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# taz.de -- Biokraftstoffe: Zwischen Tank und Teller
> Biosprit hat Konjunktur, doch der Boom birgt Gefahren. Er könnte den
> Hunger in der Welt verschlimmern. In Brüssel suchen Fachleute nach
> Lösungen.
Bild: Blühende Landschaften durch Biodiesel? So einfach ist das nicht, wie sic…
BRÜSSEL taz Die Debatten könnten spannend werden. Zwei Tage lang reden in
Brüssel Energieexperten aus China, Indonesien, Malaysia, den USA, der
Ukraine und einigen afrikanischen Ländern über Biotreibstoffe. Brasiliens
Präsident Lula da Silva hält eine Rede. Die europäischen Gastgeber sind mit
gleich drei EU-Kommissaren vertreten, die zeigen, wie vielschichtig das
Thema mittlerweile auf europäischer Ebene wahrgenommen wird: aus
außenpolitischer, energiepolitischer und handelspolitischer Perspektive.
Die Außenkommissarin wird in ihrer Begrüßung betonen, dass "die Kommission
garantieren will, dass Biotreibstoffe so hergestellt werden, dass sie
unseren Planeten schützen, statt neue Risiken zu erzeugen".
Das klingt naheliegend, spielte aber bislang bei der Biodiesel-Debatte kaum
eine Rolle. Noch Anfang Januar sangen auf der Grünen Woche in Berlin
Vertreter der Agroindustrie, deutsche Grüne und die europäische
Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel gemeinsam ein Loblied auf den
Biosprit. "Der europäischen Landwirtschaft bietet sich dadurch eine
hervorragende Gelegenheit, zur Bewältigung einer der größten
Herausforderungen beizutragen, mit denen die Europäische Union gegenwärtig
konfrontiert ist", jubelte die dänische Kommissarin. Und Bauernvertreter
Sonnleitner startete mit dem Slogan "Kornkraft statt Kernkraft" eine neue
Karriere als Werbetexter.
Am 10. Januar hatte die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag vorgelegt,
wonach ein Agrardiesel-Anteil von 10 Prozent im Sprit bis 2020 verbindlich
gemacht werden soll.
"Biokraftstoffe sind saubere, erneuerbare Brennstoffe, die aus organischem
Material hergestellt werden. Zudem können Arbeitsplätze und neue Märkte für
die Agrarerzeugung geschaffen werden. () Biodiesel und Bioethanol könnten
Diesel und Benzin weitgehend ersetzen. Sie können heute zum Betrieb
herkömmlicher Fahrzeugmotoren verwendet werden", behauptete die Kommission
in ihrer Mitteilung. Zwar ergäben sich aus bestimmten Herstellungsverfahren
neue Umweltprobleme. Doch die ließen sich lösen durch "die Einführung eines
Systems von Anreizen und Fördermitteln für die Entwicklung von
Biokraftstoffen der zweiten Generation".
Europäische Agrarproduzenten sehen rosige Zeiten auf sich zukommen. Raps
und Genmais, so weit das Auge reicht. Intensivdüngung und Pestizide nach
Gusto, denn das Endprodukt wandert nicht auf den Teller, sondern in den
Tank. Ein Gutachten der europäischen Gaswirtschaft scheint die kühnsten
Hoffnungen zu bestärken: Während europäische Bauern mit der Milcherzeugung
jährlich 9 Milliarden Euro umsetzen, könnte der Umsatz auf dem Biogasmarkt
jährlich 15 Milliarden betragen.
Mitte Januar zogen die europäischen Grünen in Brüssel die Notbremse.
"Bauernverband im Treibstoff-Delirium", spottete der deutsche Biobauer und
EU-Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Zwar werde durch den
Anbau von Grünpflanzen CO2 in Zucker und Sauerstoff umgewandelt. "Aber die
gegenwärtigen landwirtschaftlichen Praktiken beim Anbau von Mais, Getreide,
Zuckerrohr, Palmöl und Soja für die Herstellung von Treibstoffen basieren
vollständig auf Mineralöl. Energiebilanzen rechnen weder den Transport der
Energieträger noch Belastungen der Umwelt oder Ernährungssicherheit ein."
Industrialisierte Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion gehörten zu den
weltweit größten Energieverbrauchern. Dünger, chemische Zusätze, der
Einsatz von Maschinen, Bewässerung, Trocknung, Verarbeitung und Transport
führten zu einer verheerenden Energiebilanz. Zudem entstehe eine ernsthafte
Konkurrenz für die Lebensmittelproduktion. Diese Frage sei auf europäischer
Ebene noch gar nicht durchdacht worden. "Die Europäische Kommission sollte
eine genaue Prüfung der Auswirkungen auf Ernährungssicherheit durchführen,
bevor die vorgeschlagene Richtlinie zu pflanzlichen Treibstoffen umgesetzt
wird. Die EU sollte keine verpflichtenden Prozentzahlen zur Ersetzung von
Erdöl durch pflanzliche Treibstoffe vorschreiben, da dies keine Reduzierung
des Kraftstoffverbrauchs insgesamt haben würde."
Mit der provokanten Frage "Essen oder Tanken?" versuchten die europäischen
Grünen die euphorisierende Wirkung der flotten Sprüche von Sonnleitner und
Fischer Boel zu dämpfen. Sie holten Lester Brown vom Earth Policy Institute
in Washington nach Brüssel. Seine Zahlen aus den USA zeigen, wo die
Entwicklung auch in Europa hingehen könnte: Der hohe Ölpreis macht die
Ethanol-Produktion aus Mais und Weizen finanziell attraktiv. Derzeit gibt
es in den USA 116 Ethanol-Destillerien, die jährlich 53 Millionen Tonnen
Getreide verarbeiten. 79 weitere Anlagen sind im Bau, 200 in der Planung.
"Das steigert den Getreidebedarf für Destillerien auf 139 Millionen Tonnen
- die halbe für 2008 prognostizierte Ernte in den USA", sagt Brown voraus.
Die Auswirkungen zeigen sich schon jetzt. In Mexiko gingen Hausfrauen auf
die Straße, um in "Tortilla-Demonstrationen" gegen gestiegene Maispreise zu
demonstrieren. Unterstützung kommt von unerwarteter Seite: Willem-Jan Laan
vom Lebensmittelkonzern Unilever klagte kürzlich auf einem Bioenergieforum,
dass gestiegene Grundstoffpreise seinem Unternehmen bereits jetzt jährliche
Umsatzeinbußen von 500 Millionen Euro brächten.
Alexander Müller, der in der rot-grünen Bundesregierung als Staatssekretär
im Landwirtschaftsministerium saß, arbeitet jetzt als Leiter der Abteilung
Natürliche Ressourcen und Umwelt bei der FAO. Er will genau dieses Thema
auf der Brüsseler Konferenz zur Sprache bringen. "Wer von Biotreibstoffen
redet, wird die Frage beantworten müssen, wie 850 Millionen hungernde
Menschen heute und morgen ernährt werden können und zusätzliche 3
Milliarden in naher Zukunft. Wir brauchen eine Strategie, die verhindert,
dass die Energieversorgung für den reichen Norden zu einem zusätzlichen
Ernährungsproblem für den armen Süden wird."
Die Frage ist nur, wie diese Strategie aussehen könnte. Präsident Lula wird
sich die Bedenken von Ernährungs- und Umweltexperten zwar anhören. An
seinem Plan, die Zuckerrohrproduktion bis 2014 von bisher 6 auf 9 Millionen
Hektar auszudehnen, wird er dennoch nicht abrücken. Warum sollte er auch.
Mit der Ethanolproduktion kann Brasilien gleich mehrere Probleme auf einmal
lösen: Es kann die Abhängigkeit von Ölexporten reduzieren und Devisen
einsparen. Während in Europa die Kosten für die Ethanolerzeugung aus
Zuckerrüben oder Getreide so hoch sind, dass erst bei einem Ölpreis von 80
bis 100 Dollar pro Barrel die Produktion rentabel wird, rechnet sich in
Brasilien eine Anlage bereits, wenn der Ölpreis 35 Dollar erreicht hat.
Schon jetzt kann Brasilien 40 Prozent seines Spritbedarfes durch Treibstoff
aus Zuckerrohr und Soja decken. Die Ökobilanz allerdings fällt verheerend
aus: 80 Prozent der Treibhausgase des Landes entstehen dadurch, dass
Regenwaldflächen für Zuckerrohr- und Sojaplantagen gerodet werden.
Indonesien plant, seine ähnlich rentable Palmölproduktion auf 20 Millionen
Hektar auszudehnen, was der gesamten Urwaldfläche des Landes entspräche.
Alexander Müller ist überzeugt, dass sich das Problem nur auf
internationaler Ebene lösen lässt. "Die Bioenergiefrage wird im Rahmen der
WTO eine immer wichtigere Rolle spielen. Wir brauchen nicht nur faire
Agrarmärkte, sondern auch globale faire Märkte für Energie." Dabei müsse
Nachhaltigkeit ein wichtiges Kriterium sein "Wie werden Boden und Wasser
durch Pestizide belastet? Fällt die CO2-Bilanz positiv aus?" Das sind die
Fragen, die Müller beantwortet haben will. Der freie Markt werde das nicht
leisten.
Aber man dürfe sich auch auf der internationalen Ebene, im Rahmen der WTO
oder des G-8-Prozesses, keine Wunder erwarten. Deshalb baut Müller in einem
ersten Schritt auf Selbstverpflichtungen der Produzenten. "Internationale
Konzerne haben mittlerweile erkannt, dass ein Imageproblem entsteht, wenn
sie nicht nachhaltig produzieren und keine nachhaltigen Energieträger
nutzen. Darauf kann man aufbauen."
Das setzt aber voraus, dass Konsumenten erkennen können, welche
Energiebilanz hinter einem Produkt steckt und wie der Biosprit produziert
worden ist, den sie in ihren Tank füllen. "Biokraftstoffe grundsätzlich
abzulehnen ist falsch. Der Zielkonflikt zwischen Klimaschutz,
Ernährungssicherheit und Naturschutz ist lösbar", schrieb die deutsche
Grüne Bärbel Höhn Anfang Februar in einem offenen Brief an Parteikollegen
Graefe zu Baringdorf. Allerdings müsse eine strenge Zertifizierung
sicherstellen, dass bei der Herstellung keine Umweltschäden und keine
Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion entstünde. Die Konferenz in Brüssel
wird zeigen, ob die internationalen Partner für die Sorgen der Europäer
Verständnis aufbringen.
5 Jul 2007
## AUTOREN
Daniela Weingärtner
## TAGS
Wald
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