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# taz.de -- Jean Paul Gaultier: Körper, Bewegung und Kostüm
> Das Pariser Modemuseum dokumentiert die intensive Zusammenarbeit von Jean
> Paul Gaultier mit der Choreografin Régine Chopinot.
Bild: Models mit Gaultier-Kollektion für 2007
Schon Baudelaire und Balzac bemerkten zu ihrer Zeit: Die Anziehungskraft
eines Kleidungsstücks entfaltet sich erst durch die Kunst der Bewegung, die
es belebt. Auch der Pariser Modemacher Jean Paul Gaultier - heute
Chefdesigner des traditionsreichen Modehauses Hermès - erkannte das von
Beginn an und konzipierte seine Fashion-Shows bewusst sehr szenisch, indem
er sein gesamtes Schaffen auf künstlerischen Mischformen basierte. So
entwarf er 1990 die gesamte Bühnenkostümierung für Madonnas Welttournee
oder bekleidete 2004 Pedro Almodóvars Schauspieler in dem kontroversen Film
"La mala educación - Schlechte Erziehung". Die Anfrage der damals
31-jährigen zeitgenössischen französischen Choreografin Régine Chopinot,
mit ihm zusammenzuarbeiten, kam deshalb wie gerufen. Es wurde zur
Geburtsstunde einer Fusion von Tanz und Mode, in der zwischen 1983 und 2004
sechzehn Shows und Filme entstanden.
Das Musée de la Mode et du Textile in Paris, das Régine Chopinots Schenkung
der dazugehörigen Kostüme zum Anlass einer Retrospektive der
interdisziplinären Zusammenarbeit nahm, versucht den Kleidern in diesem
Sommer ein letztes Mal Leben einzuhauchen. Einfach im Aufbau, führt Olivier
Saillards Ausstellung "Le Défilé" durch Gaultiers Bühnenfantasien und
überrascht - wie es der Meister selbst so gerne tut - durch Spezialeffekte
wie Hologramme, die ein Korsett mal als leere Hülle, mal mit einem Körper
belebt präsentieren oder durch illustrierende Filmausschnitte der "Le
Défilé"-Show, die 1985 zum ersten Mal aufgeführt wurde.
Das wohl erfolgreichste gemeinsame Werk der beiden Künstler, dem sich
Saillard insbesondere widmet, irritiert bewusst durch seinen Titel: "Die
Modenshow". Auch die thematischen Gruppenkonstellationen und die Bühne in
T- Form erinnern an die klassische Catwalk-Präsentation. "Handelt es sich
um eine Fashion-Show oder ein Ballett?", fragt Régine Chopinot, wie um das
Geheimnis zu wahren.
Also doch ein gewöhnlicher Laufsteg des Prêt-à-porter? So einfach ist es
aber nicht. Sowohl Chopinot als auch Gaultier waren auf der Suche nach
neuen Ausdrucksformen, die den klassischen Rahmen ihrer jeweiligen Kunst
sprengen. In vierzehn Szenen und Figurengruppen unterteilt, karikiert "Le
Défilé" als Mischform den Entstehungsprozess einer Kollektion, bedient sich
aber zugleich auch traditioneller Attribute des klassischen Tanzes wie zum
Beispiel des Tutu.
So baut Gaultier dem Tänzer in dem Abschnitt "Der Buckel des Tanzes" das
klassische Tüllröckchen, inklusive Beine, in den Bauch seines Jacketts ein,
so dass sich die Hebefigur mit der Ballerina quasi von selbst erübrigt. Das
als schwarzer Reifen konzipierte Tutu in "Fenster auf Körper" legt mal den
Po, mal den gesamten Rücken frei, während die Tänzer in "Die Kissen" mit
einem Tutu aus seidenen Kissen über die Bühne hüpfen. Régine Chopinot
unterstützt die humorvolle Adaptation des Gewandes durch einfache, mit dem
Kostüm spielende Bewegungen.
Besonders faszinierend: die "Le Défilé"-Themengruppe "Die Puzzles":
Gaultier bekleidet Régine Chopinots Ensemble mit opulenten bunten
Tüll-Skulpturen, die alle gemeinsam als Teile eines Puzzles funktionieren.
So trägt dort beispielsweise eine der Tänzerinnen ein voluminöses rotes
Tülloberteil mit konischen Brüsten, die sich bei der abschließenden
Vereinigung perfekt in die Löcher des Kostüms ihres Tanzpartners einfügen.
Gaultier, der durch wilde Stilmischungen und rebellische Entwürfe, wie den
des Männerrocks, seit jeher versucht, genau diese Grenzen aufzubrechen, hat
bei Chopinot die nötige Freiheit gefunden, dem in überzogener,
komödiantischer Form Ausdruck zu verleihen. Seine Puzzle-Stücke lassen uns
in ihrer scheinbaren Unförmigkeit und ihrem unbeholfenen
Bewegungsrepertoire erst schmunzeln, fügen sich dann aber
erstaunlicherweise zu einem in sich stimmigen Gesamtkunstwerk von Körpern,
Bewegung und Kostüm zusammen.
Beeindruckend ist vor allem, dass das, was losgelöst von kommerziellen
Zwängen und mit humoristisch persiflierenden Absichten entstand, das
stilistische Vokabular Gaultiers so stark prägte.
Wie Saillard am Ausgang der Ausstellung mit dem Verweis auf Klassiker des
Hauses Jean Paul Gaultier zu verdeutlichen versucht, hat der Designer ganz
offensichtlich markante Elemente seiner Bühnenkostüme in spätere
Prêt-à-porter- und die Haute-Couture-Kollektionen übernommen: das
romantische Tutu, gepaart mit der rockigen Lederjacke, oder auch die
konischen Brüste des Gaultierschen Korsetts, die einige Jahre später durch
Madonna Furore machten. Gaultier erweiterte in diesem besonderen "Pas de
deux" der Künste seine Rolle des Übersetzers des Zeitgeistes - als der er
sich selbst gerne versteht - zu der eines Visionärs des Stils.
"Jean Paul Gaultier, Régine Chopinot. Le Défilé". Bis zum 23. September im
Musée de la Mode et du Textile, Paris, 107 rue de Rivoli. Dienstag bis
Freitag, 11 bis 18 Uhr, am Wochenende 10 bis 18 Uhr
21 Aug 2007
## AUTOREN
Annabelle Hirsch
## TAGS
Einblick
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