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# taz.de -- Kommentar: An der Schwelle zum Pogrom
> Die Besorgnis über den Standort Sachsen verstellt den Blick darauf, dass
> die Hetzjagd von Mügeln keine normale alkoholisierte Massenschlägerei
> unter Saufkumpanen war.
Bild: Die Gewalttäter von Bernburg vor dem Magdeburger Landgericht
Alles ist wie immer. Wie im Falle des Überfalls auf Schauspieler in
Halberstadt äußern jetzt Politiker Betroffenheit, Bestürzung und
Ratlosigkeit über die Vorgänge in Mügeln. Für vielleicht zwei Tage steigt
das Thema rechtsextreme Gewalt zur Schlagzeile überregionaler Medien auf.
Nicht, dass es dort etwa gut aufgehoben wäre. Denn die Reflexe der Medien
und die Rituale der Politiker verstellen den Blick darauf, dass Mügeln und
Halberstadt, Pömmelte und Pretzien keine zufällige Abfolge von
bedauernswerten Ereignissen sind, sondern ihre Ursachen in der
Normalisierung rechtsextremer Lebenswelten und Ressentiments in der Mitte
der ostdeutschen Gesellschaft haben.
Die besorgten Fragen nach dem Ruf des Standorts Sachsen verstellen den
Blick auf lokale Eliten und Polizeibehörden, denen offenbar keine
rhetorische Verrenkung zu peinlich ist, um das Kind nicht beim Namen nennen
zu müssen; dass nämlich die Hetzjagd von Mügeln keine normale
alkoholisierte Massenschlägerei unter Saufkumpanen war, sondern eine
fremdenfeindlich motivierte Tat, an der Schwelle zum Pogrom.
Dass Neonazis in der Mitte der Gesellschaft auf Resonanz stoßen, geht heute
fast jedem Politiker flott von den Lippen. Was dies für Opfer rechter
Gewalt bedeutet, kann jedoch nur ermessen, wer sich deren Perspektive zu
eigen macht. Dann stellen sich alltägliche Diskriminierung, Übergriffe und
eine Hetzjagd, wie jene in Mügeln, nicht als mediale Ereignislage dar,
sondern als existentielle Bedrohung des Menschenrechts auf körperliche
Unversehrheit.
Die Debatte um Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland
ist allerseits in Klischees erstarrt. Die griffbereiten Textbausteine
Plattenbauten und Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und
Jungmännerüberschuss, erklären rechtfertigend, was nicht zu rechtfertigen
ist: der Verlust an moralischem und zivilisatorischem Anstand gegenüber
Migranten, nicht-rechten Jugendlichen und anderen potenziellen Opfern
rechter Gewalt. Wer dies nicht offensiv benennt, verharmlost die
gesellschaftliche Tragweite rechtsextremer und fremdenfeindlicher
Gewalttaten.
Im Interesse der Opfer braucht es eine Kehrtwende in den Reaktionsritualen
von Politik und Medien. Erstere müssen nicht nur Abscheu bekunden, sondern
Rückhalt für die Opfer signalisieren und sich konkret für sie einsetzen.
Die Medien müssen davon ablassen, immerfort Experten jeder Colour zu
befragen, und den Opfern eine Stimme, ein Gesicht, kurz: ihre Würde
zurückgeben.
22 Aug 2007
## AUTOREN
David Begrich
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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