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# taz.de -- Weißrussisches Kino: Baden mit der Waffen-SS
> Mit "Franz und Polina" liefert Regisseur Michail Segaleine eine
> bilderstarke Liebesgeschichte zwischen einem SS-Soldaten und einer jungen
> Weißrussin.
Bild: Noch ist alles nostalgisch gelb: Franz und Polina bei der Annäherung.
Badespaß am See: lachende, raufende, nackte Jungenskörper, ihre
strohblonden Schöpfe leuchten unter einer spätsommerlich milden Sonne. Die
älteren von ihnen üben ein paar disziplinierte Kopfsprünge vom Steg aus,
dann ziehen sie sich wieder an. Auf ihren Gürtelschnallen und Hemdkragen
sind Totenköpfe und Runen eingraviert. Die Waffen-SS war baden, jetzt geht
es wieder ans Herrschen. Erste Irritation: Während sich die Jungmänner in
Nazis verwandeln, bleibt die Musik unverwandt munter und die Szenerie
weiterhin in nostalgisches Gelb getaucht, als wären diese Bilder die
Exposition zu einer Ferienlager-Komödie. Innerhalb deren Genre-Regeln
verläuft denn auch das anfängliche Drittel des Films. Weißrussland im Krieg
mal nicht als frostbeulige Winterhölle, sondern als Auszeit von Gemetzel
und Drill, die Besatzer als Erholungssuchende auf Landpartie. Darunter der
schüchterne Franz (Adrian Topol), der der einheimischen Bauerntochter
Polina (Swetlana Iwanowa) lieber beim Körbetragen hilft, als sie nach
Herrenmenschenmanier zu züchtigen.
Die Idylle wird so jäh wie erwartbar beendet, als Order erteilt wird, die
Häuser niederzubrennen und sämtliche Einwohner der Siedlung zu liquidieren.
Anstatt dem Befehl zur verbrannten Erde Folge zu leisten, erschießt Franz
seinen Vorgesetzten; im Keller versteckt, überleben er und Polina das
Massaker. Nach diesen dramatisch verdichteten Ereignissen lassen die beiden
das zerstörte Dorf ebenso rasch hinter sich wie der Film eine stringente
Handlungsfolge. (Wohin eigentlich fliehen die beiden und wozu schleppt
Franz die meiste Zeit einen leeren Eimer mit sich herum?) Stattdessen
regiert ein eher assoziatives Prinzip, das Szenen unterschiedlicher
atmosphärischer Dichte aneinander fädelt.
Es herrscht ein merkwürdiger Kontrast zwischen einer Welt, die von schierer
Notwendigkeit regiert wird, und einer narrativen Instanz, die
impressionistisch Episoden reiht. Geredet wird kaum. Immer noch kann Franz
kein Russisch, Polina kein Wort Deutsch - dass wir hier einer zarten
Liebesgeschichte in Kriegszeiten beiwohnen, wird mehr behauptet als
ausgeführt. Eher als Hänsel und Gretel denn als Romeo und Julia bewegen
sich die Titelfiguren durch zunehmend unwirkliche Wälder und Sümpfe. Zur
Armee kann Franz genauso wenig zurück wie sich von den Partisanen
aufgreifen lassen. Treffen sie auf berittene Widerstandskämpfer, spielt
Franz zur Maskerade den stummen Bruder Polinas. Eine Attacke ausgezehrter
und tollwütiger Hunde kann Franz nur abwehren, indem er selbst eine innere
Furie von der Leine lässt; danach fallen die beiden sich erstmals in die
Arme, als ob eine Annäherung nur über Gewalt möglich wäre. In einer
Karawane voller ausgebombter, heimatlos gewordener Menschen finden Franz
und Polina dann eine riskante Zuflucht: Um Polina zu retten, muss Franz
noch einmal inkognito zu den Deutschen, eine Tat, die seine Deckung
auffliegen lässt.
Regisseur Michail Segal hat zuvor hauptsächlich Musikvideos und Werbeclips
gedreht. Deutlich merkt man seinem Erstling den Willen zum starken Bild an.
Die Natur um die Flüchtenden herum ist von morbider und karger Schönheit,
Farbfilter tauchen sie mal in eisiges Grau, dann in herbstliche Patina. Am
Ende versinkt die Handlung beinahe im Weiß des Schnees, durch das sich ein
Flüchtlingstreck zäh vorwärtsbewegt. Der belorussische Schriftsteller Ales
Adamowitsch lieferte mit seinem Roman "Der Stumme" die Vorlage des Filmes.
Bekannt wurde Adamowitsch vor allem als Chronist der Partisanenkriege
seines Landes; in "Franz und Polina" wird deutlich: Ob aus Notwendigkeit
oder aus Willkür, Grausamkeiten wurden auf beiden Seiten begangen.
30 Aug 2007
## AUTOREN
Dietmar Kammerer
## TAGS
Ukraine
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