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# taz.de -- Filmfestspiele Venedig: Der wilde Western ist überall
> Ennio Morricone-Klingeltöne, tomatenmarkfarbenes Kunstblut in der
> Spaghetti Western-Retrospektive, Brad Pitt als Bandit Jesse James.
> Venedig spielt Wild west.
Bild: Jesse James - vor der Ermordung durch den Feigling Robert Ford
In Gedanken ist man versucht, die schmale Lido-Insel nach Arizona, Utah
oder New Mexico zu verlegen. Nicht wegen der topografischen Ähnlichkeiten -
die sind gering. Eher, weil so viele Filme des Festivals den
US-amerikanischen Westen heraufbeschworenen, die Felsen und die Tafelberge,
die Koppeln und die holzgezimmerten Frontier-Städtchen. Dies gilt vor allem
für die Retrospektive, die den Spaghetti-Western feiert, mithin ein Genre,
das die Weite des US-amerikanischen Westens in Andalusien oder Apulien
wiederfand. Sergio Leones "Per un pugno di dollari" (1964) bildete den
Auftakt - an Leones Film lässt sich geradezu exemplarisch verfolgen, wie
die kargen, staubigen Landschaften des südspanischen Hinterlands zum
Grenzland zwischen den USA und Mexiko werden. Wie ein Kind, das mit Cowboy-
und Indianerfiguren die mythischen Kämpfe des Westens nachstellt,
reinszeniert der italienische Regisseur die Filme Howard Hawks oder John
Fords, mit Kunstblut, das so hellrot ist, dass man es für Tomatenmark
halten möchte.
Der Westen ist eben überall. Am Lido ist er wie eine Echokammer. Wohin man
sich wendet, man hört den Nachhall galoppierender Pferde und fliegender
Kugeln. Oder Mobiltelefone, deren Klingeltöne Melodien Ennio Morricones
kopieren. Der britische Regisseur Alex Cox etwa lässt "Searchers 2.0",
seinen etwas glücklosen Beitrag zur Orizzonti-Reihe, im Monumental Valley
enden, nachdem seine Protagonisten, ein konservativer Weißer, ein liberaler
Chicano und dessen Tochter, endlos darüber gestritten haben, wie
rassistisch John Wayne war - und ob der Krieg im Irak gerechtfertigt ist.
In Andrew Dominiks Wettbewerbsfilm "The Assassination of Jesse James by the
Coward Robert Ford" spielt Brad Pitt den berühmten Banditen, Casey Affleck
gibt dessen Mörder Bob Ford. Der Film gibt sich elegisch und weidet sich an
ausgedörrten Getreidefeldern und müden Gesichtern. Es ist ein Western, der
dort anfängt, wo andere aufhören, dort, wo der Tod unvermeidlich ist. Ein
Abgesang also und darin so schwelgerisch, dass man den Eindruck gewinnt,
Andrew Dominik halte sich für den ersten Filmemacher, der die Reize
entschleunigten Erzählens in einem actionreichen Genre entdeckt.
Als konservatives Heartland tritt der Westen in Paul Haggis
Wettbewerbsbeitrag "In the Valley of Elah" in Erscheinung. Wie Brian de
Palmas "Redacted" handelt Haggis Film vom Krieg im Irak beziehungsweise von
dessen Nachwirkungen. Ein aus dem Irak nach Fort Rudd in New Mexico
zurückgekehrter Soldat wird vermisst. Der Vater (Tommy Lee Jones) macht
sich auf die Suche, eine junge Polizistin (Charlize Theron) unterstützt ihn
dabei. Auch Haggis Film beginnt, nachdem das Eigentliche passiert ist - das
Verbrechen wurde schon begangen. Beiläufig rückt ein desolates New Mexico
ins Bild - Trailerparks, die bloße Erde am Straßenrand, auf der nichts als
dorniges Gestrüpp wächst.
Haggis und De Palmas Wettbewerbsfilme bieten viel Stoff für Kontroversen.
Welche Bilder, welche Narrative sind angemessen, um vom Krieg zu sprechen?
Haggis bemüht ausbalancierte Mischung aus Whodunit-Motiven und Rückblenden
auf das Kriegsgeschehen, die mit dem Mobiltelefon gefilmt sind? Oder De
Palmas digitalvideogestützte, agitatorische Direktheit? Die behauptet zwar
Multiperspektivität, lässt sich aber auf eine Binsenweisheit reduzieren:
Der Krieg ist schlecht. Interessant ist vor allem die Tendenz, dass manche
Filme die Narrative und die Topografien des Westerns nutzen, wenn sie vom
Irak erzählen. Dessen Motive bieten sich möglicherweise an, Fragen von
Rache und Gerechtigkeit, von Zivilisation und Barbarei, von Hochmut und
Fall zu verhandeln.
3 Sep 2007
## AUTOREN
Cristina Nord
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