# taz.de -- Kolumne: Speer im Springer | |
> Es ist doch ein Faux Pas, dass nicht festgelegt ist, ob ein Wurf gewertet | |
> werden kann, wenn er im Körper eines anderen endet. | |
Speerwerfer trifft Weitspringer! Was ein selten sensationeller Sportunfall, | |
der sich da bei einer Leichtathletikgala in Rom ereignete. Zehn Zentimeter | |
tief bohrte sich der vom Finnen Pitkamäki geschleuderte Wurfspieß in den | |
Rücken des Franzosen Sdiri. Da kann man mal sehen: Wie schnell man als | |
Sportler heutzutage zu Weltruhm gelangt. Und vor allem: wie unerwartbar | |
schräg zuweilen die Wege dorthin verlaufen. So jedenfalls dürften sich das | |
Tero Pitkamäki und Salim Sdiri vorher nicht ausgemalt haben. Gehts | |
eigentlich noch spektakulärer? Andersrum vielleicht? Aber nein, das scheint | |
dann doch zu unwahrscheinlich: Dass ein Weitspringer aus Versehen über die | |
Sprunggrube hinweg und dort einen zufällig herumstehenden Speerwerfer | |
krankenhausreif springt. | |
Bleiben wir also bei diesem einzigartigen Speerwurf von Rom. Der insofern | |
immerhin glimpflich ausging, als Pitkamäki bei seinem folgenschweren | |
Versuch offenbar keine wettkampfentscheidende Weite schaffte, überdies sein | |
Wurf wegen deutlichen Überschreitens der Wurfsektorengrenze als ungültig | |
gewertet wurde. Was aber wäre gewesen, wenn sich Weitspringer Sdiri nicht | |
knapp außerhalb jenes Sektors aufgehalten hätte als ihn der Speer traf? | |
Hätte dann Pikamäkis Wurf gewertet werden müssen? Und mit welcher Weite? | |
Die vom exakten Aufeinandertreffpunkt von Speer und Sdiris Rücken? Oder | |
hätte man eher von der Stelle aus messen müssen, wo der Getroffene taumelnd | |
in die Knie ging? Ein Unterschied von nur wenigen Zentimetern, gewiss, | |
welcher aber am Ende, wie so häufig im Sport, durchaus der entscheidende | |
sein kann. | |
Kaum anzunehmen, dass derart knifflige Fragen im internationalen | |
Speerwurfreglement zufriedenstellend geregelt sind. Genauso wenig dürfte | |
sich unter den Weitsprungregeln eine finden für eben den Fall, dass ein | |
Weitspringer mitten im Wettkampf von einem Speer getroffen wird; oder von | |
was auch immer, das in Leichtathletikstadien so rumfliegt. Wurfhämmer etwa. | |
Stoßkugeln. Oder Diskusscheiben. Ein Grund für ihre fehlende Beachtung in | |
den herkömmlichen Regelwerken ist sicher der, dass sich derartige Unfälle | |
bislang schlichtweg nicht ereignet haben. "Kampfrichter sind ja schon öfter | |
mal getroffen worden," bestätigt denn auch ein paar Tage nach dem Unfall | |
von Rom eine Christina Obergföll, 25, im Interview, "dass aber ein Athlet | |
schon mal getroffen wurde, davon habe ich noch nie gehört." | |
Frau Obergföll muss es wissen. Sie ist amtierende WM-Zweite und aktuelle | |
Europarekordhalterin im Speerwurf (70,20 m) - wie man durch einen | |
biografischen Hinweis erfahren kann, der nämlichem Interview angehängt ist. | |
Bis dahin, gebe ich zu, war mir die Dame Obergföll genauso unbekannt wie | |
vor ihrer schicksalhaften Havarie die beiden Unglücksraben Pitkamäki und | |
Sdiri. Auch daran kann man mal sehen. Wie durch einen so spektakulösen | |
Sportunfall neben den Betroffenen auch solche ihren Ruhm mehren, die | |
allenfalls randständig darin involviert sind. | |
Was umso bemerkenswerter ist, als es ein ganzes Arsenal aufsehenerregender | |
Sportunfälle gibt, von denen nicht mal die Hauptprotagonisten namentlich | |
bekannt sind. Man muss dazu nureinschlägige Internetseiten durchforsten. | |
Nach jenen zahllosen Filmclips etwa, in denen einige der bizarrsten Unfälle | |
der Sportgeschichte zu wahren Kompendien des Scheiterns und des Schmerzes | |
zusammengestellt sind und also immer wieder geschaut werden können. Die | |
Opfer indes bleiben namenlos. Jener Reckturner etwa, der bei seinem | |
Übungsabgang derart brutal auf die Stange knallt, dass einem schon vom | |
Zugucken ganz anders wird. Oder jener Kickboxer, dem bei einem Fußtritt | |
gegen den Gegner deutlich sichtbar der Unterschenkel bricht. Oder dieser | |
Radrennfahrer, der scheinbar uneinholbar in Führung liegend und also in | |
Sichtweite des Ziels siegessicher die Arme vom Lenker nimmt und diese | |
hochreißt - um sich dann freihändig so was von auf die Fresse zu legen, | |
dass ihn der bis dahin Zweite locker überholen und den Sieg einfahren kann. | |
Auch dieser Pechvogel bleibt unbenamt. Ist aber vielleicht auch besser so. | |
20 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Fritz Tietz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne: Plädoyer für den Unstadtklub | |
Arminia Bielefeld hat die höchsten Antipathiewerte der Bundesliga. Kein | |
Grund, dem Verein untreu zu werden. | |
Kolumne: Die Doping-Hitparade | |
Von kuriosen Ausflüchten, tränenseligem Gestammel und abgewichsten | |
Geständnissen im Radsport. |