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# taz.de -- Mode: Jean-Paul und das Tutu
> Sein Entwurf für Madonnas spitzbrüstiges Korsett brachte den
> französischen Modemacher Gaultier zu großem Ruhm. Die wahre Show begann
> aber bereits fünf Jahre früher.
Bild: Stockholmer Lokführer, obenrum.
Schon Baudelaire und Balzac bemerkten ihrer Zeit: Die Anziehungskraft eines
Kleidungsstücks entfaltet sich erst durch die Kunst der Bewegung die es
belebt. Auch der Pariser Modemacher Jean Paul Gaultier - heute Chefdesigner
des traditionsreichen Modehauses Hermès - erkannte das von Beginn an und
konzipierte seine Fashion-Shows bewusst sehr szenisch indem er sein
gesamtes Schaffen auf künstlerischen Mischformen basierte. So entwarf er
beispielsweise 1990 die gesamte Bühnenkostümierung für Madonnas Welttournee
oder bekleidete auch 2004 Pedro Almodovars Schauspieler in dem kontroversen
Kinofilm "La mala educatión". Die Anfrage der damals 31 jährigen,
zeitgenössischen französischen Choreografin Régine Chopinot auf eine
Zusammenarbeit kam ihm somit wie gerufen. Es wurde zur Geburtsstunde einer
zehnjährigen Fusion von Tanz und Mode, in der zwischen 1983 und 2004
sechzehn Shows und Filme entstanden.
Das Musée de la Mode et du Textile in Paris, dass Régine Chopinots
Schenkung der dazu gehörigen Kostüme zum Anlass einer Retrospektive der
interdisziplinären Kollaboration nahm, versucht den Kleidern in diesem
Sommer noch ein letztes Mal Leben einzuhauchen. Einfach im Aufbau, führt
Olivier Saillaird's Ausstellung "Le Défilé" durch Gaultiers
Bühnenphantasien und überrascht - wie es der Meister selbst so gerne tut -
durch Spezialeffekte wie Hologramme die ein Korsett mal als leere Hülle,
mal mit einem Körper belebt präsentieren oder durch illustrierende
Filmausschnitte der "Le Défilé" Show die 1985 zum ersten Mal aufgeführt
wurde.
Das wohl erfolgreichste gemeinsame Werk der beiden Künstler, dem sich
Saillard insbesondere widmet, irritiert bewusst durch seinen Titel: Die
Modenshow. Auch die thematischen Gruppenkonstellationen und die Bühne in
"T"- Form erinnern an die klassische Catwalk Präsentation. "Handelt es sich
um eine Fashion Show oder ein Ballett?" fragt Régine Chopinot, wie um das
Geheimnis zu wahren.
Also doch ein gewöhnlicher Laufsteg des Prêt-à-Porter? So einfach ist es
aber nicht. Sowohl Chopinot als auch Gaultier - beide als "enfants
terribles" ihres Genres bekannt - waren hier auf der Suche nach neuen
Ausdrucksformen die den klassischen Rahmen ihrer jeweiligen Kunst sprengen.
In vierzehn Szenen und Figurengruppen unterteil, karikiert "Le Défilé" als
Mischform den Entstehungsprozess einer Kollektion, bedient sich aber
zugleich auch traditioneller Attribute des klassischen Tanzes wie zum
Beispiel dem Tutu. So baut Gaultier dem Tänzer in dem Abschnitt "Der Buckel
des Tanzes" das klassische Tüllröckchen, inklusive Beine in den Bauch
seines Jackets ein, so dass sich die Hebefigur mit der Ballerina quasi von
selbst erübrigt. Das als schwarzer reifen konzipierte Tutu in "Fenster auf
Körper" legt mal den Po, mal den gesamten Rücken frei, während die Tänzer
in "Die Kissen" mit einem Tutu aus seidenen Kissen über die Bühne hüpfen.
Regine Chopinot unterstützt die humorvolle Adaptation des Gewandes durch
einfache, mit dem Kostüm spielende Bewegungen.
Ganz besonders faszinierend erleben wir heute wie sicher auch damals die
"Le Défilé"-Themengruppe "Die Puzzle": Gaultier bekleidet Regine Chopinots
Ensemble mit opulenten, bunten Tüll-Skulpturen die alle gemeinsam als Teile
eines Puzzles funktionieren. So trägt dort beispielsweise eine der
Tänzerinnen ein voluminöses rotes Tülloberteil mit konischen Brüsten, die
sich bei der abschließenden Vereinigung perfekt in die Löcher des Kostüms
ihres Tanzpartners einfügen. Die Neuinterpretation des Tutus als fast
architektonische Erweiterung des Körpers erinnert an Gilles Deleuzes
Konzept des "Organlosen Körper" der die Grenzen des Körpers, die zwischen
zwei Körpern und damit auch die zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen
als zu brechende Illusion entlarvt.
Gaultier, der durch wilde Stil- Mischungen und rebellische Entwürfe wie die
des Männerrockes seit jeher versucht genau diese Grenzen aufzubrechen, hat
bei Chopinot die nötige Freiheit gefunden dem in überzogener,
komödiantischer Form Ausdruck zu verleihen. Seine Puzzle Stücke lassen uns
in ihrer scheinbaren Unförmigkeit und ihrem unbeholfenen
Bewegungsrepertoire erst schmunzeln, fügen sich dann aber erstaunlicher
Weise zu einem in sich stimmigen Gesamtkunstwerk von Körpern, Bewegung und
Kostüm zusammen.
Beeindruckend ist vor allem, dass das was losgelöst von kommerziellen
Zwängen und mit humoristisch persiflierenden Absichten entstand, das
stilistische Vokabular Jean Paul Gaultiers so stark prägte. Wie Saillaird
am Ausgang der Ausstellung mit dem Verweis auf Klassiker des Hauses Jean
Paul Gaultier zu verdeutlichen versucht, hat der Designer ganz
offensichtlich markante Elemente seiner Bühnenkostüme in spätere Prêt-à-
Porter und die Haute Couture Kollektionen übernommen: Das romantische Tutu,
gepaart mit der rockigen Lederjacke oder auch die konischen Brüste des
gaultierschen Korsetts die einige Jahre später durch Madonna Furore
machten. Der Modegott erweiterte in diesem besonderen "Pas de Deux" der
Künste seine Rolle des Übersetzers des Zeitgeistes - als der er sich selbst
gerne versteht - zu der eines Visionärs des Stils.
Mit diesen visionären Arbeiten und seinem Sinn für die Show hat er die Mode
Ende des 20. Jahrhunderts revolutioniert und bleibt bis heute
Inspirationsquelle für viele Designer. Besonders auffällig zeigte sich der
Einfluss der Modeikone bei der Before Minus-Show (Spring/Summer 2000) des
türkischen Designers Hussein Chalayan: Während der Präsentation eines
rigiden Glasfaser-Kleides kam ein Junge auf den Catwalk, nahm dem Model die
synthetische Hülle ab und legte damit ein opulentes rosa Tüllkleid frei.
Die performative Ästhetik von "Die Puzzle" tanzt somit weiter durch die
Modewelt.
20 Aug 2007
## AUTOREN
Annabelle Hirsch
## TAGS
Rock
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