# taz.de -- Salzburg: Dämonen der Vergangenheit | |
> Die "Nachtseite der Vernunft" wollen die Salzburger Festspiele beleuchten | |
> - doch dafür wagte die Regie bei Haydn und Tschaikowsky zu wenig. | |
Bild: Die Schokoladenseite von Salzburg | |
Das Problem der meisten Traditionsunternehmen ist nicht, dass sie sich | |
immer wieder erneuern müssen, sondern wie sie es tun. In der 90er-Jahren | |
verordnete Gérard Mortier dem bei den Salzburger Festspielen dominanten | |
Musiktheater einen Modernisierungsschub. Das vergrätzte einen Teil des | |
unter Karajan stark gealterten Stammpublikums und führte zu einer | |
tiefgreifenden Umschichtung bei den Sponsoren. | |
Ab der Jahrhundertwende ruderte Peter Ruzicka bei den Opern zurück und | |
umschiffte die Klippen eines allzu aufreizenden Regietheaters; allein | |
Konzerte und Projekte am Rande durften zu luftigeren Zonen der ästhetischen | |
Gegenwart aufschließen. Dramaturgisch setzte sich ein bis an die Grenzen | |
des Beliebigen reichender Kurs fort. Lediglich 2006 erschienen die | |
Bemühungen gebündelt: Zu Mozarts 250. Geburtstag stellte sich das Festival | |
ganz überwiegend in den Dienst des musikalischen Ortsheiligen. Mit dem | |
ehrgeizigem Projekt "Mozart 22" wurden sämtliche musikdramatischen Arbeiten | |
des Komponisten präsentiert und bis zur Neige strapaziert. | |
Jürgen Flimm, Ruzickas Nachfolger als Festspielintendant an der Salzach, | |
lässt nun heuer unter dem Motto "Nachtseite der Vernunft" erkennbar andere | |
Akzente setzen: Mit Joseph Haydn, Tschaikowsky, Carl Maria von Weber, | |
Berlioz und ein paar Kreationen aus dem Geist der Moderne oder Postmoderne | |
bläst der Wind wieder aus wechselnden Richtungen. Überhaupt scheint sich | |
die Idee des pluralistisch bestückten Warenkorbs dramaturgisch endgültig | |
durchzusetzen. | |
Mit Haydns "Armida" hielt Flimm zur Eröffnung der Festspiele eine Preziose | |
bereit: ein Werk, dessen kompositorische Qualitäten sich neben denen manch | |
anderer in den letzten Jahren vorgenommenen "Wiederentdeckungen" - von | |
Legrenzi über Salieri bis Donizetti - nicht zu verstecken brauchen. | |
Können die Dämonen wiederkehren? Das fragt sich so mancher, der in einer | |
Welt lebt, zu deren Erklärung die mächtigsten Männer sich wieder der so | |
banalen wie brutalen Einteilung in Gute und Böse bedienen. Den Leuten, die | |
in der Salzburger Hofstallgasse Spalier stehen, wird es mit der triumphalen | |
Wiederkehr der erschütternden Banalität wohl von Herzen recht gemacht. | |
Jedenfalls klatschen sie, als hätten sie was von der Kunst abbekommen, wenn | |
ein Sicherheitskonvoi vor der Felsenreitschule vorfährt und die Merkels dem | |
Gedrängel aussetzt. Zu den Kehrseiten des Vernünftigen gehören eben | |
Begeisterungsfähigkeit und die vom Erkenntnisinteresse abgekoppelte | |
Schaulust. | |
Unterm Stichwort "Nachtseite der Vernunft" war Joseph Haydns dramma eroico | |
"Armida" dramaturgisch halbwegs passend einzugemeinden. Diese opera seria | |
von 1784 stützte sich, wie viele andere musikdramatische Werke jener Zeit, | |
auf das Kreuzritter-Epos "Gerusalemme liberata" von Torquato Tasso. Sie | |
führt in den Orient der christlich motivierten Eroberungsfeldzüge: Zunächst | |
geht die bis an die Zähne bewaffnete Reise nach Jerusalem bis Damaskus. | |
Dort ist der wackre Recke Rinaldo (vorzüglich: Michael Schade) in einen | |
Hinterhalt geraten. Die Sarazenenfürstentochter Armida (fulminant: Annette | |
Dasch) umgarnte den Vorkämpfer der abendländischen Interessen, die am Berg | |
Zion zu verteidigen sind. Sie tat es kunstvoll - ob mit Vorzügen der Natur | |
und/oder Zauber, da sind die Grenzen ohnedies fließend: Sie schlägt ihn in | |
Liebesbande und veranlasst ihn zum Wechsel ins Lager der Muslime. Doch | |
keiner kommt unbelastet zu neuer Liebe und dauerhaftem Glück: Dämonen der | |
Vergangenheit holen auch die Heroen ein. | |
"Armida" ist eine Zauberoper über Liebe in Zeiten des Kriegs, eine | |
grenzüberschreitende Liebesgeschichte, in welcher der Konflikt zwischen | |
Pflicht und Neigung eine weit größere Rolle spielt als Erwägungen der | |
Vernünftigkeit. Der Regisseur Christof Loy lässt die Protagonisten beider | |
Parteien auf einem Holzstapelplatz und einer seitwärts sich erhebenden | |
schrägen Ebene agieren. Auf ihr geben zwei festgeschraubte unbequeme Stühle | |
dem syrischen Herrscher einen gewissen Halt und fünf Seile den übrigen, die | |
auch auf diesen Anstieg geraten. Ein Lautsprecher, aus dem blechern | |
einzelne Bläsereinwürfe der Ouvertüre plärren, später Haydns | |
Militärmärsche, überragt die Bühneninstallation. Das bleibt fast die | |
einzige Anspielung auf einen heutigen Orient. | |
Der Bewegungschor, der immer wieder erstarrt, deutet kriegerische Bewegung | |
und Schrecken der Furien an. Freilich treten Krieg und Orient weitgehend in | |
den Hintergrund. Und all das materiell Historische, das in Haydns Werk | |
steckt - zwei seiner Großeltern waren Opfer der Türkenkriege - hat Christof | |
Loy ebenso zum Verschwinden gebracht wie den Zauber, den die Vernunft der | |
Aufklärung doch noch braucht, um sich an ihm abzuarbeiten. Damit erweist | |
sich seine Inszenierung als Echolot der gegenwärtigen gesellschaftlichen | |
Befindlichkeit, die sich mit Erblasten der Geschichte nicht mehr als | |
unbedingt nötig beschweren möchte und sich ganz überwiegend für das | |
öffentlich gemachte Private interessiert. | |
Tschaikowskys "Eugen Onegin" weckte die größten Erwartungen und selbst | |
Restkarten zu 330 Euro waren schließlich verkauft: Daniel Barenboims Show | |
wurde als Top-Termin der Festspiele gehandelt. Die spätfeudal-russische | |
Variante der "Nachtseite der Vernunft" sorgte für den einschlägigen | |
Auftrieb von pensionierten Akteuren verblühter politischer Landschaften | |
(Waigel, Wowereit etc.), angegrauter Akteure der Finanzplätze und | |
Semiprominenz. Die deutsche Kanzlerin war mit Herrn Sauer entwichen. Das | |
gefühlte Restdurchschnittsalter: 60 Jahre. Die offiziöse Statistik | |
bestätigt: Durchschnittsalter des Festspielgastes tatsächlich 60 plus x. | |
Der Ausstatter Martin Zehetgruber entfaltete für "Onegin" zunächst, indem | |
er ein Kornfeld in eine hochherrschaftliche Wohnung pflanzen ließ, schönen | |
Schein vom Feinsten - eine Synthese von alter oder neuer Bürgerlichkeit mit | |
Insignien der verklärt Feudalen. Des Weiteren suchte die Regisseurin Andrea | |
Breth einen historischen Kompromiss: Sie ließ den schönen Schein annagen - | |
die Söhne des Fürsten Gremin, den Tatjana ehelicht, rüpeln und schikanieren | |
das Personal, und beim Fest kotzt eine Nutte. | |
Doch gewinnt diese Art des Realismus nicht die Oberhand. Wenn am Ende | |
Tatjana und Eugen, nachdem sie sich hastig zu ein paar Zwischenspieltakten | |
ineinander verkrallt hatten, doch nicht überein- und zusammenkommen, dann | |
zeigen sich die Vorzüge der genauen Personenregie: Die Tristesse Breitwand | |
legt sich über die süffigen absteigenden Sequenzen der Tonspur. Sie hat das | |
Publikum in Beschlag genommen. Österreich ist und bleibt nun einmal das | |
Land der Kompromisse. | |
31 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Frieder Reininghaus | |
## TAGS | |
Musikfestival | |
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