# taz.de -- Barbra Streisand: Herrin über die Gezeiten | |
> Eine der liberalen Ikonen der US-Unterhaltungsindustrie steht erstmals | |
> auf einer deutschen Bühne. Hoffentlich hat sie all ihre Allüren | |
> mitgebracht. | |
Bild: Ihre letzte Welttournee? "Honey", hauchte Barbra, "its my first!" | |
In den ersten Berichten aus Zürich und Wien war Irritierendes zu lesen. | |
Überlieferungen von ihren Konzerten, also ihren allerersten Auftritten auf | |
kontinentaleuropäischem Boden überhaupt. In Berlin steht sie erst morgen | |
auf dem Programm, in der Waldbühne, man hofft, dass es nicht stürmt. Roger | |
Willemsen jedenfalls fand sie, in Zürich beobachtet, klasse, aber was heißt | |
das schon. Klasse? Im Zweifelsfall ein Urteil für jedes Sternchen nach dem | |
Debütantenball. Seiner Kritik in der Zeit ist zu entnehmen, sie, die | |
Göttin, die letzte echte Entertainerin, die Frau, welche inzwischen 47 | |
Jahre im Showgeschäft prächtig überlebt, sie habe ihre Zuhörerschaft so gar | |
nicht recht in den Bann schlagen können. | |
Ein Auftritt unter anderen - irgendwie unwürdig einer Ikone, einer | |
Sakrosankten der Showbühne: Barbra Streisand. Mit anderen Worten, sie, die | |
65-Jährige, vermochte den Offenbarungswünschen eines professionellen | |
Exegeten der heiligen Schrift von der Magie am Mikrofon nicht zu | |
entsprechen. Und das Publikum, das sich mit den Feinheiten der Beobachtung | |
möglicherweise nicht allzu zimperlich zeigen wollte und eher den Umstand | |
feierte, eines der besonders beißend teuren Eintrittskarten erworben zu | |
haben? Jubelte. Stampfte mit den Füßen, vom enden wollenden Applaus haben | |
diese mündlichen Rezensionen nichts. In Telefonaten mit Freunden in der | |
Schweiz wie in Österreich gab man sich frenetisch. | |
Nur weshalb? Endlich sei sie zu sehen gewesen. Ihre Stimme etwas dunkler | |
als einst. Ihr Kleid makellos, ihre Beine schlank und schön, ihre Frisur | |
perfekt, das Gesicht noch ganz die Streisand der frühen Jahre, nichts auf | |
dem Altar der Schönheitsindustrie geopfert. Auch dieser leicht | |
verschleppte, dennoch hastige Akzent ihrer Brooklyner Heimat - immer noch | |
bewahrt. Schließlich, die Zeugen dieser Performances, fielen ins Seufzen, | |
dieses Talent, selbst an einem schlimmen Ort wie dem Hallenstadion Zürich | |
so etwas wie Clubatmosphäre zu verströmen, einfach so, indem sie auf der | |
Bühne steht, sei jeden Franken, jeden Euro wert gewesen. | |
Aber was hat diese Frau so erfolgreich gemacht? Waren es die Schwulen, die | |
jener Makelhaftigkeit im Gesicht zu Füßen lagen? Steht für diese monströse | |
Karriere im Hintergrund die Mutter, welche ihr riet, besser die Finger vom | |
Showgeschäft zu lassen, weil sie doch wirklich viel zu hässlich sei? Oder | |
doch dieses Können, dieser Gesang, diese Momente von intimer Wahrheit, die | |
ihr Timbre zu zaubern vermag? | |
Jedenfalls muss sie einen Plan gehabt haben, vielleicht keinen zu Papier | |
gebrachten, aber einen inneren. Lass die Alte reden, meine Nase ist meine | |
Nase und meine Augen sind eben meine - und denen zeige ich es. Ihr erster | |
Auftritt, noch fast ein Teenager, in einer Brooklyner Schwulenkneipe. Und | |
die Herren merkten auf: Da stellte sich eine unter funzeliger Beleuchtung | |
auf eine Kiste und sang hell und klar, absolut ihre Stimme im Griff, war | |
komisch, machte aus bizarrem Typus ein eigenes Label - und unterschied sich | |
in dieser Hinsicht konträr zur damals gültigen Ordnung des Ästhetischen im | |
schwulen Underground. Dessen Idol war nämlich, alles in allem, eine Judy | |
Garland, schwere Trinkerin, die Einsame am Broadway, die Hysterikerin und | |
Sängerin vom Alleinbleiben der starken Frau. Die Streisand, auf Differenz | |
bedacht, kürzte ihren Vornamen um ein, um das zweite a - und verkörperte | |
fortan die Kämpferin, die Souveräne, die Rolle der Frau, die ein Scheitern | |
vor der Stufe der Göttinnengleichheit nicht akzeptiert. Jüdisch ohnehin, | |
absolut aufstiegsorientiert, diszipliniert, scheute sie, ehe denn am | |
Broadway in den mittleren Sechzigern ernsthaft sehr steil die Karriere | |
bergan ging, auch nicht davor zurück, Gesangs- und Tanzstunden als Putzfrau | |
zu finanzieren: Kein Treppensteigen zu Gipfeln ohne schmutzige Spuren - da | |
putzte sie lieber gleich selbst! | |
Die Streisand, das war eine Laufbahn gegen die Zeit. Filme wie "Funny Girl" | |
oder "Hello Dolly" brachten sie in die Single-Charts: Aber sie lieferte | |
nichts von der Aura, die damals verlangt wurde. Anfang der Siebziger | |
beklagte sie sich: Was heißt, ich sei zu alt und singe nur Sachen, die nur | |
Alte hören? 29 sei sie erst, trug sie empört einem Interviewer der New York | |
Times vor. Tatsächlich machte man sich in der Branche, wenn auch nur leise, | |
lustig über ihre beinahe hilflosen Versuche, die Rocklady zu geben. Weder | |
hatte sie etwas von Cher und schon überhaupt nichts von Janis Joplin oder | |
wie die Starlets mit Drogenappeal sonst so hießen. | |
Die Streisand, das war Broadway, das hatte zunächst etwas Altmodisches. Und | |
sie ließ sich nicht ermutigen, zumal ihr Gagenkonto ins Gigantische | |
anwuchs. All ihre Musical- und Filmrollen machten sie schon in den | |
Siebzigern zur einflussreichen Figur: Sie konnte sich die Exzentrik | |
erlauben, sowohl klassischen Broadwaystoff zu interpretieren wie munter auf | |
das Liedgut John Lennons ("Mother"), Laura Nyros ( "Stoney End"), Carole | |
Kings ( "Where You Lead") oder Gordon Lightfoots ("If You Could Read My | |
Mind") zuzusteuern. Sie machte sich alles untertan. Stets segelte sie im | |
Schatten des Zeitgeists und nahm doch dessen Wind für sich in Anspruch. | |
"Enough Is Enough" in den späten Jahren der Disco-Ära machte sie, Donna | |
Summer zur Seite, zur Hymne emanzipierter Frauen, die sich von Männern, die | |
sie satt haben, besser gleich als nie trennen. Oder ihre Produktion mit den | |
Bee Gees, aus der "Woman In Love" hervorging, schließlich ihre Duette mit | |
den Pointer Sisters oder die Arbeit mit Quincy Jones: Die Streisand war ihr | |
eigenes Genre. | |
Das tatsächlich Ruhmbegründende ihrer Arbeit mag in ihrer speziellen Aura | |
liegen, was auch immer diese sei. Aber welcher Film war je so komisch wie | |
die ziemlich kurzweilige Komödie "Is was, Doc?", in der sie Ryan ONeal mit | |
absolut bezaubernder Komik verführte. Und zugleich zeigte sie unverhüllt | |
ihre bildungsbürgerlichen Flausen, denen sie gern nachgab. Ihre Platte mit | |
Liedern aus der alten wie neuen Klassik (Händel, Ogerman) verkaufte sich | |
zwar eher mies, aber sie sagte nur: "Ich wollte zeigen, dass meine Stimme | |
auch dieses Material trägt." | |
Mindestens Mitte der Achtziger, zumal nach ihrem selbst produzierten Film | |
"Yentl". Die Geschichte mag für die Streisand, Kind orthodox gestimmter | |
Eltern, ein Märchen gewesen sein - und sie darin der Ritter, der das Gute | |
heimbringt: Die Story, entliehen einer Novelle Isaac Bashevis Singers, | |
erzählt von einem osteuropäischen Mädchen, das nicht zur Talmudschule darf, | |
weil es eben kein Junge ist. So verkleidet es sich und die Streisand mag | |
ihre eigene Lebensleistung in dieser Rolle mit eingepackt haben. Ein | |
Mädchen aus Brooklyn, das sich ins Geschäft der Jungs einmischt, mit Geld | |
nämlich darüber zu bestimmen, was in die Kinos, auf die Bühne und auf | |
Platte kommt. Fremdbestimmung? Ohne sie! | |
Seit diesen Jahren ranken sich multiple Gerüchte um sie. Dass sie nie | |
auftreten werde mehr live. Des Lampenfiebers wegen, denn sie, die | |
Perfektionistin, die aus reinem Ordnungsempfinden kürzlich ein Gutteil | |
ihres Vermögens in eine Ökostiftung einbettete, um sich weniger um | |
Finanzielles kümmern zu müssen, diese Frau hatte sich anfangs ihrer | |
Laufbahn mal verhaspelt, andere sagen, vor Ängstlichkeit einfach den Text | |
vergessen. Deshalb seien ihre Auftritte rar gewesen und waren es bis vor | |
kurzem. | |
Sie könnte Gefallen finden an diesem Job. Scheinwerfer, mit dem Hund | |
umherreisen, Limousinen, Starkult, Gutes tun, gegen, wie sie gern betont, | |
die Klimakatastrophe und für all die Al Gores der Welt, mit denen sie | |
natürlich befreundet ist. Auf die Frage neulich, ob es ihre letzte | |
Europatournee sei, antwortete sie heiter in Zürich: "Honey, its my first!" | |
Was aber macht sie nun aus, diese Streisand? Ist sie eine Schwulenikone, | |
die sich Heteromännergemütern nicht erschließen kann? Keine Ahnung. Selbst | |
wenn es so wäre: Na und? | |
29 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
Jan Feddersen | |
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Musik | |
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