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# taz.de -- Filmfestspiele Venedig: Die große Ernüchterung
> Cristina Nord besucht die Mostra. Der Kolumbus-Film des portugiesischen
> Regisseurs Manoel de Oliveira enttäuscht - Minuten dehnen sich zu
> Stunden.
Bild: "Der Taifun ist eine Metapher für den Zustand des Landes"
Eine Enttäuschung zum Ausklang: Lav Diaz 540-minütiger Film "Death in the
Land of Encantos" läuft nur heute, am letzten Tag des Festivals, tagsüber
in der kleinen Sala Pasinetti, am Abend in der größeren Sala Perla. Mein
Flug geht am Nachmittag, mehr als vier Stunden des Films könnte ich nicht
gucken. Der philippinische Regisseur mag im Interview sagen, man müsse
seine Filme nicht von Anfang bis Ende sehen (s. Kasten). Doch die
außergewöhnliche Erfahrung, die das Schauen eines Neunstundenfilms
bedeutet, bleibt verschlossen, wenn man nach vier Stunden das Kino
verlässt. Es ist die Erfahrung der longue durée: dass man sich in dem Film
einzurichten beginnt wie in einem temporär bewohnten Raum, einem
Hotelzimmer etwa.
Oder dass man den Figuren nach einer Weile wie Cousins begegnet, an deren
Gegenwart man seit Jahren gewöhnt ist. Man gewinnt darüber hinaus ein
Bewusstsein für die eigenen Aufmerksamkeitsspannen, dafür, wie die
Konzentration sich steigert und später wieder abfällt. Zwischendurch nickt
man ein und erlaubt dem Film, sich in den eigenen Träumen fortzusetzen.
Bleibt man nur vier Stunden, ist dieses Heraustreten aus der ökonomisch
verwalteten und eingeteilten Zeit nicht zu haben.
In der Erschöpfung der letzten Festivaltage fühlen sich manchmal schon 70
Minuten lang an. Dies geschieht mir ausgerechnet in einem Film des 98 Jahre
alten portugiesische Regisseur Manoel de Oliveira, der im letzten Jahr mit
der hinreißend frivolen Buñuel-Variation "Belle Toujours" zu Gast am Lido
war. Oliveiras neue, außer Konkurrenz gezeigte Arbeit "Cristóvão Colombo -
O Enigma" ("Christoph Kolumbus - Das Rätsel") ist eine Spurensuche im
unsicheren Terrain zwischen Fakt und Fiktion. Silva, ein junger Portugiese,
macht sich 1946 auf den Weg nach Amerika, wo er Arzt wird. Zugleich
entwickelt er ein großes Interesse an historischer Forschung. Sein Ehrgeiz
ist es, nachzuweisen, dass Kolumbus nicht Italiener, sondern Portugiese
war, geboren in dem Städtchen Cuba, dessen Namen später die Karibikinsel
erhalten sollte. Der Film bewegt sich sprunghaft durch die Jahre und
überquert den Atlantik mehrere Male. Ausführungen vor Denkmälern, in
Palästen und Museen entfalten den Charme einer Geschichtsstunde, und
bisweilen fragt man sich: Treibt den Regisseur vielleicht das patriotische
Begehren, den Entdecker Amerikas als portugiesischen Landsmann zu
reklamieren?
Zwischendurch aber gibt es tolle Augenblicke, etwa die Sequenz, in der
Silvas Schiff im Hafen von New York einläuft. Noch ist die Sonne nicht
aufgegangen, alles liegt im dichten Nebel, Formen sind nur schemenhaft zu
erkennen, und die Lichter der Schiffe und der Freiheitsstatue zerfließen in
weißen Schlieren. Gegen Ende von "Cristóvão Colombo - O Enigma" tritt der
Regisseur selbst auf samt seiner Ehefrau Maria Isabel de Oliveira - er
spielt den alt gewordenen Silva, sie dessen Frau Silvia. In einer rührenden
Szene unterhalten sich die beiden darüber, warum ihre Liebe schon 47 Jahre
dauert: weil sie die Liebe des anderen zu dessen Arbeit umso besser
verstehen, je mehr sie ihre eigene Arbeit lieben.
8 Sep 2007
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