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# taz.de -- Bienenkunde: Optimale Völkerführung
> Seit Jahren gibt es Berichte über das Bienensterben - eine Spezies, die
> aus unserem Leben nicht wegzudenken ist. Trotdem ginge es auch ohne sie
> weiter, sagt Bienenforscherin Elke Genersch.
Bild: "Honigvögelein" bei der Arbeit
Ihr Honigvögelein, die ihr von den Violen und Rosen abgemeyet den
wundersüßen Safft. Die ihr dem grünen Klee entzogen seine Krafft. Die ihr
das schöne Feld so oft und viel bestohlen. Ihr Feldeinwohnerin, was wollet
ihr doch holen, was so euch noch zur Zeit hat wenig Nutz geschafft, weil
ihr mit Dienstbarkeit des Menschen seyd behafft. Und ihnen mehrenteils das
Honig musset zohlen? Martin Opitz, 1623
"Stirbt die Honigbiene aus?", "Mysteriöses Bienensterben" - "Dramatische
Völkerverluste auch in Deutschland" - "Bestäubung der Obstblüte in Gefahr!"
Seit Jahren gibt es alarmierende Schlagzeilen über das Bienensterben. Von
1993 bis 2006 gingen bei uns knapp 43 Prozent der Bienenvölker verloren,
schätzen Experten. Rundfunk und Fernsehen brachten Berichte, die Zeitungen
- vom Imkerblatt bis zur FAZ - widmeten sich dem Thema. Es wurde
umfangreich geschrieben über das rätselhafte Verschwinden von zigtausend
Bienenvölkern in den USA, es gibt Mutmaßungen, dass sich eine solche
Katastrophe auch hier in Europa anbahnt.
600.000 bis 800.000 Bienenvölker mit bis zu 13 Milliarden Bienen wären in
Deutschland vom Aussterben bedroht. Die Folgen wären unabsehbar, denn die
Bienen sind ja nicht nur Honigproduzenten, sie bestäuben auch mehr als 80
Prozent des deutschen Obst- und Gemüseanbaus, dazu noch Wildblüten. Wir
können uns die Bienen nicht wegdenken, sie sind ein fester Bestandteil in
unserem kulturellen Gedächtnis, was nicht zuletzt auch Wilhelm Busch in
seiner Bildergeschichte "Schnurrdiburr oder die Bienen" wunderbar
dargestellt hat. Wenn sie also krank sind, ist das ein Grund zur Sorge.
Gründe, so ist zu lesen, gibt es viele. Welche es - außer den 40.000 Tonnen
an Schädlingsbekämpfungsmitteln, die jährlich auf unsere Nutzpflanzen
niedergehen - sein könnten, was sie krank werden lässt, das möchten wir
Frau Dr. Elke Genersch fragen. Wir fahren hinaus nach Hohen Neuendorf, das
nördlich vor den Toren Berlins im Bundesland Brandenburg liegt. Hier
residiert seit 1952 das Länderinstitut für Bienenkunde (LBI, gegr. 1923) in
einer alten Villa mit Park und eigener Imkerei. Die Aufgabe des LBI besteht
in praxisorientierter Forschung zum Erhalt der Honigbiene, in der Lehre und
Betreuung von Diplom- und Doktorarbeiten, in Dienstleistungen wie Schulung
und Beratung, Honiganalytik und Krankheitsdiagnostik sowie in
Veranstaltungen für Besucher.
Frau Dr. Genersch empfängt uns in ihrem Büro. Über das dramatische Szenario
in den Medien lächelt sie mild und erklärt, es gebe aktuell kein
dramatisches Bienensterben. "Tatsache ist, dass die Winterverluste
deutschlandweit bei unter 10 Prozent lagen. Der Normalwert liegt zwischen
10 und 20 Prozent. Verluste gibt es immer. Und es kann natürlich auch schon
im Herbst zu Verlusten kommen, wenn zum Beispiel gegen die Varroamilbe
schlecht oder falsch behandelt wurde. Wenn das Volk an der Varroamilbe
eingeht, an zu starkem Varroabefall, dann passiert es sehr häufig, dass die
Bienen tatsächlich verschwinden. Sie sind plötzlich weg. Wir haben dafür
den Fachbegriff 'kahlfliegen'. Also das, was jetzt in den USA als
vollkommen neues Phänomen dargestellt wird, das Bienenverschwinden, ist
eigentlich normal und liegt in der Biologie der Biene. Ihr letzter Dienst
am Volk ist, dass sie zum Sterben wegfliegt. Die Bienen sehen ihren Stock
nicht als Hospiz, wenn sie sich schlecht fühlen. Die Bienen fliegen aus, um
zu sammeln, wie es ihre Aufgabe ist, und sie sterben dann eben außerhalb
irgendwo, weil sie nicht mehr können. Also sie verlassen den Stock nicht
als Schwarm, der verschwindet, sondern als einzelne Biene, die dann eben
draußen bleibt und stirbt. Und es gibt ja auch das ganz normale
Bienensterben - wir sind jetzt am Ende des Bienenjahres. Es gehen momentan,
das müssen Sie sich mal vorstellen, etwa zweieinhalbtausend Bienen pro Volk
und Tag verloren, ein starkes Volk kann im Sommer bis zu 80.000 Bienen
haben, aber sie haben nur eine Lebenszeit von zwei bis drei Wochen im
Sommer, länger leben sie nicht, die Arbeiterinnen. Bei den Winterbienen ist
es anders, sie müssen vier bis sechs Monate überleben. Jetzt grade - ab
Juli, August - werden die Winterbienen großgezogen. Und weil das Bienenjahr
zu Ende ist, müssen wir demnächst anfangen, die Bienen einzufüttern. Sie
fliegen natürlich noch bis Oktober, aber was sie da eintragen, das reicht
ja nicht, um das Volk über den Winter zu bringen. Weil wir ihnen ja vorher
allen Honig geklaut haben, können wir sie nicht auf dem bisschen sitzen
lassen, das sie über die Spätsommerwiesen noch reinkriegen. Ich habe meine
Bienen letztes Jahr mit ganz normalem Haushaltszucker, in Wasser aufgelöst,
gefüttert. Das ist eine der Methoden. Und das ist nicht wirklich schlechter
als der Honig. Alles, was Heilkraft ist am Honig, das hat die Biene
reingebracht, sozusagen durch Bienenspucke. Wenn nun die Bienen
Zuckerwasser eintragen, dann verarbeiten sie es genauso wie den
Blütennektar, geben ihre Enzyme und alles dazu und machen daraus ihr
Winterfutter. Die Bienen sind es ja gar nicht mehr anders gewöhnt. Seit
8.000 Jahren wird Bienenhaltung betrieben, und es ist natürlich auch ein
Ergebnis der Zucht, dass sie viel mehr sammeln, als sie brauchen, bis zum
Zehnfachen dessen, was sie als Winterfutter bräuchten. So ein
Wirtschaftsvolk kann in einem Jahr 40 bis 50 Kilogramm Honig sammeln. In
Syrien zum Beispiel liegt die Leistung bei 5 bis 10 Kilogramm pro Jahr.
Mein Fachgebiet ist ja Bienenkrankheiten. Dadurch, dass die Biene seit
Jahrtausenden das Nutzinsekt ist, haben wir die einmalige Situation, dass
wir ihre Krankheiten recht gut kennen, wir wissen, wie die Krankheiten
aussehen, das ist sehr gut beschrieben, aber sie sind bei weitem nicht so
gut untersucht. Bienenkrankheiten sind zu lange stiefmütterlich von der
Forschung behandelt worden. Bienen können, vom Erreger her, alle
Infektionskrankheiten bekommen, die auch bei anderen Tieren und beim
Menschen vorkommen, also Viruskrankheiten, bakterielle Erkrankungen,
Pilzkrankheiten, und Bienen haben Parasiten. Die Bienenkrankheiten sind
eine fantastische Nische, jede Frage, die wir als Molekularbiologen
stellen, ist quasi noch unbeantwortet und eröffnet ein neues Projekt. Da
ist noch eine direkte Wirkung der Forschungsergebnisse möglich, ich kann
richtig von unten anfangen. Wie faszinierend das ist, können Sie am
Beispiel der amerikanischen Faulbrut sehen. Die AFB ist eine bakterielle
Erkrankung der Honigbienenlarven, ist weltweit verbreitet, hoch ansteckend
und führt in der Regel zum Zusammenbruch der erkrankten Völker. In
Deutschland ist sie eine anzeigenpflichtige Tierseuche. Bereits der
Verdacht muss dem Amtstierarzt gemeldet werden. In Deutschland ist die AFB
extrem häufig. Sie ist nicht zu behandeln, wenn sie erst einmal
ausgebrochen ist. In aller Regel wird der Amtstierarzt das Abschwefeln der
erkrankten Völker verfügen, also das Töten. Der Erreger der AFB ist ein
Bakterium, das Sporen bildet. Die infektiöse Form sind die Sporen. Wenn die
im Futtersaft sind, dann verfüttern sie die Ammenbienen an die Larven, und
die zersetzen sich dann zu einer fadenziehenden Masse. Beim Versuch, die
Zellen für die nächste Eiablage zu reinigen, kontaminieren sich die
Ammenbienen mit den Sporen, die sie dann auf die nächste Brut übertragen,
die immer kränker wird. Dadurch schaukelt es sich auf.
Und was nun die Forschungsarbeit betrifft, so haben wir ein Rätsel in der
Faulbrutdiagnostik lösen können, unsere Arbeitsgruppe hier am Institut. Es
gab bis dahin Diagnoseprobleme, es gab Fälle, in denen das Volk sichtbar
krank war, das Labor konnte aber, wenn es sich an die Regeln gehalten hat,
den Erreger nicht nachweisen. So konnte der Amtstierarzt die Seuche auch
nicht offiziell als ausgebrochen erklären. Das war natürlich ein großes
Problem. 100 Jahre nach der Erstbeschreibung des Erregers haben wir das
Rätsel gelöst. Wir haben gezeigt mit molekularen Methoden, dass der Glaube,
der 50 Jahre existierte, es gebe einen nahen Verwandten, der aber nicht
gefährlich ist für die Bienen, der Glaube an ein Märchen war. Er ist
genauso gefährlich für die Bienen! Und wir konnten beweisen, dass alle
Vertreter dieser Spezies die Symptome der Faulbrut verursachen, nämlich
Zersetzung zur fadenziehenden Masse. Das heißt, wir bewegen doch wirklich
was. Wir bekommen auch Anerkennung, muss ich sagen. Sie läuft über die
Veröffentlichung in einem internationalen Journal, es ist zuständig dafür,
die korrekte Klassifizierung von Mikroorganismen zu veröffentlichen. Die
haben einen extrem genauen Gutachterprozess. Vor jeder Veröffentlichung
wird akribisch überprüft, denn im Moment der Veröffentlichung ist es
international verbindlich. Wir haben auch gezeigt, dass es
Gefährlichkeitsunterschiede bei Erregern gibt, das war bisher nicht
untersucht worden - eigentlich eine Banalität -, aber wir konnten zeigen,
es gibt Virulenzunterschiede. Also für unseren Bereich ist natürlich die
Anerkennung in den USA immer so ein Maßstab dafür, dass man es jetzt
geschafft hat, über die eigenen Grenzen hinaus bekannt zu sein. Ich bin
jetzt auch beteiligt an der Annotierung von dem Genom des Bakteriums, ich
bin zuständig für die Gefährlichkeitsfaktoren. Und dazu bin ich eben
eingeladen worden aus den USA. Wir gehören also, was das angeht, möchte ich
mit Stolz sagen, weltweit zu den führenden Laboren. Unser kleines Labor
hier.
Das muss auch anerkannt werden, damit es nicht so eine Nischenexistenz in
einem Bieneninstitut fristet, Bienenphologie muss ein eigenständiges
Forschungsgebiet werden, was auch Geld braucht und wo man die Kompetenz
bündelt, um die richtigen Zusammenhänge zu finden, beispielsweise bei der
Virusforschung. Das ist übrigens unser drittes Standbein. Wir haben drei
Standbeine: Amerikanische Faulbrut, Darmparasiten und Viren. Mich
interessiert Varroa als Virusübertragung. Der Überträger, die Varroamilbe,
ist ein sogenannter Ektoparasit, ein Spinnentier mit acht Beinen. Es
siedelt auf der Biene, saugt Haemolymphe durch die Zwischenringhäutchen aus
ihrem Wirt und ist mit bloßem Auge zu sehen. Es verbreitet sich, ebenso wie
auch die anderen Krankheiten, durch Übertragung von Stock zu Stock, durch
Räuberei und Verflug. Die Bienen verfliegen sich manchmal, finden nicht in
den eigenen Stock und fliegen woanders rein. Und die Bienen räubern! Also
wenn ein Volk schwach wird, merken das andere Bienen, dann fliegen sie los
und räubern das Volk aus und holen sich den Honig. Ist ja viel einfacher,
statt sich Blüten zu suchen, den fertigen Honig auszuräubern." Wir lachen,
meine Freundin Elisabeth bemerkt trocken: "Wie menschlich!" Frau Dr.
Genersch lächelt und sagt: "Richtig! Oder es gibt auch das Einbetteln,
Bienen aus einem schwachen Volk kommen angeflogen und betteln sich
vorsichtig bei den Wächterbienen ein, geben ihnen etwas Honig und dürfen
rein. So ein Parasit wie die Varroamilbe, der hat genug Möglichkeiten, sich
zu verbreiten. Durch das Verhalten der Bienen, aber auch durch imkerliche
Praktiken. Imker stellen die Waben von einem Volk ins andere und so weiter.
Und jetzt kommen wir zum Eigentlichen: Die Varroamilbe vermehrt sich nicht
auf der Biene, sondern auf der Bienenbrut bzw. in der verdeckelten Zelle.
Mit Beginn der Metamorphose verdeckeln die Ammenbienen die Zellen der
Streckmaden, und kurz vor der Verdeckelung steigt die Varroamilbe, also das
Muttertier, hinein, lässt sich mit verdeckeln und legt zuerst ein Ei, aus
dem sich ein Männchen entwickelt. Danach legt sie ein paar Eier, aus denen
sich Töchter entwickeln, die vom Sohn befruchtet werden. Danach stirbt der
Sohn. Die Milben entsteigen zusammen mit der fertigen Biene der Zelle, und
bis dahin saugen sie auch Haemolymphe. Dabei können sie das
Flügeldeformationsvirus übertragen.
Das Flügeldeformationssymptom ist unser Hauptmodellsystem, weil es relativ
einfach zu untersuchen ist. Normalerweise haben Sie bei Bienenviren nur die
zwei Zustände: lebend oder tot. Es gibt keine Symptombeschreibungen, wie
bei unseren Viruserkrankungen. Das ist beim Flügeldeformationsvirus
(DWV-Virus) anders. Dieses Virus verursacht, wenn es von der Varroamilbe,
während sie auf der Puppe parasitiert, übertragen wird, verkrüppelte Flügel
bei den schlüpfenden Bienen. Aber nicht in jedem Fall! Wenn ich 100 mit
Varroa infizierte Puppen habe, dann mögen 10 mit verkrüppelten Flügeln
schlüpfen - im Herbst vielleicht mehr -, der Rest schlüpft ganz normal.
Aber wir haben wenigstens lebende Bienen, die Symptome haben, die wir einem
bestimmten Virus zuordnen. Diese Bienen sind nicht wirklich lebensfähig,
weil sie ja ihre Arbeit nicht richtig ausführen können und weil sie im
Stock nicht geduldet werden. Ob sie sofort beseitigt werden, scheint davon
abzuhängen, wie schwer die Symptome sind, spätestens aber wenn sie
rausfliegen sollen und nicht können, weil die Flügel fehlen oder
verkrüppelt sind, werden sie rausgeschmissen. Da kommen ein bis zwei
Bienen, schnappen sich die, es gibt so ein Knäuel, und draußen lassen sie
die Kranke einfach fallen. Die krabbelt dann vor dem Stock rum, bis sie
verhungert oder an der Virusinfektion eingeht.
Das sind alles Sachen, die sind noch nicht geklärt. Verhungern die? Gehen
sie an dem Virus ein? Wie breitet sich das Virus im Körper aus? Wie kommt
es zu den Verkrüppelungen? Was läuft in der Puppe ab, damit dieses Virus
als Symptom verkrüppelte Flügel verursachen kann? Diese und andere Fragen
stellen wir uns. Gut, das ist also die Virensache, mit der wir uns grade
beschäftigen, und dadurch, dass sie wirklich neu ist, können wir auch sehr
gut international veröffentlichen.
Es gibt natürlich noch viele andere Viren, aber an denen arbeiten Kollegen
im In- und Ausland, da sind die Gebiete ein bisschen abgesteckt. Mit Pilzen
zum Beispiel befassen wir uns ganz bewusst nicht. Weil wir einfach auch die
Labormöglichkeiten nicht haben, um alle Erreger sicher nebeneinander
behandeln zu können.
Ich habe kein Pilzlabor, ich möchte auf keinen Fall meine Bakterienkulturen
verpilzt bekommen. Und - ich habe keine Ahnung von Pilzen. Das ist ein
extrem schwieriges Gebiet. Wir haben jetzt allerdings mit einem
Darmparasiten, mit Nosema, das ist - und jetzt widerspreche ich mir - fast
ein Pilz!"
Sie lacht. "Ein Mikrosporidium, und die Klassifizierung, was es jetzt genau
ist, ist noch nicht ganz abgeschlossen. Das machen aber nicht wir. Es gab
eine Form von Nosema, mit der sich die europäische Biene (Apis mellifera)
arrangiert hatte: Nosema apis. Die Sporen sind in vielen Völkern, die
Nosemose muss aber nicht ausbrechen. Bricht sie aber aus, dann können die
Bienen auch eingehen. 1996 wurde in Asien ein Verwandter von Nosema apis
bei der asiatischen Honigbiene (Apis cerana) gefunden. Und der hat jetzt im
letzten Jahrzehnt den Wirt gewechselt, von der asiatischen auf die
europäische Honigbiene, und sich rasant ausgebreitet.
In vielen Gebieten gibt es heute nur noch Nosema ceranea. Das heißt, dieser
neue Darmparasit scheint den alten zu verdrängen, und dies kann mit höheren
Völkerverlusten einhergehen. Da fängt die Erkenntnisgewinnung grade erst
an. Nosema ceranae ist auch bei uns schon weit verbreitet, viele Völker
haben beide Darmparasiten. Jetzt müssen wir herausfinden: Gibt es wirklich
ursächliche Zusammenhänge zwischen Völkersterben und Nosema ceranae? Wenn
die Bienen Durchfall bekommen, überträgt es sich schneller? Das sind alles
Fragen, die wir beantworten müssen, und zeitweise müssen wir schon daran
arbeiten, eine Behandlungsmöglichkeit zu finden. Früher, bei Nosema apis,
konnte der Imker durch optimale Völkerführung diese Krankheit wieder in den
Griff bekommen, indem er zum Beispiel mehr Jungbienen gefördert hat, weil
eben vorwiegend die Altbienen erkranken. Womöglich, wir wissen es noch
nicht, ist das bei Nosema ceranae nicht möglich. Es gab früher auch
Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika oder Antiinfektiva bei
Bienenvölkern, das ist in Europa aber inzwischen verboten, wegen der
Rückstandsproblematik im Honig. Es muss zum Beispiel etwas sein, was
natürlicherweise auch im Honig vorkommt. Die Varroamilbe wird jetzt in der
Regel mit organischen Säuren wie Ameisen-, Milch- und Oxalsäure behandelt,
man kann sie einsetzen, ohne befürchten zu müssen, dass es zu
Resistenzentwicklungen kommt. Die Anwendung ist recht gut wirksam und
verschafft uns genug Zeit für das, was Professor Bienefeld macht - der
Leiter unseres Instituts hier -, die Vorroa-tolerante Biene zu züchten. Das
wäre bei Nosema auch ein Fernziel, also die entsprechende Immunabwehr gegen
solche Krankheiten in den Bienen heranzuzüchten. Aber in der Zwischenzeit
müssen wir sie behandeln können.
Sehr wichtig ist auch die Art und Weise, wie neue Pathogene, neue
Krankheitserreger hier reinkommen. Eben nicht nur über Bienenforscher, wie
im Fall der Varroamilbe " Wir geben unserer Überraschung Ausdruck. "Na ja
es ist ja allgemein bekannt. Die Varroamilbe, Varroa destructor, ist in den
70er-Jahren von Bienenforschern eines Bieneninstituts - Namen tun hier
nichts zur Sache - nach Deutschland eingeschleppt worden. Sie brachten die
asiatischen Bienen Apis cerana mit, um daran zu forschen. Die Varroamilbe
sitzt auf der Apis cerana, richtet dort aber keinen Schaden an. Aber wie
gesagt, die Pathogene kommen eben nicht nur über die Bienenforscher zu uns,
sondern natürlich über den Handel mit Bienen weltweit, mit Königinnen. Also
ich kann mir Königinnen schicken lassen, Bienenköniginnen muss man sowieso
immer mit Pflegebienen verschicken. Ich kann mir aber auch so ein kleines
Volk gleich als 'Paketbienen' kaufen, die werden im Paket verschickt. Es
ist in Europa verboten wegen des hohen Risikos, aber es sind die Imker
selbst, die dieses Risiko und das Verbot ignorieren, weil sie gehört haben,
dass diese Biene, diese Königin besonders gut sein soll.
Das Verbot von Bienenimporten einzuhalten ist sehr wichtig, vor allem wegen
des Kleinen Beutenkäfers, der in den USA bereits verheerende Schäden
angerichtet hat. Es besteht die große Gefahr, dass er auch nach Europa
eingeschleppt wird. Ursprünglich stammt er aus Afrika, 1996 wurde er im
Süden der USA entdeckt und hat sich inzwischen im ganzen Land ausgebreitet,
bis hinauf nach Kanada. Noch spielt er bei uns keine Rolle, es gibt aber
vorsorglich eine Anzeigepflicht in der EU. Der ist in der Lage, Imkereien
mit tausenden von Völkern dem Erdboden gleichzumachen, das kann man sich
nicht vorstellen. Der ernährt sich von allem, was in dem Volk drin ist,
Eier, Blut, Honig, Pollen, der vermehrt sich ganz fantastisch in den
Völkern. In einem Film wurde eine amerikanische Großimkerei gezeigt, man
sah eine riesige Lagerhalle mit Betonfußboden. Der Imker ging in
Gummistiefeln durch diese Lagerhalle, weil er zentimeterhoch durch die
Maden dieses Kleinen Beutenkäfers gewatet ist. Diese Imkerei war platt.
Also es war sehr eindrucksvoll.
Aber kommen wir wieder zurück zu den Krankheiten, die wir hier haben. Noch
mal zu den Ursachen: Ein Bienenvolk hat so viele Faktoren um sich herum,
nicht nur Krankheiten, auch Umweltbedingungen usw. Ich muss, wenn ich über
Bienensterben rede, nicht zwanghaft nach einem einzigen Grund suchen. Ich
kann vielleicht sagen, dieses Jahr hat die Varroamilbe das Fass zum
Überlaufen gebracht. Und zwar in Regionen, in denen Pflanzenschutzmittel
ein Problem waren, aber auch in Regionen, in denen die Trachtversorgung ein
Problem war, und auch in Regionen, in denen das Wetter ein Problem war. Wir
haben drei verschiedene Bedingungen, die bedeuten, diesen Völkern geht es
nicht gut. Und jetzt kommt noch ein Faktor drauf, und alle kippen um. Hier
hängt eine Tabelle an der Wand. Das sind die Völkerverluste in der
Vergangenheit. Sie sehen hier: 1945/1946 außergewöhnliche Winterverluste.
Es war ein sehr kalter Winter und just Kriegsende, Zucker war Mangelware.
Aber 1962/1963, 1972/73 und 1974/75 gab es die Verluste ebenso, 1995/96 und
2002/03 waren sie teilweise zwar höher, aber die Winterverluste gab es
immer, schon vor dem Saatgutbeizmittel, schon vor der Varroamilbe, schon
vor gentechnisch veränderten Pflanzen. Das heißt, es muss Gründe geben, die
unabhängig davon sind. Was nicht heißt, dass zum Beispiel die Varroamilbe
keinen Schaden anrichtet. Sie ist einfach ein zusätzlicher Faktor gewesen.
Ebenso verhält es sich mit Saatgutbeizmitteln und gentechnisch veränderten
Organismen, GVOs. Bei uns sind nur 0,16 Prozent der Flächen mit GVOs
belastet, aber die Bienenverluste waren flächendeckend. Gentechnisch
veränderte Organismen können als zusätzlicher Faktor dazukommen. Es muss
aber nicht so sein. Ich darf sie nicht als alleinigen Faktor an den Pranger
stellen wollen. Die Gefahr, die ich dabei sehe, ist: Wenn ich aus
ideologischen Gründen einen bestimmten Schuldigen anprangere, dann kann es
mir passieren, dass ich den wahren Schuldigen laufen lasse, dass ich nicht
mehr neutral das Ganze angucke.
atürlich, ich kann nur gute, fundierte Antworten liefern in dem Gebiet, das
ich beherrsche. Das sind die Bienenkrankheiten. Das sind nicht
Pflanzenschutzmittelvergiftungen und Ähnliches. Aber ich interessiere mich
dafür, halte mich auf dem Laufenden. Es gibt grade jetzt zu
genmanipulierten Pflanzen extrem gute Studien. Aber grade, weil sie gut
sind und zeigen, dass es keine negativen Effekte gibt, die schlimmer sind
als die Effekte der Pestizide, werden sie als Auftragsforschung diffamiert.
Wenn ich natürlich hergehe und ein Maisfeld, auf dem GVO angebaut wird, mit
einem Maisfeld ohne jedes Pestizid vergleiche, dann habe ich einen
negativen Effekt. Nun, die Wirklichkeit ist die: Ich habe nicht diese
Alternative in der Regel, sondern die Praxis in der Landwirtschaft ist:
Pestizide oder GVO. Und da schneiden die GVO-Felder besser ab, was die
Effekte auf die sogenannten Nichtzielorganismen betrifft. Vom
wissenschaftlichen Standpunkt her ist gegen MON 810 [Mais d.
Saatgutkonzerns Monsanto, der mit einem Giftgen gegen den Maiszünsler
ausgestattet wurde; Anm. G. G.] nichts zu sagen, weil das, was in MON 810
als Toxin exponiert wird, das wurde vorher tonnenweise auf den Feldern
aufgebracht." Auf unsere Frage, weshalb die Imker zum Beispiel anderer
Meinung sind und ihren Honig untersuchen ließen, sagt Frau Dr. Genersch:
"Dass man im Honig was findet, ist schon richtig, weil dieses Konstrukt,
was da in die Maispflanze eingebaut wurde, das befindet sich ja dann in der
DNA der Pflanze. Und die DNA der Pflanze befindet sich im Pollen, und etwas
davon befindet sich auch im Honig. Aber das ist kein Problem! Es gibt
keinen Nachweis der Schädlichkeit. Und es gibt eine gesetzliche Regelung,
die klar sagt, es gibt keine Kennzeichnungspflicht für Honig. Aber wenn die
Imker weiter so auftreten und dauernd behaupten, das sei eine Gefahr und
der Verbraucher könne das fordern, dann bekommen sie ein Problem. Ja
sicher, diese Verbraucher gibt es, das ist die Klientel, wenn ich die
frage, ob diese Tomate schon Gene hatte, bevor sie eine Gentomate wurde,
dann sagen die: 'nein'. Also, wenn ich das in den Diskussionen schon höre:
Gentomate " Wir werfen ein, dass es ja nicht um irgendwelche Gene geht,
sondern um gentechnisch veränderte Pflanzen.
Sie sagt leidenschaftlich: "Okay, aber Zucht ist immer eine genetische
Veränderung. Wie findet denn Zucht heute statt? Die auch von den Grünen
akzeptierte Zucht?" - "Durch Kreuzung", vermute ich. "Falsch! Die Pflanzen
werden mit mutagenen Strahlen bearbeitet, um Mutanten zu erzeugen, völlig
ungerichtet. Kein Mensch guckt nach, was durch die Strahlen alles
kaputtgegangen ist, was die Nebenwirkung und was die Hauptwirkung ist! Die
Auflage gibt es nur bei GVO. Oder ein anderes Beispiel: Die Imker behandeln
ihre Waben mit einem Pulver, das Bacillus thuringiensis enthält. Dasselbe
Bacillus thuringiensis, das im BT-Mais MON 810 ist. Wenn aber die Imker
ihre Waben damit behandeln, dann kräht kein Hahn danach, dass ich dann
diese DNA von diesem Bacillus thuringiensis aufnehme, das gilt als
biologische Bekämpfung. Nur der MON 810 wird verteufelt. Seehofer hat ja
jetzt entschieden, dass das Saatgut nur verkauft werden darf, wenn es ein
groß angelegtes Umweltmonitoring parallel dazu gibt. [Das Bundesamt für
Verbraucherschutz hat im Mai dieses Jahres keine Bewilligung mehr erteilt
für MON-810-Mais, erst sollen die offenen Fragen geklärt werden; Anm. G.
G.] Das ist eine politische Entscheidung gewesen. Die wird jetzt aber von
den GVO-Gegnern als Beweis dafür genommen, dass hier noch eine Gefahr
besteht." Auf die Frage, ob sie uneingeschränkt für genmanipulierte
Pflanzen sei, sagt sie, ohne zu zögern: "Nein, nein." Ich frage, wo denn
die Einschränkung sei? "Bei mir ist die Einschränkung da, wo ich sage, ich
verurteile alles, was mit einer bestimmten Methode erreicht wurde. Ich will
mir das Ergebnis angucken. Ob dieses Ergebnis, diese Pflanze, durch
Züchtung oder durch Gentechnik hergestellt wurde, ist für mich egal."
Elisabeth sagt, dass in der Natur quasi die Evolution die Auslese trifft.
"Gut. Da ist der Mais das Paradebeispiel. Der Mais ist über Jahrtausende
hinweg gezüchtet worden. So sehr gezüchtet worden, dass nicht einmal die
Molekularbiologen feststellen können, was einmal die Ursprungspflanze war.
Tatsache ist, dass der Mais nicht mehr lebensfähig ist! Das, was wir an
Mais haben, ist auf die Aussaat durch den Menschen angewiesen. Er würde,
wenn er nicht ausgesät wird, von der Erdoberfläche verschwinden. So viel
zur Evolution." Ich sage, dass ja wohl niemand etwas gegen Kulturmais
einzuwenden hat. "Nein, aber wenn ich durch Züchtung jetzt zum Beispiel
eine Rapspflanze erreiche, deren Blüten sich nicht mehr öffnen - und das
gibt es -, wieso soll das besser sein, nur weils gezüchtet wurde, ohne
Gentechnik? Ich muss mir das Ergebnis angucken, ich darf nicht alles
verteufeln, nur weil es GVO ist." Wir hingegen finden sowohl das eine als
auch das andere verteufelnswert.
ach einem erquickenden Rundgang übers Gelände, bei dem uns Frau Dr.
Genersch ihr Labor zeigte, in dem ihre Doktorandin grade mit Bienenlarven
arbeitet, kehren wir zurück ins Institutsgebäude. Im Erdgeschoss betrachten
wir einen Schauraum, angefüllt mit Vitrinenschränken, auf denen alte
geflochtene Bienenkörbe stehen. Es gibt große, auseinandernehmbare
Bienenmodelle, Waben, Honig und altmodische Rollbilder, auf denen Bienen
den Stock ausfegen, den Maden das Fläschchen geben und eimerweise Honig
herbeischleppen. Wieder im Büro, seufze ich: "Die Bienen sind nicht
wegzudenken."
"Sie sind tatsächlich unverzichtbar für unser Ökosystem, so wie es jetzt
ist", sagt Frau Dr. Genersch und fügt hinzu: "In unserem jetzigen
Ökokultursystem, weil ja auch viel Kulturlandschaft dabei ist. Da würde
sich dramatisch was ändern, wenn es die Honigbiene nicht mehr gäbe. Keine
Frage. Die Bestäubung wäre nicht mehr ausreichend, um die Quantität und
Qualität zu bringen, an die wir uns so gewöhnt haben. Wenn wir aber damit
leben könnten, dass der Apfel nicht EU-Handelsklasse 1 hat und nicht endlos
zur Verfügung steht, dann könnten wir auch mit der Bestäubung leben, die
die übrigen Insekten leisten. Der Mensch stirbt nicht aus ohne die Bienen.
In Amerika hat es vor den Siedlern keine Honigbienen gegeben. Die Siedler
haben sie im 18. Jahrhundert eingeschleppt. Und die Menschen dort haben
vorher auch gelebt. Die Biene ist für uns unverzichtbar. Überleben können
wir ohne sie."
27 Aug 2007
## AUTOREN
Gabriele Goettle
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