# taz.de -- Punkfilm: Chaos in Saarbrücken | |
> Tarek Ehlail (25) hat einen Film über die "Chaos-Tage" gedreht: mit | |
> echten Punkern, Straßenschlacht - und staatlicher Filmförderung. | |
Bild: Das Original: Chaostage in Hannover 1995. | |
Gewaltiger Lärm, besoffene Punks trampeln auf Autos und bauen Barrikaden. | |
Gegenüber: Polizisten in voller Einsatzmontur. Steine und Flaschen fliegen | |
auf die grün Uniformierten. Nein, wir befinden uns nicht in Rostock vor | |
zwei Monaten, auch nicht in Hannover, sondern im saarländischen | |
Saarbrücken. Über 200 echte Punks gehen gegen 50 falsche Polizisten an und | |
spielen Straßenschlacht. Ja, richtig, sie spielen nur. | |
" 'Chaostage' ist der erste wirkliche deutsche Punkfilm", sagt Tarek | |
Ehlail. Der 25-Jährige ist für die Inszenierung des Aufstands in der | |
Saarbrücker Innenstadt verantwortlich. "Es gibt zwar ein paar | |
sozialromantische Scheißfilme, aber unser Film ist der erste authentische | |
mit Punks, von Punks, aber nicht nur für Punks. Er spiegelt eine für | |
Deutschland wichtige Subkultur so wider, wie sie war und heute ist." | |
Der Regisseur weiß, wovon er spricht. Seit er 14 ist, fühlt sich der | |
gelernte Piercer der Szene zugehörig. "Ich habe allen Klischees vollständig | |
entsprochen, genau wie unser Film jetzt." | |
Durch sein Umfeld kam er auch auf die Idee, der Subkultur ein Denkmal zu | |
setzen. Als Vorlage zu dem Film diente der Roman "Chaostage" von Moses | |
Arndt, einem engen Freund Ehlails. Der ist inzwischen Arzt, galt in den | |
Achtzigerjahren jedoch als Punkguru und spielte eine zentrale Rolle als | |
Geburtshelfer der hiesigen Punk- und Hardcore-Szene. | |
"Das Buch war aber nur der Aufhänger, für die Leinwand habe ich es stark | |
verändert", sagt Ehlail. Er schrieb es zu einem Episodenfilm um. Viele | |
scheinbar unzusammenhängende Einzelgeschichten verketten sich zu einem | |
Ganzen und führen am Ende, wenn sich die Wege der Protagonisten kreuzen, | |
zur Katastrophe. Dabei geht es nicht konkret um die berühmten Chaos-Tage | |
von Hannover, sondern um das alltägliche Leben einer Bekenntnisminderheit | |
in Deutschland und darum, wie es ganz spontan durch eine Reihe irrwitziger | |
Zufälle zu Straßenschlachten à la Hannover kommen kann. "Wir geben eine | |
hanebüchene Antwort auf das, was ein Heer von Soziologen schon versucht hat | |
herauszufinden", sagt Ehlail. Zwischen den fiktionalen Teilen äußern sich | |
echte Punklegenden zur Szene. Mit dabei sind unter anderem der ehemalige | |
Sänger der "Terrorgruppe", Archi Alert, und Wattie, Sänger von "Exploited". | |
Ehlail erklärt die Idee: "Die Episoden werden von Interviews mit | |
verschiedenen Punkpersönlichkeiten unterbrochen, die erzählen teils wahre | |
Storys aus ihrer Vergangenheit, nehmen aber zum größten Teil Bezug auf die | |
fiktionalen Geschehnisse im Film. So belegen reale Personen fiktive | |
Ereignisse und machen die Legende wieder rund." Ein Spiel also zwischen | |
Dokumentation und Fiktion. | |
Für sein aufwendiges Projekt hat der Regisseur Geld von der Saarländischen | |
und der Hessischen Filmförderung erhalten. Auch ein paar kleinere Firmen | |
haben den Dreh unterstützt. Insgesamt betrug das Budget rund 50.000 Euro. | |
Dafür leistet sich der Film Schauspieler wie Claude-Oliver Rudolph, Ralf | |
Richter und Martin Semmelrogge. Die meisten der Punks wurden über das | |
Internet gecastet. | |
Das ist alles andere als "Fuck the system". Kann ein Film, der mit per | |
Antrag erworbenen Staatsgeldern und Firmensponsoring produziert wird, | |
überhaupt wirklich Punk sein? Ehlail rechtfertigt: "Das tolle am Punksein | |
ist ja, dass man gegen alles und gleichzeitig so inkonsequent sein kann. | |
Punk wird immer mit so einer pseudolinkskulturellen Schwachmaten-Attitüde | |
verbunden, aber Punk war nie eine politische Bewegung in dem Sinn. Wenn ich | |
mir vorhandene Strukturen, die ich für total überflüssig halte, zunutze | |
machen kann, um für eine gute Idee zu profitieren, ist das auf keinen Fall | |
konträr zu Punk. Ich komme als ungelernter Borgdusiemir und kassiere die | |
Gelder. Till Eulenspiegel hätte das nicht besser gekonnt." | |
Und was ist mit den Schauspielern? Gibt es etwas Unpunkigeres, als für | |
einen Spielfilm Punk zu mimen, für die Kamera herumzuhampeln? Wie ein | |
Schoßhund beim Wort "Action" zu bellen? Auch hier hat Ehlail einen Beleg | |
für die Authentizität seines Filmes parat: "Sobald 50 unserer Leute am Set, | |
die alle selbst der Punkszene nahestehen, ihre Polizeikostüme anhatten, war | |
es so, als ob sich bei den Punks ein Hebel umgelegt hätte. Die haben | |
richtig drauflosgeprügelt und zum Teil echte Steine auf die Darsteller | |
geworfen. Als dann die echten Bullen noch kurz am Set vorbeigeschaut haben, | |
wäre die Situation beinahe eskaliert." Mit Megafon hielt Ehlail dann den | |
Nachwuchs doch unter Kontrolle. Der Altpunker als Deeskalateur, der als | |
Ordnungskraft wirkt? Ohne ein bisschen Bürgerlichkeit scheint man einen | |
solchen Film wohl doch nicht drehen zu können. | |
Egal wie, der Regisseur arbeitet zum ersten Mal in dieser Dimension. Drei | |
Filme hat er bisher gemacht. Alle waren dokumentarisch und wie das aktuelle | |
Thema exotisch. Während sich die ersten beiden noch mit selbstgedrehten | |
Spaßszenen begnügten, in denen Ehlail an Stierrennen in Spanien teilnimmt | |
oder in Saudi-Arabien bei einem Schießverein mit einer Kalaschnikow | |
herumballert, dokumentierte der dritte Film, "Deutschlands Golden Boy", das | |
Leben der trashigen Boxikone René Weller. Die Idee dafür kam durch eine | |
PR-Aktion für die anderen Filme. Ehlail tourte durch Deutschland sowie | |
Polen und veranstaltete rund 30 Boxpartys, bei denen sich jeder, der | |
wollte, zu Livemusik "auf die Fresse hauen durfte". Eine Art Work-out für | |
Punker, zu dem auch einmal René Weller eingeladen wurde. | |
Seine alternative Arbeitsweise will sich Ehlail bei "Chaostage" weiter | |
bewahren: "Es gibt im Prinzip keine einzige Regel, an die man sich halten | |
darf. Und wenn man sich mal eine Regel gesetzt hat, dann lässt sie sich | |
trotzdem zu gegebenem Zeitpunkt wieder brechen. Jeder kann tun, was er | |
will. Mit ein paar Ideen, einem Schweizer Taschenmesser und zwei Kumpels, | |
die mitmachen, kann man die Welt verändern." Mal sehen, ob er das schafft. | |
Bis zum Max-Ophüls-Filmfestival im Januar 2008 soll der Schnitt das | |
gedrehte Bilderchaos geordnet haben. | |
16 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Robert Ackermann | |
## TAGS | |
Punk | |
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