| # taz.de -- Stefan George: Der Dichterfürst | |
| > Komm in den totgesagten Park zum Cruisen: In seiner Stefan | |
| > George-Biografie enthüllt Thomas Karlauf dessen Herrschaftspraktiken und | |
| > den homoerotischen Kern des Werks. | |
| Bild: "Er sieht abschreckend und hässlich aus", schrieb Ricarda Huch über Geo… | |
| Niemandem glauben, der behauptet, Stefan George sei unvergessen. Nicht | |
| zustimmen, nur weil man die Tat eines seiner Jünger noch kennt: Claus Graf | |
| Schenk von Stauffenbergs Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944, momentan | |
| verfilmt mit Tom Cruise. George goes Hollywood? Dem Meister, zu dessen | |
| Kreis der junge Stauffenberg seit 1923 gehörte, hätte die Aussicht auf | |
| nicht eingeweihtes Popcorn-Publikum zweifellos missfallen. Nichts ist aber | |
| irreführender, als George zum "großen Untoten im kollektiven | |
| Unterbewusstsein der Deutschen" (Der Spiegel) auszurufen. Nein, niemand | |
| lernt mehr Stefan Georges Hymnen auswendig. Kein Dichter beruft sich mehr | |
| auf ihn, im Unterschied zum immer noch bewundernd memorierten Gottfried | |
| Benn. George ist zum bloßen Objekt einiger Literaturwissenschaftler und | |
| weniger Esoteriker geworden. Nur noch selten vernimmt man ein mokantes, | |
| lange schon nicht mehr ehrfürchtiges Wispern und Raunen über sein von ihm | |
| beherrschtes Gefolge aus jungen schönen Männern, den George-Kreis. | |
| Geblieben sind die stilisierten Fotografien; das Marbacher Literaturmuseum | |
| bewahrt als Reliquie zwei silbergraue Haarbüschel. George ist verschwunden. | |
| Leben und Werk des am 12. Juli 1868 in Büdesheim bei Bingen am Rhein | |
| geborenen Stephan Anton George dennoch für unsere Zeit darzustellen, ist | |
| also in mehrfacher Hinsicht eine heroische Tat. Einmal dürfte besagte | |
| Fremdheit dieser fernen, zutiefst historischen Gestalt jede größere | |
| Publikumsresonanz verhindern. Zum anderen muss sich der Biograf durch einen | |
| in der deutschen Kulturgeschichte einzigartigen Dschungel von | |
| Stilisierungen und Fälschungen, Mystifikationen und verborgenen | |
| Geheimnissen kämpfen, den George und seine Adepten um sich herum im Laufe | |
| der Zeit systematisch geschaffen haben. "Es gibt kein Privatleben des | |
| Meisters", so dekretierte in den Dreißigerjahren Karl Wolfskehl, früher | |
| Gefolgsmann des bereits 1896 von ihm besungenen "Priesters vom Geiste". Auf | |
| vielen leeren Briefumschlägen in Georges Nachlass steht denn auch "Inhalt | |
| vernichtet". | |
| Thomas Karlauf hat sich von alledem nicht abschrecken lassen. Sieben Jahre | |
| arbeitete der Berliner Literaturagent, Jahrgang 1955, an den 800 Seiten | |
| seiner Biografie Stefan Georges. Und der Verlag, in dem ansonsten Frank | |
| Schirrmachers "Methusalem-Komplott", Milena Mosers "Stutenbiss" oder Klaus | |
| Wowereits Memoiren " und das ist auch gut so. Mein Leben für die Politik" | |
| erscheinen, hat sich darauf eingelassen. Fanfarenklänge sind da | |
| hochwillkommen: "Atemlos" würde man dieses Buch lesen "wie einen Thriller", | |
| so Schirrmacher in der FAZ; es habe "eine Art elektrischen Kreislauf in | |
| Gang gesetzt". Nüchternheit ist Karlaufs Stärke. Er, der nach dem Abitur | |
| zehn Jahre bei der Georges Geist verpflichteten Zeitschrift Castrum | |
| Peregrini in Amsterdam gearbeitet hat, überlässt die hohen Töne seinem | |
| Helden. Aus dieser stilistischen Askese erwächst eine beeindruckende | |
| gestalterische Leistung. | |
| An Stefan George und seiner Dichtung schieden sich die Geister bereits zu | |
| Lebzeiten. Von "imperialistischer Parklyrik" sprach Georg Lukács. Die das | |
| München der Jahrhundertwende erotisch unsicher machende Franziska Gräfin zu | |
| Reventlow wollte in einem Enthüllungsroman George schlicht "die Geste" | |
| nennen. Harry Graf Kessler notierte in seinem Tagebuch: "Er spricht so | |
| nachdrücklich und monumental und mit so einem dantesken Aufrecken des | |
| Kopfes, dass man fast nicht das Alberne merkt; fast nicht." Ricarda Huch | |
| ekelte sich vor ihm: "Er sieht abschreckend und hässlich aus, wie das böse | |
| Princip, oder wie ein giftiger Pilz." Der lebenslang faszinierte Adorno, | |
| der einige George-Gedichte vertonte, sah in ihm das Modell für den Umschlag | |
| von progressiver zu reaktionärer Kulturkritik. Thomas Mann, der 1920 vor | |
| der Haustür von Georges Verleger Bondi zufällig eine "unheimliche Begegnung | |
| mit IHM" hatte, bekannte: "Das Herrische und Knechtende, das zu dem von | |
| George gebotenen Lebensschauspiel gehört, war mir immer fremd". | |
| Dieses Lebensschauspiel rekonstruiert Karlauf minutiös. Vieles daran ist | |
| urkomisch. So loben die französischen Symbolisten Verlaine und Mallarmé bei | |
| Georges Pariser Aufenthalt 1889 dessen Verse, ohne deutsch zu verstehen. | |
| Der 21-jährige Sohn eines Weinhändlers aus Bingen wird zur abendlichen | |
| Dienstagsrunde Mallarmés zugelassen, ohne eine Zeile veröffentlicht zu | |
| haben. In seiner Zeitschrift Blätter für die Kunst perfektioniert er das | |
| Selbstmarketing, lässt sich permanent zum größten zeitgenössischen Dichter | |
| ausrufen und fuhrwerkt hemmungslos in den Manuskripten und Versen anderer | |
| herum, bis sie ihm angemessen verbessert erscheinen - ohne Rücksprache | |
| natürlich. | |
| Zur legendären Schlüsselbegegnung seines Lebens wird das Zusammentreffen | |
| mit Hugo von Hofmannsthal in Wien im Winter 1891/92. Hocherregt will George | |
| den Gymnasiasten in seinen Bann zwingen. Hofmannsthal schildert schaudernd | |
| im Gedicht "Der Prophet" seinen Eindruck: "Von seinen Worten, den | |
| unscheinbar leisen / Geht eine Herrschaft aus und ein Verführen / Er macht | |
| die leere Luft beengend kreisen / Und er kann tödten, ohne zu berühren." | |
| Hofmannsthal kann sich entziehen; jahrelange Konflikte und | |
| Wiederannäherungen folgen. | |
| Mit dreißig hat George es endlich geschafft. Sein Durchbruch erfolgt 1897 | |
| in den Berliner Salons. Er reüssiert, weil er durch sein exotisches Gebaren | |
| den Originalitätsbedürfnissen wilhelminischer Intellektueller entspricht. | |
| Der Philosoph und Soziologe Georg Simmel preist ihn in Essays. Nachts | |
| begehrt George beim Cruisen rund um den Nollendorfplatz junge Männer: "die | |
| Geburt der Poesie aus dem Geist der männlichen Erotik" (Karlauf). Der | |
| entstehende "Staat" Georges, mit erwählten Jüngern oder ihm zugeführten | |
| hübschen Knaben, basierte auf dem schwulen Geheimnis - und der Angst vor | |
| dem Strafgesetzbuch mit dem Paragrafen 175. Für Karlauf ist der Fall klar. | |
| Er dechiffriert das interne Kürzel "s.S." ("sehr Süßer"): Georges Dichtung | |
| als "der ungeheuerliche Versuch, die Päderastie mit pädagogischem Eifer zur | |
| höchsten geistigen Daseinsform zu erklären". | |
| In Heidelberg, wo sich George ab 1910 regelmäßig aufhält, inspiriert er | |
| einen anderen Meister durch "wildes Harfengetön": Max Weber entwickelt aus | |
| der direkten Anschauung seinen Begriff der charismatischen Herrschaft; der | |
| George-Kreis als Sekte mit einem totalitären Führer. Joachim Radkaus 2005 | |
| erschienene große Weber-Biografie, gleichsam ein Zwillingsbuch, hatte | |
| übrigens ebenfalls überzeugend die Macht des Sexuellen als verborgenen | |
| Antrieb für ein Lebenswerk herausgearbeitet. Vom Ersten Weltkrieg lässt | |
| sich George nicht fortreißen. In seinem Kriegsgedicht von 1917 prophezeit | |
| er: "Kein triumf wird sein, / Nur viele untergänge ohne würde". | |
| In den Zwanzigern mutiert George endgültig vom Dichter zum Führer. Er | |
| produziert immer weniger. 1928 erscheint sein Gesang mit dem schillernden | |
| Titel "Geheimes Deutschland", an dessen Ende er hofft, dass das "Wunder | |
| undeutbar für heut / Geschick wird des kommenden tages". Die Gefolgschaft | |
| hingegen produziert viele Bücher; darunter am bedeutendsten sicherlich | |
| Ernst Kantorowiczs Biografie des Stauferkaisers Friedrich II. (1928), die | |
| der alternde George fleißig redigiert. Doch es gibt zahlreiche Opfer im | |
| "Muckerhäuflein" (Rudolf Borchardt), dem George-Kreis: Lieblingsgefährten | |
| lösen einander ab, Selbstmorde häufen sich, - und der Meister verdammt | |
| immer öfter, wenn der Gehorsam verweigert wird. So wird der erotisch | |
| anfällige Friedrich Gundolf 1922 verstoßen - zwanzig Jahre lang eifrigster | |
| Propagandist Georges -, weil er heiraten will. Einmal mehr offenbaren sich | |
| Wahn, abstoßende Hybris und die Allmachtsfantasien des Dichter-Führers. | |
| Am 4. Dezember 1933, nachts um 1.15 Uhr, starb Stefan George im | |
| schweizerischen Minusio. Aus allen Himmelsrichtungen waren Jünger | |
| herbeigeeilt, um Abschied zu nehmen. Die Szenerie kennen wir aus den | |
| Geschichtsbüchern über den Tod Lenins und Stalins: Sargträger, Totenwache - | |
| und das Schisma, sobald die Gruft sich schließt. Das Hakenkreuz auf dem | |
| offiziellen Kranz, den der deutsche Gesandte Ernst von Weizsäcker | |
| niederlegte, wurde heimlich entfernt, um dann von den Nazianhängern unter | |
| den Jüngern durch eine selbstgenähte Variante ersetzt zu werden. Das Erbe | |
| des Führers war ebenso zwiespältig wie umstritten; unter seinen Getreuen | |
| waren sowohl Juden als auch Nazis. | |
| Erst im Epilog erliegt der Biograf nach aller Unbestechlichkeit für einen | |
| Moment George. Bei der alten Frage, ob Stauffenberg 1944 vor dem | |
| Exekutionskommando "Es lebe das heilige Deutschland!" oder als Reminiszenz | |
| an den George-Kreis "Es lebe das geheime Deutschland!" ausrief, entscheidet | |
| sich Karlauf nonchalant für die letztere Version und damit für die | |
| fortwirkende Macht des Meisters. Wie wusste doch George: "Nur durch den | |
| zauber bleibt das leben wach." Unzweideutig jedoch ist Karlaufs Fazit: Das | |
| Kapitel Stefan George "handelt vom letzten rauschhaften Höhenflug des | |
| deutschen Geistes am Vorabend der Katastrophe, aber auch von | |
| Verstiegenheit, Dünkel und Wahn". "Mitschuldig" geworden, verschwand dieser | |
| Geist "für immer im Abgrund der Geschichte". | |
| Karlaufs Mythenschau zerrt George nicht pseudoaktualisierend in die | |
| Gegenwart. Vielmehr historisiert er ihn als fiebernde Figur einer nervösen | |
| Epoche. Mit Stefan George begann das Zeitalter der Extreme. Im Januar 1914 | |
| meinte Thomas Mann nach der Lektüre einer George-Studie von Friedrich | |
| Gundolf: "Es war ein verständliches Gefühl Gundolfs, dass der Augenblick | |
| gekommen sei, über George populär zu reden. Aber der Zweifel ist | |
| berechtigt, ob man das überhaupt je können wird, - ob es je möglich sein | |
| wird, diese steile, krasse, im edelsten und neuesten Sinn groteske | |
| Erscheinung den Deutschen populär zu machen." Von Gundolf zu Karlauf: | |
| Dieser Zweifel bleibt, zum Glück. | |
| Dennoch lohnt es, im totgesagten Park Stefan Georges zu cruisen. Karlaufs | |
| Biografie ruft auch dessen "Formungen von unvergänglicher Schönheit" | |
| (Thomas Mann) in Erinnerung. 1897 erschien Georges wohl bekanntester | |
| Gedichtzyklus "Das Jahr der Seele", der mit einer Verführung beginnt: "Komm | |
| in den totgesagten park und schau: / Der schimmer ferner lächelnder gestade | |
| / Der reinen wolken unverhofftes blau / Erhellt die weiher und die bunten | |
| pfade." Und schließlich: "Vergiss auch diese lezten astern nicht, / Den | |
| purpur um die ranken wilder reben, / Und auch was übrig blieb vom grünem | |
| leben / Verwinde leicht im herbstlichen gesicht." | |
| 28 Aug 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Cammann | |
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| Braunschweig | |
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