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# taz.de -- Reportage: Die Toskana-Friktion
> Im toskanischen Monticchiello ist alles da für eine spannende Geschichte:
> Einheimische, Zugereiste, ein Spekulant und eine grandiose Kulisse. Die
> Dörfler inszenieren den Konflikt als Drama.
Bild: Wenn es so ist, muss sich der Städtetourismus wohl was anderes überlegen
Monticchielo taz "Seit dreißig Jahren sehe ich dieses Panorama, und jeden
Tag geht mir das Herz auf." Mit ausladender Geste weist Daniele
Mangiavacchi auf die prächtige Kulisse vor ihm: Sein Blick fällt durch das
alte Stadttor auf die von der Sonne in Gold getauchten, sanft geschwungenen
Hügel der Südtoskana, auf die Felder, die in allen nur denkbaren Brauntönen
schillern, auf Wiesen und die flammengleich in den Himmel ragenden
Zypressen.
Mangiavacchi muss sich nicht verstellen, um den Part des Glückspilzes zu
geben. Er muss nur vor die Tür seiner Boutique "Madalisa" treten, am
Ortseingang von Monticchiello, direkt hinter der mittelalterlichen
Wehrmauer. Mangiavacchi gibt in diesem Drama auf dem Lande den glücklichen
Toskaner. Alles an ihm stimmt: die strahlenden Augen, das verzückte
Lächeln, die schwärmerische Stimme. Nie, versichert er, würde er aus seinem
Dorf wegziehen, wunderschön sei es hier. Diese Gegend: das Orcia-Tal,
Toskana pur, 2004 von der Unesco zum Weltkultur-Erbe erhoben. Nicht zu
vergessen das gute Essen - Mangiavacchi klopft sich auf den enormen Bauch
-: die Schweineleber in Fenchelkraut, die pici, handgemachte Nudeln mit
Wildschweinragout, die Ribollita, toskanische Suppe mit Kohl und dicken
Bohnen.
Brutal gestörte Idylle
Es könnte alles perfekt sein, meint Magiavacchi, "wenn bloß nicht diese
Geschichte wäre Die hat hier ganz schön eingeschlagen." Von "Spekulanten"
spricht er jetzt, von "der Baustelle" direkt vor der Stadtmauer, diesem
"Monster, das unser Dorf gespalten hat". Er zeigt auf die Baukräne, die
sich hangabwärts hinter den Bäumen erheben. Acht große Rohbauten stehen
dort, reißen eine Wunde in die toskanische Idylle. Der eben noch gut
gelaunte Magiavacchi sagt, der Streit um diesen Neubau sei eine Geschichte,
mit der das Dorf bisher nicht fertig geworden sei. Ein Drama, das
Monticchiello - dem Toskana-Dorf mit dem bei den Italienern so beliebten
teatro povero, dem alljährlichen Sommertheater - im ganzen Land
Negativschlagzeilen beschert habe. Weil ein paar Geldhaie das Paradies
verkaufen wollten!
Drei Stunden später erscheint Daniele Mangiavacchi zur Generalprobe. Er
steht in seinem ordengeschmückten Frack auf der dreieckigen Piazza neben
der gotischen Kirche und gibt den "General". Wie jeden Sommer spielt das
ganze Dorf Theater, wie jedes Jahr wird der Dorfplatz zur Bühne - aber
diesmal ist alles anders. Denn die achtzig Dörfler von Monticchiello
spielen ihre eigene Geschichte. Sie adaptieren Tschechows "Die Hochzeit",
inszeniert haben sie das Stück als "Auto-Drama", also eine von allen
Mitspielern gemeinsam entschiedene und verfasste theatralische
Selbstanalyse. Der Mann im Frack, der "General", ist einer der wichtigsten
Protagonisten.
In dem Stück warten alle Hochzeitsgäste sehnsüchtig auf ihn, er ist
eingeladen, um der Feier Glanz zu verleihen. Schließlich platzt er
tatsächlich herein - und ruiniert das ganze Fest. Am Schluss fährt gar ein
Meteorit auf die Gesellschaft nieder.
Nach dem Einschlag stehen auf der Bühne sechs Personen in einem
Kreidekreis. Ein großes, fein gesponnenes Netz hält sie gefangen, die
Situation scheint ausweglos. Die sechs wähnen sich "in einem Krieg", sie
fürchten, in einer Geschichte gelandet zu sein, "die uns über den Kopf
wächst". Auf weißem Bühnenhintergrund erscheinen Baukräne in toskanischer
Landschaft.
Ein bisschen Brecht, ein bisschen Beckett: Unschwer ist die Parabel von
Hoffnung und Enttäuschung zu entschlüsseln, die den Bürgern von
Monticchiello ihren Frieden rauben. "Der General", flüstert ein Mann im
Publikum seiner Frau zu, "das soll dieser Professor sein, der mit seinen
blöden Protesten gegen das Bauprojekt den Streit ins Dorf getragen hat".
"Von wegen", hält die Frau dagegen, "der General steht für das Ökomonster,
für diese Häuser am Hang, die als Traum versprochen waren und sich als
Albtraum entpuppt haben." Jeder im Dorf macht sich seinen eigenen Reim.
Am nächsten Morgen spricht auch "dieser Professor" von einem Albtraum.
Alberto Asor Rosa hat auf einer Steinbank neben dem alten Brunnen Platz
genommen. In der Tschechow-Inszenierung, die heute Abend Premiere haben
wird, spielt er nicht mit, doch im wirklichen Monticchiello hat er sich die
Rolle der Kassandra längst gesichert. Der Altlinke, ein Spezialist für
italienische Gegenwartsliteratur, ist in ganz Italien bekannt. Hier in
Monticchiello aber hat wohl kaum jemand seine Schriften gelesen - außer
natürlich jenen Zeitungsartikel, mit dem er die Dorferweiterung frontal
attackiert hatte. Seither schwelt die Debatte um Tradition und Profit.
Während der Sommerwind ihm das weiße Haar zerzaust, rechnet Asor Rosa ab.
"Ich habe hier seit 25 Jahren eine Wohnung, und ich konnte das nicht mit
ansehen. Direkt vor einem Dorf mit gerade mal 150 Einwohnern werden da acht
große Bauten mit insgesamt 75 Wohnungen errichtet, ursprünglich waren sogar
96 geplant. Angeblich für die jungen Leute aus dem Dorf, die keine
Wohnungen finden. Das war der Traum. Jetzt haben wir hier bloß den
Albtraum. Die verschandeln diese einzigartige Landschaft mit einem
Spekulationsobjekt, das sich ja doch nur an wohlhabende Auswärtige wendet".
Eine einzige Familie aus dem Dorf, sagt er, mache da das Geschäft ihres
Lebens. "und außerdem Geldgeber von auswärts, die wir nicht kennen". Mit
vieldeutigem Blick zuckt er die Schultern, "vielleicht ist es auch besser,
diese Namen nicht zu wissen".
Was ihn zur Weißglut treibt, ist auch, dass der linke Bürgermeister von
Pienza - zu dieser Stadt gehört Monticchiello - das ganze Projekt schon
abgesegnet hat. Und dass der Architekt, der für die Kommune den
Bebauungsplan entworfen hat, nun als Bauleiter die Häuser errichtet.
Weil Wochenende ist, liegt die Baustelle verwaist da, abgeschirmt ist sie
durch einen zwei Meter hohen Zaun. Man sieht Sandberge, Zementmischer,
Holzstapel - doch dann fährt ein schwarzer Geländewagen vor. Ein drahtiger
Mittdreißiger steigt aus, er schiebt sich die Sonnenbrille ins schwarze
Haar. Aus Rom sei er, sagt er, und er habe hier eine Wohnung gekauft.
Selbstbewusst öffnet er eine Lücke im Zaun. Mit einem Blick auf die
Rohbauten erzählt er, er habe schon schwer gezittert angesichts der
Proteste, die "dieser Großintellektuelle" angezettelt habe, "der bloß
politisch Karriere machen will". Dann aber huscht ein Lächeln über sein
Gesicht. "Vielleicht waren die Proteste am Ende aber gar nicht so schlecht.
Das Kulturministerium in Rom hat jetzt alle weiteren Bauten hier auf dem
Hügel untersagt. Für mich heißt das, dass sie mir ganz sicher niemals das
herrliche Panorama vor meiner Ferienwohnung verbauen werden".
Signora Grappi mag es
Er hat den Satz noch nicht beendet, da trifft Manuela Grappi ein. Die
füllige, resolute Frau gehört zur Bauherrenfamilie, in ihren roten
Badelatschen schlurft sie über die Baustelle, als spiele sie eine
geldgierige Vettel, die ihren Reichtum gut zu verstecken weiß. "Total
gelungen" findet Signora Grappi das Bauprojekt, sie zeigt auf die
handgebrannten toskanischen Dachziegel, auf die Natursteinmauern und
überreicht schließlich den aufwändig gestalteten Verkaufsprospekt für die
"Häuser zum Verlieben": "Nur 340.000 Euro für eine
Achtzig-Quadratmeter-Wohnung". Die Frau hat ein erkennbar gutes Gewissen.
Den als Verkaufsbüro genutzten Baucontainer jedenfalls hat sie vollgehängt
mit Großfotos von Monticchiello, von Weinhängen und malerischen Kastellen
aus dem Orcia-Tal, als könnten ihre Baukräne dieser Idylle nichts anhaben.
Vielleicht ist es auch gar nicht so sehr diese Idylle, die durch die
Neubauten in kopierten toskanischen Landhausstil in Gefahr gebracht wird.
Antonio Cardinali bewirtschaftet unten im Tal einen Hof von 280 Hektar. In
dem Drama von Monticchiello ist er wohl der etwas abseits stehende Chor,
der das Geschehen kommentiert. Und der macht sich ganz andere Sorgen -
nämlich um den sozialen Frieden im Dorf. "Das ist doch so", schimpft er,
"als würde man direkt vor den Toren Roms ein zweites Rom bauen, mit noch
einmal drei Millionen Einwohnern. Wir haben keinen einzigen Tabakladen in
Monticchiello, kein einziges Lebensmittelgeschäft. Wie soll das gehen mit
einem Haufen Zweitwohnungsbesitzern?"
Dann rechnet er ganz pragmatisch vor, dass die Müllabfuhr auch noch teurer
werden wird, weil der alte Kleinlaster für die Abfuhr nicht mehr reichen
wird. Asor Rosa? "Ein Freund von mir" - doch die Freundschaft habe Grenzen.
"Wo waren diese Professoren und Lehrer, die jetzt hier ihr Sommerhaus
haben, als wir vor fünfzig Jahren ohne Strom, ohne fließendes Wasser, ohne
asphaltierte Straßen lebten, als ich noch 15 Kilometer zu Fuß zum Friseur
marschieren musste? Es ist ziemlich bequem, hereinzuschneien und sich an
den gedeckten Tisch zu setzen, wenn das Essen fertig ist."
Und was sagt er zum linken Bürgermeister, der das Bauprojekt genehmigt hat?
"Auch er ein Freund von mir", sagt Cardinali, "aber er täte gut daran
zurückzutreten." Dann redet der Bauer sich in Rage. Über die ungeklärten
Quellen, aus denen die Gelder für das Bauprojekt geflossen seien, darüber,
dass "die ganze Familie hier vor Ort, die in der Firma mit drinsteckt, zu
Berlusconis Partei Forza Italia gehört. Da würde es mich gar nicht wundern,
wenn der Nachname des Kofinanziers mit B beginnt".
Das Misstrauen bleibt
Von auswärts das Geld, von auswärts die Sommergäste um Asor Rosa, die jetzt
die Protestfront anführen, von auswärts die Heerschar der zukünftigen
Wohnungseigner im "Öko-Monster" - Antonio Cardinali fürchtet, dass im Drama
von Monticchiello keiner mehr dem anderen trauen kann.
Ein Eindruck, der am Abend wiederkehrt, beim Aperitif vor der großen
Premiere des Theaterstücks der Dorfbewohner. Außer dem Bürgermeister sind
alle da, auch "il professore", Alberto Asor Rosa. Bei Wein und Spanferkel
machen alle dicht, wenn sie nach den politischen Fronten in Monticchiello
gefragt werden - vom jungen Chef des Bürger-Theater-Ensembles bis zur
betagten früheren Bürgermeisterin und Darstellerin. Katharsis sei die
Arbeit am Theaterstück gewesen, sagt schließlich der dicke "General". Auf
der Bühne habe das Dorf zu einer gemeinsamen Sprache zurückgefunden, nicht
ein einziges Mal habe es während der Erarbeitung des Stückes Krach gegeben
zwischen Befürwortern und Gegnern des Bauprojektes.
Eine Stunde später dann macht eine in ein strenges, dunkles Kostüm
gewandete Sängerin mit einem Song in Brecht-Weill-Stil den im Dorf
gefundenen Kompromiss deutlich: "Noch schweigen diese Bürger / ihr Denken
ist verschlossen in ihren Herzen / es ist ein Denken voller Schmerz." Die
Zuschauer applaudieren.
8 Aug 2007
## AUTOREN
Michael Braun
Michael Braun
## TAGS
Reiseland Italien
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