| # taz.de -- Tonträger: Die Achse der Clubmusik | |
| > Die neuen Alben für die Afterhour: House, Deep House und Electro-Trance | |
| > von Ricardo Villalobos, Henrik Schwarz und dem Berliner Duo Modeselektor. | |
| Bild: Modeselektor liefern die kaputte Electro-Trance-Berlin-Hymne. | |
| Ricardo Villalobos ist der interessanteste House-Produzent der vergangenen | |
| Jahre. Mit all den Widersprüchlichkeiten, die mit Interessantizismus in der | |
| Musik einhergehen. Als DJ ist er berühmt für seine schier endlosen Sets, | |
| die oft selbst dann noch nicht fertig sind, wenn der Club schließt und das | |
| Wochenende vorbei ist. Dann macht er einfach in den Afterhour-Läden der | |
| Stadt bis in die nächste Woche hinein weiter. Als Produzent wiederum hat er | |
| den Sound dieser ganz späten Stunden in einen schlüssigen Entwurf | |
| umgesetzt. Die Fabric-Mix-CD mag als DJ-Mix daherkommen, schließlich ist | |
| sie Teil der monatlichen Reihe, mit der der Londoner Club seine DJs | |
| präsentiert. Tatsächlich ist sie aber ein vollgültiges Villalobos-Album. | |
| Alle Stücke sind neue Eigenproduktionen. Wenn ein typischer House-Track von | |
| der Bassline und vier schweren Schlägen auf die Bassdrum ausgeht, dann | |
| finden sich diese beiden Elemente auch bei Villalobos noch, nur nimmt er | |
| ihnen die Dominanz. Neben, unter und über ihnen klöppeln und zischen noch | |
| eine ganze Menge anderer Klangspuren. Das können ganz feine | |
| Percussion-Linien sein oder Samples von chilenischen Protestsongs. Was | |
| vielleicht am erstaunlichsten ist - und Villalobos Soundentwurf abhebt von | |
| dem vieler dutzend anderer Produzenten, die ihm auf seinem Weg gefolgt | |
| sind: Seine Musik ist eine Musik, die ihren Ursprung in jenem higher state | |
| of consciousness der frühen Morgenstunden hat. Sie funktioniert aber auch | |
| beim Bügeln zu Hause. | |
| Ricardo Villalobos: "Fabric 36" (Fabric) | |
| ## Ganz deep im Vergessen | |
| Dass Deep House in den vergangenen zwei Jahren ausgerechnet von Berlin aus | |
| eine solche Renaissance erfahren hat, ist so bezaubernd wie überraschend. | |
| Hatte es diese Spielart der Clubmusik zu ihrer großen Zeit in den frühen | |
| Neunzigern neben den härteren Techno-Entwürfen doch gerade in Berlin | |
| besonders schwer. Henrik Schwarz ist der wahrscheinlich begabteste | |
| Produzent dieses neuen Netzwerks von Produzenten und DJs. Nachdem er im | |
| vergangenen Jahr mit seinem großartigen DJ-Kicks-Album schon umriss, welche | |
| Stränge der schwarzen Musik in seinem House-Entwurf zusammenlaufen - von | |
| James Brown und Cymande über Drexciya und Robert Hood bis hin zu Marvin | |
| Gaye und Moondog -, präsentiert er mit seinem großartigen neuen Album | |
| "Live" nun, wie es sich anhört, wenn er auftritt. "Live" ist ein | |
| durchgehender Mix aus 16 eigenen Tracks, Remixen und Edits, die samt und | |
| sonders bei Live-Sets in verschiedenen Städten aufgenommen und nun | |
| zusammengefügt worden sind. Da findet sich sein hypnotischer Remix von | |
| "Voui Voui", einem Stück der norwegischen Folksängerin Mari Boine, genauso | |
| wie eine Variante des Funk-Klassikers "Mango Meat" von Mandrill. "Leave My | |
| Head Alone, Brain, Help Me Through The Night" geht der Refrain von Schwarz | |
| schönstem Track: Treffender lässt sich kaum zusammenfassen, wie es sich | |
| anfühlt, wenn man als House-Connaisseur weiß, dass das rauschhafte | |
| Vergessen Voraussetzung jedes wirklichen Verständnisses dieser Musik ist. | |
| Henrik Schwarz: "Live" (Studio K7!) | |
| ## Gewitzte Verführung | |
| Ganz andere Baustelle: das Berliner Duo Modeselektor. Wo sowohl Villalobos | |
| als auch Schwarz bei allem Humor, der sich in ihrer Musik mitunter findet, | |
| am Ende doch durchdrungen sind vom heiligen Ernst ihrer Sache, kann man | |
| danach bei Gernot Bronsert und Sebastian Szary lange suchen. Wie kämen die | |
| beiden sonst auf die Idee, für ihr neues Album Scooters Mittneunziger-Hymne | |
| "Hyper Hyper" zu covern- als kaputte Electro-Trance-Berlin-Bass-Hymne? Ihr | |
| Debüt "Hello Mom" gab vor zwei Jahren den Weg vor, den Modeselektor nun | |
| weiterhüpfen: Man kann sich die beiden vorstellen wie eine große Fräse, die | |
| sich mit Lust an der Zersplitterung in den großen Holzapfel der | |
| elektronischen Musik hineinarbeitet: Electro, Trance, Hiphop, Dancehall, | |
| Electronica, Dubstep. Dass sie dafür so unterschiedliche Gäste wie Thom | |
| Yorke von Radiohead und den Reggae-Sänger Paul St. Hilaire gewinnen | |
| konnten, zeigt, wie anschlussfähig dieses Konzept ist. Wer Modeselektor | |
| einmal live gesehen hat, weiß allerdings auch, welche natürlichen Grenzen | |
| dies hat: Die umwerfende Spontaneität ihrer Auftritte, dieser Spaß an der | |
| polystilistischen Zerschredderung auf Basis massiven Bassterrors, kann auf | |
| Platte durchaus seine Längen haben. Wie ein Comedian, der sein Publikum | |
| jedes Mal wieder bekommt, weil er die gleichen Scherze immer wieder neu | |
| erzählt, der auf Platte aber nur halb so lustig ist, weil der Witz auf der | |
| Verführungskraft seiner Person beruht. | |
| Modeselektor: "Happy Birthday" (Bpitch Control/Kompakt) | |
| 13 Sep 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Rapp | |
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| Musik | |
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