS | |
Zitrusfrucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Über die Sehnsucht nach Bitterorangen: Bitter ist Gold | |
Als das kleine Café nicht mehr da war, wurde Chinotto-Limonade zum | |
Gaumenphantasma. Unsere Autorin begibt sich auf die Suche. |