# taz.de -- Wehrkräftemangel: Armee kämpft um kluge Köpfe | |
> Die Bundeswehr wirbt um Jugendliche mit guter Schulbildung. Ihr Erfolg | |
> dabei ist mäßig. Wenn sich das nicht ändert, steht in drei Jahren ihre | |
> Einsatzbereitschaft auf dem Spiel | |
Bild: In Flecktarn aus dem Panzer lugen? Haben die Jungen wenig Lust drauf. | |
Blauer Himmel, gleißende Sonne. Fallschirmspringer stürzen sich aus dem | |
Hubschrauber, dazu fetzige Musik. Ein kurzer Spot, zu sehen auf der | |
Bundeswehrseite im Internet. Um in Zukunft mehr Jugendliche für den Dienst | |
an der Waffe zu gewinnen, geht die Armee in die Werbeoffensive. Sie fährt | |
mit Info-Bussen zu Freizeitmessen, schickt Soldaten in Schulen, schippert | |
mit Fregatten zur Kieler Woche. Beeindrucken will sie damit vor allem junge | |
Gebildete - denn die wird sie in den nächsten Jahren händeringend suchen | |
müssen. | |
Die sinkende Geburtenrate und die anziehende Konjunktur setzen die | |
Bundeswehr immer stärker unter Druck. Unternehmen und Armee buhlen bei der | |
Personalsuche um dieselbe Gruppe: Männer und Frauen im Alter zwischen 18 | |
und 25 Jahren mit guter Schulbildung. Verlierer auf der Jagd nach guten | |
Leuten ist meist die Bundeswehr. Deren Nachwuchsmangel steht wie ein Symbol | |
für das Qualifikationsproblem des Landes. Denn die Probleme der Bundeswehr | |
- sprichwörtliches Auffangbecken für die Blinden und Lahmen -, geeignete | |
Bewerber zu finden, zeigen, dass mit dem Bildungssystem etwas nicht stimmt. | |
Schon ist wieder von einem Fachkräftemangel die Rede. Die | |
Ausbildungsumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags für 2007 | |
hat ergeben, dass die ganze Wirtschaft Schwierigkeiten hat, ihren Bedarf an | |
qualifiziertem Nachwuchs zu decken. Das Problem ist ein doppeltes: Die | |
technologischen Anforderungen an die Bewerber werden immer höher - und | |
deren Zahl und Qualifikation gleichzeitig immer niedriger. Sie haben | |
Schwächen im Ausdrucksvermögen und bei elementaren Rechenfertigkeiten. In | |
den Auswahlverfahren der Firmen wie in den Einstellungstests der Bundeswehr | |
für Zeit- und Berufssoldaten zeigen sich bei vielen Bewerbern zudem | |
erhebliche Defizite bei sozialen Kompetenzen. "Etliche von ihnen könnten | |
niemals eine Kompanie führen, die wissen gar nicht, wie sie mit Menschen | |
reden sollen", sagt Wilfried Stolze, Sprecher des Bundeswehrverbands. | |
"Vor allem für ihre Auslandseinsätze benötigt die Armee hoch qualifiziertes | |
Personal", sagt die Friedensforscherin und Militärsoziologin Anja Seiffert, | |
einst wissenschaftliche Mitarbeiterin am sozialwissenschaftlichen Institut | |
der Bundeswehr in Strausberg bei Berlin. Gefragt seien nicht allein Können | |
im technischen und elektronischen Bereich, sondern auch interkulturelle | |
Kompetenz und Sprachkenntnisse. "Das Anforderungsprofil ist sehr komplex | |
geworden." Gleichzeitig droht nach einem Bericht des | |
Verteidigungsministeriums die Gefahr, dass die Streitkräfte schon in drei | |
Jahren auf weniger gut qualifizierten Nachwuchs zurückgreifen müssen. | |
Schuld sei die vor allem in Ostdeutschland rapide fallende Geburtenzahl. In | |
den nächsten Jahren werde es dort 50 Prozent weniger 18-Jährige geben - | |
statt 100.000 nur noch 50.000. | |
Mehr als ein Drittel des Nachwuchses an Zeit- und Berufssoldaten kommt aus | |
den neuen Ländern. Bisher hatte die Bundeswehr keine Schwierigkeiten, dort | |
Rekruten zu finden, weil viele vor der hohen Arbeitslosigkeit zur Armee | |
fliehen. So wie Nils S. Der bullige Unteroffizier mit Igelputz hockt nach | |
Dienstschluss in Stube 118. Das Zimmer ist klein, die Einrichtung karg: | |
weiße Raufasertapete, sechs Bettgestelle aus Metall. Nils S. fühlt sich | |
nicht wohl, dennoch ist er froh, hier zu sein. In Brandenburg hatte er mit | |
seinem Hauptschulzeugnis keinen Job gefunden. Er lebte von Hartz IV, 345 | |
Euro. Dann ist er zur Armee gegangen, zu den Fernmeldern, hat sich | |
verpflichtet, acht Jahre. Sold: 1.600 Euro. "Es ist eine sichere | |
Arbeitsstelle", sagt er mit einem Schulterzucken, "was will man mehr?" | |
Allerdings: Bald wird die Bundeswehr sogar Probleme haben, Posten im | |
einfachen Dienst zu besetzen - wie den von Nils S. | |
Denn in den schrumpfenden Jahrgängen wächst auch noch die Zahl der | |
Untauglichen. Immer mehr junge Männer fallen bei der Musterung durch, weil | |
sie zu dick sind, beim Einstellungstest die Rechenaufgaben nicht knacken | |
oder selbst simple Texte nicht kapieren. "Die Bundeswehr wird in Zukunft | |
erheblich mehr Zeit und Aufwand in Auswahl und Training der Soldaten | |
investieren müssen", sagt Oberstarzt Dieter Leyk - sonst stehe die | |
Einsatzbereitschaft der Armee auf dem Spiel. Schuld an den Defiziten seien | |
"veränderte Lebensgewohnheiten": In der Kindheit zu viel Gameboy und zu | |
wenig Toben, dazu eine mangelnde Sportausbildung in der Schule. Trotz der | |
sinkenden Zahl an qualifizierten Nachwuchskräften ist der Armeearzt | |
dagegen, die ohnehin schon niedrigen Ansprüche der Bundeswehr noch weiter | |
herunterzuschrauben. | |
Um auch noch in drei Jahren qualifizierte junge Männer und Frauen für die | |
Armee zu gewinnen, müsste sie Jugendliche beispielsweise mit besseren | |
zivilberuflichen Ausbildungsgängen locken, sagt Bundeswehrexpertin | |
Seiffert. Eine andere Möglichkeit sei, dass sich die Streitkräfte verstärkt | |
um Frauen bemühten oder auch um Menschen im mittleren Alter. | |
Verbandssprecher Stolze sagt, man müsse zudem über eine Erhöhung der | |
Besoldung nachdenken. | |
Der Kampf um die klugen Köpfe wird für die Bundeswehr dennoch nur schwer zu | |
gewinnen sein - auch weil sie bei vielen jungen Gebildeten ideologisch | |
nicht hoch im Kurs steht. "Die Armee kultiviert noch immer ganz bewusst | |
einen längst überholten Kämpfermythos, das stößt viele ab", sagt Detlef | |
Bald, ehemaliger wissenschaftlicher Direktor am Sozialwissenschaftlichen | |
Institut der Bundeswehr. Um attraktiver zu werden, müsse sie dagegen ihren | |
Friedensauftrag stärker betonen. | |
Verbandssprecher Stolze widerspricht jedoch der These vom absichtlich | |
gepflegten Kämpferkult: Die Rekrutierer wollten gerade keine Draufgänger, | |
sondern verantwortungsbewusste und clevere Schulabgänger, am liebsten mit | |
Abitur. | |
Aber immer weniger Abiturienten entscheiden sich für den Wehrdienst. "In | |
meinem Jahrgang waren es sieben von über 60 Schülern", sagt Christian | |
Becker. Er hat im Krankenhaus gearbeitet, Intensivstation, ein harter Job. | |
"Das ging an die Nerven", sagt der 21-Jährige, "aber ich hatte das Gefühl: | |
Hier kannst du helfen." Die Bundeswehr - reine Zeitverschwendung, findet | |
Becker. Und immer mehr Schulabgänger denken wie er. | |
Deswegen hält Anja Seiffert den militärischen Zwangsdienst für überholt: | |
"Das Argument, die Wehrpflicht sorge für qualifizierten Nachwuchs, greift | |
nicht mehr." Als Alternative nennt sie einen freiwilligen Kurzdienst, sechs | |
bis neun Monate, damit "die Öffnung der Bundeswehr zur Gesellschaft" | |
gewährleistet sei. | |
Unteroffizier Nils S. interessiert die Diskussion kaum. Sein Posten als | |
Funker ist ein sicherer Arbeitsplatz - das zählt. Und nach der Armee? Er | |
hofft, dass er in Brandenburg einen Job findet, wenn seine Dienstzeit | |
endet. Lastwagenfahrer könnte er sich gut vorstellen, dazu eine kleine | |
Wohnung, er hat keine großen Ansprüche. Bloß: Ein wenig gemütlicher als | |
Stube 118 sollte es schon sein. | |
14 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Stefan Beutelsbacher | |
## TAGS | |
Eva Högl | |
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