# taz.de -- Lou Reed: Provokation eines Provokateurs | |
> Lou Reeds Krachkomposition "Metal Machine Music" wurde 1975 als | |
> "unhörbar" vom Markt genommen. Jetzt hat das Ensemble Zeitkratzer die | |
> Feedbackschlaufen neu interpretiert. | |
Bild: Einst verkannt - heute ein Klassiker. Lou Reed findet die Neuinterpretati… | |
"Wenn man wirklich das System sprengen möchte, müsste man Bomben legen." | |
Mit "System" meint Reinhold Friedl, der musikalische Leiter des Berliner | |
Ensembles Zeitkratzer, die Neue-Musik-Szene. Wie eine Sekte sei diese | |
strukturiert, meint er, undurchsichtig nach außen, hierarchisch und | |
statisch nach innen, "abgeschottet" nennt er sie, "stalinistisch" gar. Da | |
schiebt der Professor Soundso Kompositionsaufträge an ihm genehme ehemalige | |
Schüler weiter, für Ideen außerhalb des Systems ist nur wenig Platz, alles, | |
was dazu führen könnte, der Neuen Musik ihren elitären Nimbus innerhalb der | |
Hochkultur zu nehmen, scheint in Deutschland schnell abgeblockt zu werden. | |
Reinhold Friedl kann mit großer Begeisterung über John Cage und Iannis | |
Xenakis erzählen. Doch gleichzeitig hält er Pop nicht für massenkulturelle | |
Verblödung und Dancemusik für stumpfsinniges Humpta-Humpta. Er interessiert | |
sich vielmehr für alle Arten Musik, findet überall Zusammenhänge und will | |
Genregrenzen schlichtweg nicht akzeptieren. "Schubert-Lieder sind | |
Popmusik", sagt er beispielsweise, "der Anfang der Popmusik vielleicht, | |
oder Mozart-Opern, auch die sind soziokulturell bereits popartig angelegt." | |
Wenn man rekapituliert, was Friedl und sein Ensemble Zeitkratzer, das sich | |
aus stets wechselnden Musikern mit akademischen und unakademischen | |
Hintergründen zusammensetzt, in den letzten zehn Jahren alles bearbeitet | |
und mit wem es kollaboriert hat, wird erst deutlich, wie ernst es dem Mann, | |
der selbst präpariertes Piano spielt, mit seiner Schubladen-Aufbrecherei | |
ist. Mit japanischen Noisemusikern wie Masami Akita oder Keiji Haino hat | |
man bereits zusammengearbeitet, mit Lee Ranaldo von der Rockgruppe Sonic | |
Youth, "Hamburger Lady" von Throbbing Gristle wurde genauso neu eingespielt | |
wie eine Nummer der Deathmetalband Deicide. Alles kann für Zeitkratzer, das | |
Ensemble aus Streichern, Bläsern, Perkussion, Elektronik und Piano, also | |
Material für Neuinterpretationen sein, zu Abwegiges gibt es erst mal nicht. | |
Die bislang spektakulärste Neueinspielung des längst weltweit gefeierten | |
Ensembles liegt nun, fünf Jahre nach seiner Uraufführung im Haus der | |
Berliner Festspiele im Rahmen des MaerzMusik-Festivals als CD und DVD vor. | |
In einem gefeierten Konzert spielte Zeitkratzer die komplette Platte "Metal | |
Machine Music" von Lou Reed aus dem Jahr 1975 nach. Kurz vor Schluss, nach | |
einem gut einstündigen Soundgewitter, betrat Lou Reed selbst die Bühne, | |
setzte sich auf auf einen Stuhl, schnappte sich die E-Gitarre, übernahm von | |
Friedl das Kommando über das Ensemble und entlockte seinem Instrument | |
nochmals die Feedbackschlaufen, die "Metal Machine Music" zu einer der | |
eigenwilligsten Platten der Musikgeschichte machten. So sagte Reed: "Ich | |
finde großartig, was ihr da macht." | |
Damals, als "Metal Machine Music" erschien, erkannte kaum jemand die | |
Qualitäten des Werks, das Reed allein mit Gitarre und Verstärker in seinem | |
Loft aufgenommen hatte. Der Mann, von dem sich seine Plattenfirma ein | |
nächsten "Walk On The Wild Side" wünschte, fabrizierte vielmehr einen | |
handfesten Skandal. In dem der DVD beigelegten Interview mit Diedrich | |
Diederichsen berichtet Reed nochmals von der Rezeptionsgeschichte dieses | |
ungewöhnlichen Stücks Musik, das ausschließlich aus analogen Gitarrenloops | |
bestand, für Pophörer als unhörbar galt und das erst später als Blueprint | |
für Industrial und Noisemusik gefeiert wurde. Nach drei Wochen, so erzählt | |
Reed süffisant, habe seine Plattenfirma das Album wieder vom Markt nehmen | |
lassen. Nie zuvor seien so viele Exemplare einer Platte von empörten Hörern | |
postwendend zurück an den Vertrieb gesandt worden. Die Musikindustrie | |
fühlte sich in Solidarität mit den Reed-Fans derart verarscht, dass sie | |
daraufhin eine "Metal Machine Music"-Klausel einführte, die besagt, dass | |
ein Künstler bei jedem weiteren Album einigermaßen so zu klingen habe, wie | |
er es bei Vertragsunterzeichnung tat. | |
Das verkannte Werk von damals ist heute ein Klassiker, der vor kurzem erst | |
von der damals entsetzten Plattenfirma neu aufgelegt wurde, und so wird er | |
auch von Zeitkratzer behandelt. Die vom Saxofonisten des Ensembles, Ulrich | |
Krieger, bearbeitete Transkription versucht, vor allem dem physischen | |
Überwältigungsgestus des Originals gerecht zu werden und ihn sogar noch zu | |
potenzieren. Die puren und rohen Gitarrenpatterns von Reeds Ego-Experiment | |
werden live eingespielt vom kleinen Orchester zur komplexen und dennoch | |
minimalistisch gehaltenen Soundorgie. Eine kongeniale Neuinterpretation, | |
auch weil sich hier Provokateure von heute einer Provokation von damals | |
verschreiben. | |
Auch Lou Reed sieht das so, der stets betonte, wie hochzufrieden er mit der | |
Arbeit von Zeitkratzer war. Allerdings nicht nur zur Freude des Ensembles. | |
Denn das allzu große und berüchtigte Künstlerego Lou Reeds hat dazu | |
geführt, dass der Meister immer stärker eine Zampano-Rolle einnahm. Dass es | |
fünf Jahre dauerte, bis jetzt endlich "Metal Machine Music" auf dem kleinen | |
Label Asphodel erscheint, liegt auch daran, dass immer wieder neu mit Reed | |
über die Präsentation der CD/DVD verhandelt werden musste. Auf dieser | |
prangt nun groß "Lou Reed", dessen Werk lediglich "performed by | |
Zeitkratzer" wird. | |
Lou Reed performed by Zeitkratzer: "Metal Machine Music" (CD/DVD, | |
Asphodel/Alive); Reinhold Friedl & Zeitkratzer: "Xenakis (a) Live!" | |
(CD/DVD, Asphodel/Alive) | |
4 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
## TAGS | |
Neue Musik | |
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