# taz.de -- Bienenkunde: Optimale Völkerführung | |
> Seit Jahren gibt es Berichte über das Bienensterben - eine Spezies, die | |
> aus unserem Leben nicht wegzudenken ist. Trotdem ginge es auch ohne sie | |
> weiter, sagt Bienenforscherin Elke Genersch. | |
Bild: "Honigvögelein" bei der Arbeit | |
Ihr Honigvögelein, die ihr von den Violen und Rosen abgemeyet den | |
wundersüßen Safft. Die ihr dem grünen Klee entzogen seine Krafft. Die ihr | |
das schöne Feld so oft und viel bestohlen. Ihr Feldeinwohnerin, was wollet | |
ihr doch holen, was so euch noch zur Zeit hat wenig Nutz geschafft, weil | |
ihr mit Dienstbarkeit des Menschen seyd behafft. Und ihnen mehrenteils das | |
Honig musset zohlen? Martin Opitz, 1623 | |
"Stirbt die Honigbiene aus?", "Mysteriöses Bienensterben" - "Dramatische | |
Völkerverluste auch in Deutschland" - "Bestäubung der Obstblüte in Gefahr!" | |
Seit Jahren gibt es alarmierende Schlagzeilen über das Bienensterben. Von | |
1993 bis 2006 gingen bei uns knapp 43 Prozent der Bienenvölker verloren, | |
schätzen Experten. Rundfunk und Fernsehen brachten Berichte, die Zeitungen | |
- vom Imkerblatt bis zur FAZ - widmeten sich dem Thema. Es wurde | |
umfangreich geschrieben über das rätselhafte Verschwinden von zigtausend | |
Bienenvölkern in den USA, es gibt Mutmaßungen, dass sich eine solche | |
Katastrophe auch hier in Europa anbahnt. | |
600.000 bis 800.000 Bienenvölker mit bis zu 13 Milliarden Bienen wären in | |
Deutschland vom Aussterben bedroht. Die Folgen wären unabsehbar, denn die | |
Bienen sind ja nicht nur Honigproduzenten, sie bestäuben auch mehr als 80 | |
Prozent des deutschen Obst- und Gemüseanbaus, dazu noch Wildblüten. Wir | |
können uns die Bienen nicht wegdenken, sie sind ein fester Bestandteil in | |
unserem kulturellen Gedächtnis, was nicht zuletzt auch Wilhelm Busch in | |
seiner Bildergeschichte "Schnurrdiburr oder die Bienen" wunderbar | |
dargestellt hat. Wenn sie also krank sind, ist das ein Grund zur Sorge. | |
Gründe, so ist zu lesen, gibt es viele. Welche es - außer den 40.000 Tonnen | |
an Schädlingsbekämpfungsmitteln, die jährlich auf unsere Nutzpflanzen | |
niedergehen - sein könnten, was sie krank werden lässt, das möchten wir | |
Frau Dr. Elke Genersch fragen. Wir fahren hinaus nach Hohen Neuendorf, das | |
nördlich vor den Toren Berlins im Bundesland Brandenburg liegt. Hier | |
residiert seit 1952 das Länderinstitut für Bienenkunde (LBI, gegr. 1923) in | |
einer alten Villa mit Park und eigener Imkerei. Die Aufgabe des LBI besteht | |
in praxisorientierter Forschung zum Erhalt der Honigbiene, in der Lehre und | |
Betreuung von Diplom- und Doktorarbeiten, in Dienstleistungen wie Schulung | |
und Beratung, Honiganalytik und Krankheitsdiagnostik sowie in | |
Veranstaltungen für Besucher. | |
Frau Dr. Genersch empfängt uns in ihrem Büro. Über das dramatische Szenario | |
in den Medien lächelt sie mild und erklärt, es gebe aktuell kein | |
dramatisches Bienensterben. "Tatsache ist, dass die Winterverluste | |
deutschlandweit bei unter 10 Prozent lagen. Der Normalwert liegt zwischen | |
10 und 20 Prozent. Verluste gibt es immer. Und es kann natürlich auch schon | |
im Herbst zu Verlusten kommen, wenn zum Beispiel gegen die Varroamilbe | |
schlecht oder falsch behandelt wurde. Wenn das Volk an der Varroamilbe | |
eingeht, an zu starkem Varroabefall, dann passiert es sehr häufig, dass die | |
Bienen tatsächlich verschwinden. Sie sind plötzlich weg. Wir haben dafür | |
den Fachbegriff 'kahlfliegen'. Also das, was jetzt in den USA als | |
vollkommen neues Phänomen dargestellt wird, das Bienenverschwinden, ist | |
eigentlich normal und liegt in der Biologie der Biene. Ihr letzter Dienst | |
am Volk ist, dass sie zum Sterben wegfliegt. Die Bienen sehen ihren Stock | |
nicht als Hospiz, wenn sie sich schlecht fühlen. Die Bienen fliegen aus, um | |
zu sammeln, wie es ihre Aufgabe ist, und sie sterben dann eben außerhalb | |
irgendwo, weil sie nicht mehr können. Also sie verlassen den Stock nicht | |
als Schwarm, der verschwindet, sondern als einzelne Biene, die dann eben | |
draußen bleibt und stirbt. Und es gibt ja auch das ganz normale | |
Bienensterben - wir sind jetzt am Ende des Bienenjahres. Es gehen momentan, | |
das müssen Sie sich mal vorstellen, etwa zweieinhalbtausend Bienen pro Volk | |
und Tag verloren, ein starkes Volk kann im Sommer bis zu 80.000 Bienen | |
haben, aber sie haben nur eine Lebenszeit von zwei bis drei Wochen im | |
Sommer, länger leben sie nicht, die Arbeiterinnen. Bei den Winterbienen ist | |
es anders, sie müssen vier bis sechs Monate überleben. Jetzt grade - ab | |
Juli, August - werden die Winterbienen großgezogen. Und weil das Bienenjahr | |
zu Ende ist, müssen wir demnächst anfangen, die Bienen einzufüttern. Sie | |
fliegen natürlich noch bis Oktober, aber was sie da eintragen, das reicht | |
ja nicht, um das Volk über den Winter zu bringen. Weil wir ihnen ja vorher | |
allen Honig geklaut haben, können wir sie nicht auf dem bisschen sitzen | |
lassen, das sie über die Spätsommerwiesen noch reinkriegen. Ich habe meine | |
Bienen letztes Jahr mit ganz normalem Haushaltszucker, in Wasser aufgelöst, | |
gefüttert. Das ist eine der Methoden. Und das ist nicht wirklich schlechter | |
als der Honig. Alles, was Heilkraft ist am Honig, das hat die Biene | |
reingebracht, sozusagen durch Bienenspucke. Wenn nun die Bienen | |
Zuckerwasser eintragen, dann verarbeiten sie es genauso wie den | |
Blütennektar, geben ihre Enzyme und alles dazu und machen daraus ihr | |
Winterfutter. Die Bienen sind es ja gar nicht mehr anders gewöhnt. Seit | |
8.000 Jahren wird Bienenhaltung betrieben, und es ist natürlich auch ein | |
Ergebnis der Zucht, dass sie viel mehr sammeln, als sie brauchen, bis zum | |
Zehnfachen dessen, was sie als Winterfutter bräuchten. So ein | |
Wirtschaftsvolk kann in einem Jahr 40 bis 50 Kilogramm Honig sammeln. In | |
Syrien zum Beispiel liegt die Leistung bei 5 bis 10 Kilogramm pro Jahr. | |
Mein Fachgebiet ist ja Bienenkrankheiten. Dadurch, dass die Biene seit | |
Jahrtausenden das Nutzinsekt ist, haben wir die einmalige Situation, dass | |
wir ihre Krankheiten recht gut kennen, wir wissen, wie die Krankheiten | |
aussehen, das ist sehr gut beschrieben, aber sie sind bei weitem nicht so | |
gut untersucht. Bienenkrankheiten sind zu lange stiefmütterlich von der | |
Forschung behandelt worden. Bienen können, vom Erreger her, alle | |
Infektionskrankheiten bekommen, die auch bei anderen Tieren und beim | |
Menschen vorkommen, also Viruskrankheiten, bakterielle Erkrankungen, | |
Pilzkrankheiten, und Bienen haben Parasiten. Die Bienenkrankheiten sind | |
eine fantastische Nische, jede Frage, die wir als Molekularbiologen | |
stellen, ist quasi noch unbeantwortet und eröffnet ein neues Projekt. Da | |
ist noch eine direkte Wirkung der Forschungsergebnisse möglich, ich kann | |
richtig von unten anfangen. Wie faszinierend das ist, können Sie am | |
Beispiel der amerikanischen Faulbrut sehen. Die AFB ist eine bakterielle | |
Erkrankung der Honigbienenlarven, ist weltweit verbreitet, hoch ansteckend | |
und führt in der Regel zum Zusammenbruch der erkrankten Völker. In | |
Deutschland ist sie eine anzeigenpflichtige Tierseuche. Bereits der | |
Verdacht muss dem Amtstierarzt gemeldet werden. In Deutschland ist die AFB | |
extrem häufig. Sie ist nicht zu behandeln, wenn sie erst einmal | |
ausgebrochen ist. In aller Regel wird der Amtstierarzt das Abschwefeln der | |
erkrankten Völker verfügen, also das Töten. Der Erreger der AFB ist ein | |
Bakterium, das Sporen bildet. Die infektiöse Form sind die Sporen. Wenn die | |
im Futtersaft sind, dann verfüttern sie die Ammenbienen an die Larven, und | |
die zersetzen sich dann zu einer fadenziehenden Masse. Beim Versuch, die | |
Zellen für die nächste Eiablage zu reinigen, kontaminieren sich die | |
Ammenbienen mit den Sporen, die sie dann auf die nächste Brut übertragen, | |
die immer kränker wird. Dadurch schaukelt es sich auf. | |
Und was nun die Forschungsarbeit betrifft, so haben wir ein Rätsel in der | |
Faulbrutdiagnostik lösen können, unsere Arbeitsgruppe hier am Institut. Es | |
gab bis dahin Diagnoseprobleme, es gab Fälle, in denen das Volk sichtbar | |
krank war, das Labor konnte aber, wenn es sich an die Regeln gehalten hat, | |
den Erreger nicht nachweisen. So konnte der Amtstierarzt die Seuche auch | |
nicht offiziell als ausgebrochen erklären. Das war natürlich ein großes | |
Problem. 100 Jahre nach der Erstbeschreibung des Erregers haben wir das | |
Rätsel gelöst. Wir haben gezeigt mit molekularen Methoden, dass der Glaube, | |
der 50 Jahre existierte, es gebe einen nahen Verwandten, der aber nicht | |
gefährlich ist für die Bienen, der Glaube an ein Märchen war. Er ist | |
genauso gefährlich für die Bienen! Und wir konnten beweisen, dass alle | |
Vertreter dieser Spezies die Symptome der Faulbrut verursachen, nämlich | |
Zersetzung zur fadenziehenden Masse. Das heißt, wir bewegen doch wirklich | |
was. Wir bekommen auch Anerkennung, muss ich sagen. Sie läuft über die | |
Veröffentlichung in einem internationalen Journal, es ist zuständig dafür, | |
die korrekte Klassifizierung von Mikroorganismen zu veröffentlichen. Die | |
haben einen extrem genauen Gutachterprozess. Vor jeder Veröffentlichung | |
wird akribisch überprüft, denn im Moment der Veröffentlichung ist es | |
international verbindlich. Wir haben auch gezeigt, dass es | |
Gefährlichkeitsunterschiede bei Erregern gibt, das war bisher nicht | |
untersucht worden - eigentlich eine Banalität -, aber wir konnten zeigen, | |
es gibt Virulenzunterschiede. Also für unseren Bereich ist natürlich die | |
Anerkennung in den USA immer so ein Maßstab dafür, dass man es jetzt | |
geschafft hat, über die eigenen Grenzen hinaus bekannt zu sein. Ich bin | |
jetzt auch beteiligt an der Annotierung von dem Genom des Bakteriums, ich | |
bin zuständig für die Gefährlichkeitsfaktoren. Und dazu bin ich eben | |
eingeladen worden aus den USA. Wir gehören also, was das angeht, möchte ich | |
mit Stolz sagen, weltweit zu den führenden Laboren. Unser kleines Labor | |
hier. | |
Das muss auch anerkannt werden, damit es nicht so eine Nischenexistenz in | |
einem Bieneninstitut fristet, Bienenphologie muss ein eigenständiges | |
Forschungsgebiet werden, was auch Geld braucht und wo man die Kompetenz | |
bündelt, um die richtigen Zusammenhänge zu finden, beispielsweise bei der | |
Virusforschung. Das ist übrigens unser drittes Standbein. Wir haben drei | |
Standbeine: Amerikanische Faulbrut, Darmparasiten und Viren. Mich | |
interessiert Varroa als Virusübertragung. Der Überträger, die Varroamilbe, | |
ist ein sogenannter Ektoparasit, ein Spinnentier mit acht Beinen. Es | |
siedelt auf der Biene, saugt Haemolymphe durch die Zwischenringhäutchen aus | |
ihrem Wirt und ist mit bloßem Auge zu sehen. Es verbreitet sich, ebenso wie | |
auch die anderen Krankheiten, durch Übertragung von Stock zu Stock, durch | |
Räuberei und Verflug. Die Bienen verfliegen sich manchmal, finden nicht in | |
den eigenen Stock und fliegen woanders rein. Und die Bienen räubern! Also | |
wenn ein Volk schwach wird, merken das andere Bienen, dann fliegen sie los | |
und räubern das Volk aus und holen sich den Honig. Ist ja viel einfacher, | |
statt sich Blüten zu suchen, den fertigen Honig auszuräubern." Wir lachen, | |
meine Freundin Elisabeth bemerkt trocken: "Wie menschlich!" Frau Dr. | |
Genersch lächelt und sagt: "Richtig! Oder es gibt auch das Einbetteln, | |
Bienen aus einem schwachen Volk kommen angeflogen und betteln sich | |
vorsichtig bei den Wächterbienen ein, geben ihnen etwas Honig und dürfen | |
rein. So ein Parasit wie die Varroamilbe, der hat genug Möglichkeiten, sich | |
zu verbreiten. Durch das Verhalten der Bienen, aber auch durch imkerliche | |
Praktiken. Imker stellen die Waben von einem Volk ins andere und so weiter. | |
Und jetzt kommen wir zum Eigentlichen: Die Varroamilbe vermehrt sich nicht | |
auf der Biene, sondern auf der Bienenbrut bzw. in der verdeckelten Zelle. | |
Mit Beginn der Metamorphose verdeckeln die Ammenbienen die Zellen der | |
Streckmaden, und kurz vor der Verdeckelung steigt die Varroamilbe, also das | |
Muttertier, hinein, lässt sich mit verdeckeln und legt zuerst ein Ei, aus | |
dem sich ein Männchen entwickelt. Danach legt sie ein paar Eier, aus denen | |
sich Töchter entwickeln, die vom Sohn befruchtet werden. Danach stirbt der | |
Sohn. Die Milben entsteigen zusammen mit der fertigen Biene der Zelle, und | |
bis dahin saugen sie auch Haemolymphe. Dabei können sie das | |
Flügeldeformationsvirus übertragen. | |
Das Flügeldeformationssymptom ist unser Hauptmodellsystem, weil es relativ | |
einfach zu untersuchen ist. Normalerweise haben Sie bei Bienenviren nur die | |
zwei Zustände: lebend oder tot. Es gibt keine Symptombeschreibungen, wie | |
bei unseren Viruserkrankungen. Das ist beim Flügeldeformationsvirus | |
(DWV-Virus) anders. Dieses Virus verursacht, wenn es von der Varroamilbe, | |
während sie auf der Puppe parasitiert, übertragen wird, verkrüppelte Flügel | |
bei den schlüpfenden Bienen. Aber nicht in jedem Fall! Wenn ich 100 mit | |
Varroa infizierte Puppen habe, dann mögen 10 mit verkrüppelten Flügeln | |
schlüpfen - im Herbst vielleicht mehr -, der Rest schlüpft ganz normal. | |
Aber wir haben wenigstens lebende Bienen, die Symptome haben, die wir einem | |
bestimmten Virus zuordnen. Diese Bienen sind nicht wirklich lebensfähig, | |
weil sie ja ihre Arbeit nicht richtig ausführen können und weil sie im | |
Stock nicht geduldet werden. Ob sie sofort beseitigt werden, scheint davon | |
abzuhängen, wie schwer die Symptome sind, spätestens aber wenn sie | |
rausfliegen sollen und nicht können, weil die Flügel fehlen oder | |
verkrüppelt sind, werden sie rausgeschmissen. Da kommen ein bis zwei | |
Bienen, schnappen sich die, es gibt so ein Knäuel, und draußen lassen sie | |
die Kranke einfach fallen. Die krabbelt dann vor dem Stock rum, bis sie | |
verhungert oder an der Virusinfektion eingeht. | |
Das sind alles Sachen, die sind noch nicht geklärt. Verhungern die? Gehen | |
sie an dem Virus ein? Wie breitet sich das Virus im Körper aus? Wie kommt | |
es zu den Verkrüppelungen? Was läuft in der Puppe ab, damit dieses Virus | |
als Symptom verkrüppelte Flügel verursachen kann? Diese und andere Fragen | |
stellen wir uns. Gut, das ist also die Virensache, mit der wir uns grade | |
beschäftigen, und dadurch, dass sie wirklich neu ist, können wir auch sehr | |
gut international veröffentlichen. | |
Es gibt natürlich noch viele andere Viren, aber an denen arbeiten Kollegen | |
im In- und Ausland, da sind die Gebiete ein bisschen abgesteckt. Mit Pilzen | |
zum Beispiel befassen wir uns ganz bewusst nicht. Weil wir einfach auch die | |
Labormöglichkeiten nicht haben, um alle Erreger sicher nebeneinander | |
behandeln zu können. | |
Ich habe kein Pilzlabor, ich möchte auf keinen Fall meine Bakterienkulturen | |
verpilzt bekommen. Und - ich habe keine Ahnung von Pilzen. Das ist ein | |
extrem schwieriges Gebiet. Wir haben jetzt allerdings mit einem | |
Darmparasiten, mit Nosema, das ist - und jetzt widerspreche ich mir - fast | |
ein Pilz!" | |
Sie lacht. "Ein Mikrosporidium, und die Klassifizierung, was es jetzt genau | |
ist, ist noch nicht ganz abgeschlossen. Das machen aber nicht wir. Es gab | |
eine Form von Nosema, mit der sich die europäische Biene (Apis mellifera) | |
arrangiert hatte: Nosema apis. Die Sporen sind in vielen Völkern, die | |
Nosemose muss aber nicht ausbrechen. Bricht sie aber aus, dann können die | |
Bienen auch eingehen. 1996 wurde in Asien ein Verwandter von Nosema apis | |
bei der asiatischen Honigbiene (Apis cerana) gefunden. Und der hat jetzt im | |
letzten Jahrzehnt den Wirt gewechselt, von der asiatischen auf die | |
europäische Honigbiene, und sich rasant ausgebreitet. | |
In vielen Gebieten gibt es heute nur noch Nosema ceranea. Das heißt, dieser | |
neue Darmparasit scheint den alten zu verdrängen, und dies kann mit höheren | |
Völkerverlusten einhergehen. Da fängt die Erkenntnisgewinnung grade erst | |
an. Nosema ceranae ist auch bei uns schon weit verbreitet, viele Völker | |
haben beide Darmparasiten. Jetzt müssen wir herausfinden: Gibt es wirklich | |
ursächliche Zusammenhänge zwischen Völkersterben und Nosema ceranae? Wenn | |
die Bienen Durchfall bekommen, überträgt es sich schneller? Das sind alles | |
Fragen, die wir beantworten müssen, und zeitweise müssen wir schon daran | |
arbeiten, eine Behandlungsmöglichkeit zu finden. Früher, bei Nosema apis, | |
konnte der Imker durch optimale Völkerführung diese Krankheit wieder in den | |
Griff bekommen, indem er zum Beispiel mehr Jungbienen gefördert hat, weil | |
eben vorwiegend die Altbienen erkranken. Womöglich, wir wissen es noch | |
nicht, ist das bei Nosema ceranae nicht möglich. Es gab früher auch | |
Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika oder Antiinfektiva bei | |
Bienenvölkern, das ist in Europa aber inzwischen verboten, wegen der | |
Rückstandsproblematik im Honig. Es muss zum Beispiel etwas sein, was | |
natürlicherweise auch im Honig vorkommt. Die Varroamilbe wird jetzt in der | |
Regel mit organischen Säuren wie Ameisen-, Milch- und Oxalsäure behandelt, | |
man kann sie einsetzen, ohne befürchten zu müssen, dass es zu | |
Resistenzentwicklungen kommt. Die Anwendung ist recht gut wirksam und | |
verschafft uns genug Zeit für das, was Professor Bienefeld macht - der | |
Leiter unseres Instituts hier -, die Vorroa-tolerante Biene zu züchten. Das | |
wäre bei Nosema auch ein Fernziel, also die entsprechende Immunabwehr gegen | |
solche Krankheiten in den Bienen heranzuzüchten. Aber in der Zwischenzeit | |
müssen wir sie behandeln können. | |
Sehr wichtig ist auch die Art und Weise, wie neue Pathogene, neue | |
Krankheitserreger hier reinkommen. Eben nicht nur über Bienenforscher, wie | |
im Fall der Varroamilbe " Wir geben unserer Überraschung Ausdruck. "Na ja | |
es ist ja allgemein bekannt. Die Varroamilbe, Varroa destructor, ist in den | |
70er-Jahren von Bienenforschern eines Bieneninstituts - Namen tun hier | |
nichts zur Sache - nach Deutschland eingeschleppt worden. Sie brachten die | |
asiatischen Bienen Apis cerana mit, um daran zu forschen. Die Varroamilbe | |
sitzt auf der Apis cerana, richtet dort aber keinen Schaden an. Aber wie | |
gesagt, die Pathogene kommen eben nicht nur über die Bienenforscher zu uns, | |
sondern natürlich über den Handel mit Bienen weltweit, mit Königinnen. Also | |
ich kann mir Königinnen schicken lassen, Bienenköniginnen muss man sowieso | |
immer mit Pflegebienen verschicken. Ich kann mir aber auch so ein kleines | |
Volk gleich als 'Paketbienen' kaufen, die werden im Paket verschickt. Es | |
ist in Europa verboten wegen des hohen Risikos, aber es sind die Imker | |
selbst, die dieses Risiko und das Verbot ignorieren, weil sie gehört haben, | |
dass diese Biene, diese Königin besonders gut sein soll. | |
Das Verbot von Bienenimporten einzuhalten ist sehr wichtig, vor allem wegen | |
des Kleinen Beutenkäfers, der in den USA bereits verheerende Schäden | |
angerichtet hat. Es besteht die große Gefahr, dass er auch nach Europa | |
eingeschleppt wird. Ursprünglich stammt er aus Afrika, 1996 wurde er im | |
Süden der USA entdeckt und hat sich inzwischen im ganzen Land ausgebreitet, | |
bis hinauf nach Kanada. Noch spielt er bei uns keine Rolle, es gibt aber | |
vorsorglich eine Anzeigepflicht in der EU. Der ist in der Lage, Imkereien | |
mit tausenden von Völkern dem Erdboden gleichzumachen, das kann man sich | |
nicht vorstellen. Der ernährt sich von allem, was in dem Volk drin ist, | |
Eier, Blut, Honig, Pollen, der vermehrt sich ganz fantastisch in den | |
Völkern. In einem Film wurde eine amerikanische Großimkerei gezeigt, man | |
sah eine riesige Lagerhalle mit Betonfußboden. Der Imker ging in | |
Gummistiefeln durch diese Lagerhalle, weil er zentimeterhoch durch die | |
Maden dieses Kleinen Beutenkäfers gewatet ist. Diese Imkerei war platt. | |
Also es war sehr eindrucksvoll. | |
Aber kommen wir wieder zurück zu den Krankheiten, die wir hier haben. Noch | |
mal zu den Ursachen: Ein Bienenvolk hat so viele Faktoren um sich herum, | |
nicht nur Krankheiten, auch Umweltbedingungen usw. Ich muss, wenn ich über | |
Bienensterben rede, nicht zwanghaft nach einem einzigen Grund suchen. Ich | |
kann vielleicht sagen, dieses Jahr hat die Varroamilbe das Fass zum | |
Überlaufen gebracht. Und zwar in Regionen, in denen Pflanzenschutzmittel | |
ein Problem waren, aber auch in Regionen, in denen die Trachtversorgung ein | |
Problem war, und auch in Regionen, in denen das Wetter ein Problem war. Wir | |
haben drei verschiedene Bedingungen, die bedeuten, diesen Völkern geht es | |
nicht gut. Und jetzt kommt noch ein Faktor drauf, und alle kippen um. Hier | |
hängt eine Tabelle an der Wand. Das sind die Völkerverluste in der | |
Vergangenheit. Sie sehen hier: 1945/1946 außergewöhnliche Winterverluste. | |
Es war ein sehr kalter Winter und just Kriegsende, Zucker war Mangelware. | |
Aber 1962/1963, 1972/73 und 1974/75 gab es die Verluste ebenso, 1995/96 und | |
2002/03 waren sie teilweise zwar höher, aber die Winterverluste gab es | |
immer, schon vor dem Saatgutbeizmittel, schon vor der Varroamilbe, schon | |
vor gentechnisch veränderten Pflanzen. Das heißt, es muss Gründe geben, die | |
unabhängig davon sind. Was nicht heißt, dass zum Beispiel die Varroamilbe | |
keinen Schaden anrichtet. Sie ist einfach ein zusätzlicher Faktor gewesen. | |
Ebenso verhält es sich mit Saatgutbeizmitteln und gentechnisch veränderten | |
Organismen, GVOs. Bei uns sind nur 0,16 Prozent der Flächen mit GVOs | |
belastet, aber die Bienenverluste waren flächendeckend. Gentechnisch | |
veränderte Organismen können als zusätzlicher Faktor dazukommen. Es muss | |
aber nicht so sein. Ich darf sie nicht als alleinigen Faktor an den Pranger | |
stellen wollen. Die Gefahr, die ich dabei sehe, ist: Wenn ich aus | |
ideologischen Gründen einen bestimmten Schuldigen anprangere, dann kann es | |
mir passieren, dass ich den wahren Schuldigen laufen lasse, dass ich nicht | |
mehr neutral das Ganze angucke. | |
atürlich, ich kann nur gute, fundierte Antworten liefern in dem Gebiet, das | |
ich beherrsche. Das sind die Bienenkrankheiten. Das sind nicht | |
Pflanzenschutzmittelvergiftungen und Ähnliches. Aber ich interessiere mich | |
dafür, halte mich auf dem Laufenden. Es gibt grade jetzt zu | |
genmanipulierten Pflanzen extrem gute Studien. Aber grade, weil sie gut | |
sind und zeigen, dass es keine negativen Effekte gibt, die schlimmer sind | |
als die Effekte der Pestizide, werden sie als Auftragsforschung diffamiert. | |
Wenn ich natürlich hergehe und ein Maisfeld, auf dem GVO angebaut wird, mit | |
einem Maisfeld ohne jedes Pestizid vergleiche, dann habe ich einen | |
negativen Effekt. Nun, die Wirklichkeit ist die: Ich habe nicht diese | |
Alternative in der Regel, sondern die Praxis in der Landwirtschaft ist: | |
Pestizide oder GVO. Und da schneiden die GVO-Felder besser ab, was die | |
Effekte auf die sogenannten Nichtzielorganismen betrifft. Vom | |
wissenschaftlichen Standpunkt her ist gegen MON 810 [Mais d. | |
Saatgutkonzerns Monsanto, der mit einem Giftgen gegen den Maiszünsler | |
ausgestattet wurde; Anm. G. G.] nichts zu sagen, weil das, was in MON 810 | |
als Toxin exponiert wird, das wurde vorher tonnenweise auf den Feldern | |
aufgebracht." Auf unsere Frage, weshalb die Imker zum Beispiel anderer | |
Meinung sind und ihren Honig untersuchen ließen, sagt Frau Dr. Genersch: | |
"Dass man im Honig was findet, ist schon richtig, weil dieses Konstrukt, | |
was da in die Maispflanze eingebaut wurde, das befindet sich ja dann in der | |
DNA der Pflanze. Und die DNA der Pflanze befindet sich im Pollen, und etwas | |
davon befindet sich auch im Honig. Aber das ist kein Problem! Es gibt | |
keinen Nachweis der Schädlichkeit. Und es gibt eine gesetzliche Regelung, | |
die klar sagt, es gibt keine Kennzeichnungspflicht für Honig. Aber wenn die | |
Imker weiter so auftreten und dauernd behaupten, das sei eine Gefahr und | |
der Verbraucher könne das fordern, dann bekommen sie ein Problem. Ja | |
sicher, diese Verbraucher gibt es, das ist die Klientel, wenn ich die | |
frage, ob diese Tomate schon Gene hatte, bevor sie eine Gentomate wurde, | |
dann sagen die: 'nein'. Also, wenn ich das in den Diskussionen schon höre: | |
Gentomate " Wir werfen ein, dass es ja nicht um irgendwelche Gene geht, | |
sondern um gentechnisch veränderte Pflanzen. | |
Sie sagt leidenschaftlich: "Okay, aber Zucht ist immer eine genetische | |
Veränderung. Wie findet denn Zucht heute statt? Die auch von den Grünen | |
akzeptierte Zucht?" - "Durch Kreuzung", vermute ich. "Falsch! Die Pflanzen | |
werden mit mutagenen Strahlen bearbeitet, um Mutanten zu erzeugen, völlig | |
ungerichtet. Kein Mensch guckt nach, was durch die Strahlen alles | |
kaputtgegangen ist, was die Nebenwirkung und was die Hauptwirkung ist! Die | |
Auflage gibt es nur bei GVO. Oder ein anderes Beispiel: Die Imker behandeln | |
ihre Waben mit einem Pulver, das Bacillus thuringiensis enthält. Dasselbe | |
Bacillus thuringiensis, das im BT-Mais MON 810 ist. Wenn aber die Imker | |
ihre Waben damit behandeln, dann kräht kein Hahn danach, dass ich dann | |
diese DNA von diesem Bacillus thuringiensis aufnehme, das gilt als | |
biologische Bekämpfung. Nur der MON 810 wird verteufelt. Seehofer hat ja | |
jetzt entschieden, dass das Saatgut nur verkauft werden darf, wenn es ein | |
groß angelegtes Umweltmonitoring parallel dazu gibt. [Das Bundesamt für | |
Verbraucherschutz hat im Mai dieses Jahres keine Bewilligung mehr erteilt | |
für MON-810-Mais, erst sollen die offenen Fragen geklärt werden; Anm. G. | |
G.] Das ist eine politische Entscheidung gewesen. Die wird jetzt aber von | |
den GVO-Gegnern als Beweis dafür genommen, dass hier noch eine Gefahr | |
besteht." Auf die Frage, ob sie uneingeschränkt für genmanipulierte | |
Pflanzen sei, sagt sie, ohne zu zögern: "Nein, nein." Ich frage, wo denn | |
die Einschränkung sei? "Bei mir ist die Einschränkung da, wo ich sage, ich | |
verurteile alles, was mit einer bestimmten Methode erreicht wurde. Ich will | |
mir das Ergebnis angucken. Ob dieses Ergebnis, diese Pflanze, durch | |
Züchtung oder durch Gentechnik hergestellt wurde, ist für mich egal." | |
Elisabeth sagt, dass in der Natur quasi die Evolution die Auslese trifft. | |
"Gut. Da ist der Mais das Paradebeispiel. Der Mais ist über Jahrtausende | |
hinweg gezüchtet worden. So sehr gezüchtet worden, dass nicht einmal die | |
Molekularbiologen feststellen können, was einmal die Ursprungspflanze war. | |
Tatsache ist, dass der Mais nicht mehr lebensfähig ist! Das, was wir an | |
Mais haben, ist auf die Aussaat durch den Menschen angewiesen. Er würde, | |
wenn er nicht ausgesät wird, von der Erdoberfläche verschwinden. So viel | |
zur Evolution." Ich sage, dass ja wohl niemand etwas gegen Kulturmais | |
einzuwenden hat. "Nein, aber wenn ich durch Züchtung jetzt zum Beispiel | |
eine Rapspflanze erreiche, deren Blüten sich nicht mehr öffnen - und das | |
gibt es -, wieso soll das besser sein, nur weils gezüchtet wurde, ohne | |
Gentechnik? Ich muss mir das Ergebnis angucken, ich darf nicht alles | |
verteufeln, nur weil es GVO ist." Wir hingegen finden sowohl das eine als | |
auch das andere verteufelnswert. | |
ach einem erquickenden Rundgang übers Gelände, bei dem uns Frau Dr. | |
Genersch ihr Labor zeigte, in dem ihre Doktorandin grade mit Bienenlarven | |
arbeitet, kehren wir zurück ins Institutsgebäude. Im Erdgeschoss betrachten | |
wir einen Schauraum, angefüllt mit Vitrinenschränken, auf denen alte | |
geflochtene Bienenkörbe stehen. Es gibt große, auseinandernehmbare | |
Bienenmodelle, Waben, Honig und altmodische Rollbilder, auf denen Bienen | |
den Stock ausfegen, den Maden das Fläschchen geben und eimerweise Honig | |
herbeischleppen. Wieder im Büro, seufze ich: "Die Bienen sind nicht | |
wegzudenken." | |
"Sie sind tatsächlich unverzichtbar für unser Ökosystem, so wie es jetzt | |
ist", sagt Frau Dr. Genersch und fügt hinzu: "In unserem jetzigen | |
Ökokultursystem, weil ja auch viel Kulturlandschaft dabei ist. Da würde | |
sich dramatisch was ändern, wenn es die Honigbiene nicht mehr gäbe. Keine | |
Frage. Die Bestäubung wäre nicht mehr ausreichend, um die Quantität und | |
Qualität zu bringen, an die wir uns so gewöhnt haben. Wenn wir aber damit | |
leben könnten, dass der Apfel nicht EU-Handelsklasse 1 hat und nicht endlos | |
zur Verfügung steht, dann könnten wir auch mit der Bestäubung leben, die | |
die übrigen Insekten leisten. Der Mensch stirbt nicht aus ohne die Bienen. | |
In Amerika hat es vor den Siedlern keine Honigbienen gegeben. Die Siedler | |
haben sie im 18. Jahrhundert eingeschleppt. Und die Menschen dort haben | |
vorher auch gelebt. Die Biene ist für uns unverzichtbar. Überleben können | |
wir ohne sie." | |
27 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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