# taz.de -- Kommentar: Die Sprengung der Warenform | |
> Kein anderer 68er-Regisseur hat die Werbe- und Logokultur so zu einer | |
> fast chiliastischen Kapitalismuskritik zugespitzt wie Michelangelo | |
> Antonioni. | |
Bild: Michelangelo Antonioni: Er wurde 94 Jahre alt. | |
Die Welt ist feindlich, überall. Modernistische Villen, wütende Ozeane, | |
baumlose Wüsten, verspielte Jugendstilkacheln und nordafrikanisches Geröll | |
machen da keinen Unterschied. Doch gerade inmitten dieser Feindlichkeit | |
zeigt der Mensch in seinen Trenchcoats, Stöckelschuhen, mit seinen Jeans, | |
Sonnenbrillen und Haaren bis zum Arsch seine Würde. | |
Einsam und schön, inmitten der toten, aber sprechenden Kulisse von Rom, | |
London oder der petrochemischen Produktion des Po-Deltas gewinnen die | |
Personen des Michelangelo Antonioni Konturen. Sie sprechen nicht, sie sind | |
die Helden eines stummen Einwands gegen die "verwaltete Welt", wie man sie | |
damals nannte. Und dieser Einwand bestand in schönen Augen und einem | |
entschlossen verzweifelten Blick nach innen. | |
Dann, im Laufe der 60er, artikulierten sie sich. Sie starrten nicht mehr | |
nach innen, sondern peilten den Horizont an. Den zeigte Antonioni - vom | |
Flugzeug oder vom Auto aus, das einsame Wüstenpisten entlangbrettert - in | |
"Zabriskie Point", einer Reise durch die Idee der Politisierung. Sie | |
beginnt mit Black Panthers, führt über ein gigantisches Love-in in der | |
Wüste und endet in der psychedelischen Apokalypse der Warenkultur, einem | |
der stärksten Bilder jener Revolte: einer zeitlupengedehnten Explosion von | |
Logos und Verpackungen zur Musik der frühen Pink Floyd. Kein anderer | |
68er-Regisseur hat die viel gefilmte Werbe- und Logokultur so zu einer fast | |
chiliastischen Kapitalismuskritik zugespitzt: nicht Vietnam, nicht der | |
Rassismus, nicht Repression, auch nicht "Konsumterror", wie man damals | |
sagte, sondern: Die Ware selbst ist das Problem. Was gab es danach noch zu | |
sagen? | |
Antonioni kehrte mit "Beruf: Reporter" zum schönen Existenzialismus zurück. | |
Die beiden Hauptdarsteller aber nahmen ihre Rolle so ernst, dass sie | |
wirklich in den Untergrund gingen. Daria Halprin, Tochter der | |
Tanzavantgardistin Anna Halprin, tauchte aus diesem wieder auf, heiratete | |
Dennis Hopper und übernahm den Laden ihrer Mutter. Mark Frechette dagegen | |
landete im Knast, wo er 1975 unter ungeklärten Umständen getötet wurde. Die | |
Sprengung der Warenform ließ sich nur träumen. | |
31 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Diedrich Diederichsen | |
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