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# taz.de -- Forst-Theorie: "Der deutsche Wald ist ein Mythos"
> Der deutsche Wald, so der Historiker David Blackbourn, ist noch immer mit
> Projektionen aufgeladen. Und die Angst vor einem Ausverkauf nach China
> völlig irrational.
Bild: Waldfantasien: Szene aus dem Spielfilm "Brothers Grimm"
taz: Herr Blackbourn, der Bund deutscher Forstleute hat jüngst vor dem
"Ausverkauf deutscher Wälder" gewarnt. Welche Bedeutung hat der Wald in
deutschen Debatten?
David Blackbourn: Wälder sind Symbole dafür geworden, was Historiker eine
moralische Panik nennen. Das zeigen zwei Beispiele: Im späten 18.
Jahrhundert gab es ein große Diskussion über die sogenannte
"Holzknappheit", die von deutschen Regierungen politisch für die Frage
missbraucht wurde, wer die Wälder kontrolliert. In den 1980er-Jahren kam
dann das Thema Waldsterben auf. Sicherlich zerstörte saurer Regen Wälder,
aber statistisch gesehen hatte die Zahl der Bäume in Europa von 1950 bis
1980 zugenommen. "Waldsterben" diente als eine dramatische Metapher.
Was halten Sie von dem aktuellen Protest, dass der Wald von chinesischen
Investoren bedroht sei?
Die gegenwärtige Debatte finde ich sehr übertrieben. Es besteht keine
wirkliche Gefahr für das deutsche Waldmanagement. Es gibt Regeln für die
Bewirtschaftung deutscher Wälder und Naturschutzbestimmungen. Es gibt
keinen Grund, warum diese kleinen Teile deutscher Wälder, die verkauft
werden, zu einer Art Kahlschlag führen sollten. Manche, die heute Wälder
verteidigen oder chinesische Investoren kritisieren, fürchten auch das
Verschwinden der Wanderwege. Aber ein Wanderweg ist nichts besonders
Natürliches.
In Ihrem Buch "Die Eroberung der Natur" beschreiben Sie 250 Jahre deutsche
Geschichte über die Gestaltung von Wasser und Landschaft. Welche Rolle
spielte der Mythos Wald?
Die hartnäckigste Bedeutung führt zurück in die Romantik, in der Wald als
Gegenteil des Gepflegten gilt. Der Wald ist wild, er ist unverwechselbar
deutsch. Nationalistische Untertöne finden wir etwa bei den Gebrüdern
Grimm. Auch wenn die Romantiker, die späteren deutschen Intellektuellen und
Wald- und Heimatschützer den deutschen Wald als natürlich feiern - diese
Wälder waren komplett von Menschen verändert.
Gibt es denn einen Zusammenhang zwischen der "Eroberung der Natur" und
politischen und militärischen Eroberungen?
Die Beziehungen der Menschen zur Natur können nicht von ihren
Machtbeziehungen getrennt werden. Das sind die zwei Seiten ein und
derselben Medaille. Durch das Denken der Deutschen zieht sich die paradoxe
Idee, die Deutschen hätten gleichzeitig ein besonderes Nähegefühl zur Natur
und seien dennoch fähig, Ordnung über sie auszuüben. Nazi-Funktionäre
schrieben immer wieder über die Unordnung, die sie in polnischen und
ukrainischen Wäldern vorfinden würden. Die Deutschen würden angeblich
beides wieder herstellen: die Ordnung, aber auch einen umweltgerechten
Wald.
Gab es solche nationalistischen Muster auch in der deutschen Umweltbewegung
nach 1945?
Es gibt Kontinuitäten im Nachkriegsdeutschland bis in die 1960er-Jahre
hinein, etwa mit der Grünen Charta von der Mainau. Einige der damals
involvierten Personen waren schon am Reichsnaturschutzgesetz von 1935
beteiligt. Danach aber gab es meiner Meinung nach einen kompletten Wechsel.
In den 1980er-Jahren beginnt mit der grünen Partei und der Einführung des
Umweltministeriums etwas Neues.
Heute ist Umweltschutz ein wichtiges Ziel der deutschen Bundesregierung, um
sich international zu positionieren. Wieder eine Eroberung über die Natur?
Nein, ich sehe das nichts Zynisches. In keinem anderen Industriestaat
dieser Größe und Macht ist grüne Politik so wichtig wie in Deutschland -
nicht nur in der grünen Partei, sondern quer durch die Parteien.
Vergleichbares finden Sie nur in den kleineren skandinavischen Ländern oder
in Neuseeland. In den 1980er-Jahren verhöhnte US-Präsident Reagan den
Umweltschutz und sprach von Bäumen, die Umweltverschmutzung produzieren.
Margaret Thatcher sagte während des Falklandkriegs, sie sei zufrieden,
endlich mit einer realen Krise zu tun zu haben, nachdem so lange über
Triviales wie Umwelt gesprochen worden sei. Es ist unvorstellbar, dass
Helmut Kohl Ähnliches gesagt hätte.
Wie bewerten Sie, dass sich in der Rede vom "Ausverkauf" an China rechte
und antikapitalistische Argumente verknüpfen?
Die Reaktion der NPD ist Nazi-Rhetorik, die antikapitalistische verpackt
ist. Natur ist ein dehnbarer Begriff und kann von vielen dienstbar gemacht
werden. Niemand sagt - ich bin gegen die Natur. Diese überhitzte Debatte
bringt uns zurück zum zentralen Paradox, dass das, was als angeblich
Natürliches gefeiert wird, auch Kulturlandschaft ist. Ich denke, diese
Illusionen werden von Linken und Rechten geteilt.
INTERVIEW: KATHARINA LUDWIG
27 Jul 2007
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Landschaftsgarten
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