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# taz.de -- Übersetzung: Kostbar ist der Korridor
> Vier Übersetzer und der Bachmann-Preisträger Lutz Seiler kamen am Montag
> im Literarischen Colloquium Berlin zusammen. Gibt es Seilers Text
> "Turksib" bald auf Makedonisch?
Bild: Lutz Seiler erstmals ohne Jurydruck.
Das Zauberwort heißt "Korridor". Es kommt in Lutz Seilers
Bachmannpreis-Siegertext rund 20-mal vor. Das ist beachtlich, zumal man in
Zügen eher schlicht vom "Gang" zu sprechen pflegt. Vielleicht ist das in
der Turksib-Eisenbahn anders, die Stationen wie Pawlodar, Karaganda und
Semey ansteuert. Solche Orte enthalten mehr Klang als Bedeutung, sodass
neben ihnen der Korridor angemessen scheint. Deshalb nennt Seiler den
Schaffner Conducteur. Der Korridor veredelt die Gestalten, die durch den
Gang schwanken, zu Reisenden an einen mystischen Ort.
Lutz Seiler las seinen Bachmannpreis-Siegertext im Rahmen eines
Übersetzertreffens am Montagabend im Literarischen Colloquium Berlin.
Erstmals wurde er jenseits von Wettbewerbsdruck und Jurybewertung hörbar.
Zunächst aber saßen drei Übersetzerinnen aus Mazedonien, dem Kosovo und den
USA auf dem Podium sowie ein türkischer Übersetzer, der lange in Wien
gelebt hat und deshalb ein astreines Wienerisch sprach. Sie berichteten von
ihrer Arbeit und den nationalen Buchmärkten, in denen sie sich bewegen. Am
schwierigsten ist es demnach in den USA, wo nicht einmal ein Prozent aller
Neuerscheinungen aus fremden Sprachen übersetzt wird. Ganz anders in
Mazedonien, einem Land, das erst seit wenigen Jahren einen eigenen
Sprachraum markiert. Die Übersetzerin Iva Fidanceva kann praktisch bei null
beginnen und hat erst einmal Grass "Blechtrommel", Hesses "Glasperlenspiel"
und Freuds "Traumdeutung" ins Makedonische gebracht - Basisarbeit, von der
sie sich derzeit an einer Peter-Stamm-Übersetzung erholt.
Dass auch in Lutz Seilers Text eine Übersetzerin vorkommt und dass er als
neuer Bachmannpreisträger lesen würde, war noch nicht klar, als der Abend
terminiert wurde. Sonst hätte man sich allerdings auch fragen müssen, was
Übersetzerrunde und Lesung miteinander zu tun haben könnten. Sicher: Die
Übersetzer berichteten, wie wichtig persönliche Kontakte sind, die über das
LCB gestiftet werden. Die Vernetzungsarbeit, die hier stattfindet, schlägt
sich unmittelbar in anderen Sprachregionen nieder. So darf man davon
ausgehen, dass Seilers "Turksib" bald auch auf Makedonisch, Albanisch oder
Türkisch vorliegen wird, sofern sich in diesen Sprachen ein passendes Wort
für "Korridor" finden lässt.
Seiler betont Korridor hartnäckig auf der letzten Silbe, also so wie
Mirador oder Louisdor, was den Klang- und Assoziationsraum weiter
verkostbart. Er liest leise, mit etwas heiserer Stimme und thüringisch
dialektalen Anklängen, leichter und heller und eleganter als einst der
sächselnde, erdschwer finstere Wolfgang Hilbig, mit dem er in Klagenfurt
verglichen wurde. Das mag daran liegen, dass in "Turksib" ein Heizer eine
Rolle spielt, was sich durchaus als Hommage an Hilbig deuten lässt. Es
liegt aber auch an Seilers Biografie, der zunächst als Zimmermann und
Maurer arbeitete und erst im Alter von 21 Jahren Literarisches zu lesen und
zu schreiben begann. Heute ist er Leiter des Peter-Huchel-Hauses in
Wilhelmshorst und gewissermaßen Huchels lyrischer Stellvertreter auf Erden.
Ob ihm der Wilhelmshorster Bürgermeister zum Bachmannpreis gratuliert habe,
wurde Seiler im LCB gefragt. Nein, antwortete er und erklärte diesen Mangel
mit einer dpa-Meldung, die von vielen Medien ungeprüft übernommen wurde.
Demnach hat "der 47-jährige, in Berlin lebende Autor Lothar Seiler nach
mehreren Stichwahlen den Bachmannpreis gewonnen". Die 47 könne er mit
seinen 44 Jahren noch akzeptieren, den Lothar schon weniger, und nach
Berlin habe man ihn wohl deshalb umgesiedelt, weil Wilhelmshorst zu piefig
klinge. Jetzt gelte er dort als Abtrünniger und werde in Interviews immerzu
nach den Stichwahlen gefragt, die es gar nicht gab. Klagenfurt wird ja
gerne als literaturbetriebsinterne Parallelwelt bezeichnet. Die dpa-Meldung
muss wohl aus dieser Parallelwelt stammen. Vielleicht, so Seiler, saß der
Agentur-Mann irgendwo vor dem Fernseher. All seine, Seilers, Fantasie
kreise nun um den abgelegenen Raum, in dem diese seltsame Meldung entstand.
Isolation und Entfremdung: Aus diesem Stoff könnte bald wieder Literatur
entstehen.
10 Jul 2007
## AUTOREN
Jörg Magenau
## TAGS
Georg-Büchner-Preis
Ingeborg-Bachmann-Preis
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