# taz.de -- Zeitung der Zukunft: "Alt? na und!" | |
> Wie werden die Senioren der Zukunft leben? Was bedeutet das für den | |
> Inhalt der Zeitung? Eine Seniorenzeitung aus Mülheim geht diesen Fragen | |
> nach. | |
Bild: Senioren, die nicht in Schubladen gesteckt werden wollen, lesen lieber "A… | |
Die Geschichte der Mülheimer Seniorenzeitung | |
1989 gegründet von Mitarbeitern der Heinrich-Thöne-Volkshochschule Mülheim | |
an der Ruhr, wird die Seniorenzeitung im Rahmen eines VHS-Kurses erstellt. | |
Von Beginn an war es der Redaktion wichtig, politisch und konfessionell | |
unabhängig und neutral zu sein. Dem entsprechend haben die jeweiligen | |
OberbürgermeisterInnen aus verschiedenen Parteien die Schirmherrschaft über | |
die Zeitung übernommen, zurzeit Dagmar Mühlenfeld (SPD). | |
1993, im Europäischen Jahr der älteren Generation, wurde Alt? na und! von | |
der Europäische AG für Seniorenfragen im Europaparlament zum | |
"bemerkenswerten Projekt mit und von Seniorinnen und Senioren" ernannt. | |
Die Zeitung erscheint viermal pro Jahr. 6.500 Exemplare pro Ausgabe werden | |
kostenlos verteilt, im September dieses Jahres erschien die 66. Ausgabe. | |
Alt? na und! wird von Senioren erstellt, sie machen alles: Themen suchen, | |
recherchieren, Interviews führen, Beiträge schreiben, Texte in den | |
Redaktionssitzungen vorlesen, diskutieren und vom Redaktionsteam für den | |
Abdruck genehmigen lassen, zeichnen, fotografieren, am PC Druckvorlagen | |
erstellen und auf CD brennen (gedruckt wird in der Druckerei der Stadt MH | |
Mülheim?), die fertigen Zeitungen an über 100 öffentliche Einrichtungen und | |
private Adressen überwiegend in Mülheim verteilen. Die Redaktion hat | |
derzeit 13 Mitglieder (8 Frauen, 5 Männer) im Alter von 52 bis 81 Jahren, 7 | |
MitarbeiterInnen sind älter als 70 Jahre, Gabi Strauß-Blumberg ist seit | |
zehn Jahren Redaktionsleiterin. | |
Wichtigste Ziele der Zeitung sind: den LeserInnen eine positive Einstellung | |
zum Alter und Altern vermitteln, Lebensfreude wecken und/oder erhalten, | |
Verständnis und Dialog zwischen den Generationen fördern. | |
Seit 2000 kann man die Zeitung im Internet [1][(www.alt-na-und.de]) lesen | |
und downloaden. E-Mails empfängt die Redaktion unter | |
[2][[email protected]]. | |
Drei Beiträge von Autoren der Zeitung Alt? na und! | |
Aktiv im Alter: Warum ich "Familienpatin" geworden bin - mit 80! | |
Die klassische Familie, so wie wir sie von früher kennen, gibt es heute | |
immer seltener. Arbeitslosigkeit, zu wenige und zu teure | |
Kindergartenplätze, Probleme in der Familie: das ist alles sehr belastend | |
und führt dazu, dass manche Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder | |
überfordert sind. | |
In Mülheim an der Ruhr haben der Caritas Sozialdienst e. V., das Centrum | |
für bürgerschaftliches Engagement (CBE) und das Bündnis für Familie im | |
Sommer 2006 das Projekt "FamilienStart" ins Leben gerufen. Ehrenamtliche | |
"Paten" stehen für zirka ein Jahr jungen Alleinerziehenden oder Eltern nach | |
der Geburt eines Kindes mit Rat und Tat zur Seite. Sie unterstützen sie in | |
der neuen Lebenssituation. | |
Ein Baby ist da - ein neues Leben, wie schön! Die erfahrenen "Paten" helfen | |
der Mutter bei der Versorgung und Betreuung des Babys, helfen, eine Wohnung | |
zu finden und einzurichten, helfen, bei Ämtern das nötige Kindergeld zu | |
beantragen usw. Eine rundum schöne Sache zur alltäglichen Entlastung. Und | |
wenn eine Sache gut ist, findet sich immer ein Weg. So auch für mich. Aber | |
reden nützt nicht viel, ich muss einfach etwas "tun". | |
Seit einen halben Jahr bin ich "Familienpatin" von einer jungen, | |
alleinerziehenden Mutter. Sie hat einen kleinen Sohn bekommen. Er ist jetzt | |
drei Jahre alt. Kaum war das Baby da, bekam sie glücklicherweise einen | |
Ausbildungsplatz. Die Mutter konnte deshalb leider nur ein paar Wochen zu | |
Hause bleiben. Gemeinsam fanden wir eine Tagesmutter und auch eine Lösung, | |
sie zu bezahlen. | |
Das Kind ist nun auf der Welt, und ich glaube, es ist schon eine Hilfe, | |
wenn ich der jungen Mutter im Alltag mit meiner Lebenserfahrung ein | |
bisschen unter die Arme greifen kann. | |
Hilfesuchende können sich an die Schwangerenberatungsstellen wenden. Die, | |
die helfen wollen, wenden sich bitte an das Centrum für bürgerschaftliches | |
Engagement, Mülheim an der Ruhr. | |
Brigitte Block, 80 Jahre | |
Buchbesprechung: Jung und Alt? Das geht gemeinsam | |
Fast jeder kennt den Schutzpatron der Reisenden, des Transports und des | |
Verkehrs. Nach der Legende ist Christophorus ein Mensch mit enormen | |
Kräften, der nach einer sinnvollen Aufgabe in seinem Leben sucht. Er fand | |
sie in der bedingungslosen Hingabe an ein Kind, das einsam war und dem er | |
geholfen hat. Ohne zu ahnen, dass ihn das Kind retten würde. | |
Die Autorin Dana Horáková schreibt in ihrem Buch "Das Christophorus | |
Projekt" über zwei Randgruppen unserer Gesellschaft, die beide nicht mitten | |
im Leben stehen: die Kinder und die Alten. | |
Werden Kinder in unterschiedlichen Einrichtungen "geparkt" und abgeschoben, | |
erfahren sie hautnah das Gefühl von Einsamkeit. Sie vermissen nach dem | |
täglichen Kindergarten- oder Schulschluss eine Bezugsperson, die ihnen | |
zuhört und die mit ihnen spricht. Die Alten leiden unter Mangel an Respekt | |
und dem Fehlen sinnvoller Aufgaben. Sie verkümmern in ihrer Einsamkeit und | |
landen im Altenheim. So geraten beide Gruppen in ein Gefühlsvakuum, sie | |
werden depressiv und krank, aggressiv oder kriminell. | |
Dabei gehören die heutigen Alten zu der Generation, die noch mit den | |
Wertvorstellungen ihrer Eltern aufgewachsen ist und einige dieser Werte an | |
die Kinder von heute weitergeben könnten. Ein Drittel der heute 55- bis | |
69-Jährigen betreut Enkelkinder und übernimmt Aufgaben, die einst ihre | |
Großeltern für sie übernahmen. | |
Doch es geht nicht nur um die Enkel. Jedes Gespräch, jeder Austausch mit | |
einem Kind aktiviert neue Energie und Lebenskraft. Ein Kind zu tragen ist | |
nichts Leichtes. Es wird, wie Christophorus erfahren musste, immer | |
schwerer. Und doch lohnt es sich: Ein Kind kann einem alten Menschen das | |
Gefühl geben, wirklich gebraucht zu werden. | |
Das Schwierigste ist immer der erste Schritt. Man muss sich überwinden und | |
seine Angst vor dem Einbruch von etwas Neuem in die gewohnten Alltagsbahnen | |
bezwingen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu engagieren: in der eigenen | |
Familie, in der Nachbarschaft, in Kindergärten, Schulen, Gemeinden oder in | |
Projekten wie zum Beispiel dem "Projekt Leihoma/Leihopa", "Mülheim liest | |
vor" in Kindergärten und Grundschulen oder "FamilienStart" (siehe Bericht | |
auf dieser Seite). Ihre Hilfe, "der Dienst am Kind", wird gebraucht und | |
dankbar angenommen. | |
Dorothea Stehkämper, 67 Jahre | |
Dana Horáková: "Das Christophorus Projekt. Von der Pflicht der Alten, | |
unsere Kinder zu retten". Neuer Europa Verlag Leipzig, ISBN 103-86695-360-7 | |
Im Jahr 2005 ist von der Bertelsmann-Stiftung und dem Kuratorium Deutsche | |
Altershilfe das Projekt "Nachbarschaftszentrum Meinolfstraße" in Bielefeld | |
im "Werkstattwettbewerb Quartier" mit dem 1. Preis ausgezeichnet worden. Es | |
hat mich neugierig gemacht, was sich wohl dahinter verbirgt und ob das auch | |
ein Beispiel für unsere Heimatstadt Mülheim an der Ruhr sein könnte. | |
Bereits 1992 hatte die Baugenossenschaft "Freie Scholle" in Kooperation mit | |
AWO, Diakoniestation und dem Amt für soziale Dienste mit der Entwicklung | |
des Konzepts "Nachbarschaftszentrum" begonnen. Der demografische Wandel | |
wurde seinerzeit schon sehr ernst genommen. | |
Dieses gewachsene Konzept setzt neue Schwerpunkte: Weg vom Defizitmodell | |
des Alters, hin zur Selbsthilfe. Leitgedanken sind Selbstständigkeit, | |
Selbstbestimmung, Beweglichkeit und soziale Teilhabe. | |
Um Anspruch auf eine Genossenschaftswohnung im Nachbarschaftszentrum zu | |
haben, müssen Geschäftsanteile in Höhe von 5.250 Euro übernommen werden. | |
Die Siedlungen werden so gestaltet, dass ihre Mitglieder für jede | |
Lebensphase die passende Wohnung und ein entsprechendes Wohnumfeld | |
vorfinden. Das ist die Voraussetzung für das Zusammenleben der Generationen | |
in guten Nachbarschaften. | |
Im Nachbarschaftszentrum bedeutet das: alten- und behindertengerechte, | |
barrierefreie Wohnungen, gewerbliche und gesundheitsdienstliche | |
Einrichtungen, ein Aktivitätszentrum mit Begegnungsmöglichkeiten für alle | |
Generationen, ein Gemeinschaftshaus mit großem Saal und Gästezimmern, | |
mobiler sozialer Dienst, betreute Wohngruppen und Ausleihe von | |
Pflegehilfsmitteln. Eine eigene Altenberatung ist kostenloser Bestandteil | |
der Betreuung vor Ort und ermittelt mit den betroffenen Mitgliedern den | |
individuellen Bedarf. Das erhöht nachhaltig die Wohnsicherheit für die | |
Genossenschaftsmitglieder und ihre Angehörigen und trägt entscheidend zur | |
Wohnzufriedenheit bei. | |
Vielfältige Unterstützung bietet auch der von der "Freien Scholle" 1990 | |
gegründete Nachbarschaftshilfe-Verein. Rund 1.600 Mitglieder sind auch hier | |
in dem Verein. Mit ihrem monatlichen Beitrag ermöglichen sie das umfassende | |
Dienstleistungsangebot des Vereins: Putzdienst, Besorgung von Einkäufen, | |
Begleitung zum Arzt, Fahrten zu Angehörigen. Dieses zuverlässige Netz von | |
Diensten rund ums Wohnen ist die Voraussetzung dafür, dass alte Menschen | |
möglichst lange in ihrer Wohnung und in ihrer vertrauten Umgebung bleiben | |
können. | |
Das erfolgreiche Projekt wäre ohne das nachbarschaftliche Engagement von | |
zahlreichen ehrenamtlichen HelferInnen in den elf Nachbarschaftstreffs der | |
"Freien Scholle" nicht denkbar. Die dort von den Mitgliedern selbst | |
organisierten Angebote wie Kindernachmittage und Kaffeetreffs tragen ganz | |
entscheidend zum guten Wohnen in stabilen Nachbarschaften bei. | |
Ein Beispiel für Mülheim? Ich finde: "Ja!" Zur Nachahmung empfohlen. | |
Rosemarie Mink, 67 Jahre alt | |
Ehrenamtlich und ohne Honorar: Warum ich für die Seniorenzeitung arbeite | |
Wer arbeitet schon gerne ohne Lohn? Ich! Und warum tue ich das? Ich habe | |
drei wunderbare Argumente für meine unentgeltliche Mitarbeit in der | |
Redaktion der Mülheimer Seniorenzeitung Alt? na und!. | |
Zum einen öffnen sich mir viele Türen bei den unterschiedlichsten Menschen, | |
wenn ich sage, dass ich von der Zeitung komme und über diesen Besuch | |
berichten möchte. In den meisten Fällen finde ich Aufgeschlossenheit und | |
Redebereitschaft, darf Fotos machen und erfahre viel Interessantes, was mir | |
sonst unbekannt bliebe. | |
Zum anderen werde ich zu zahlreichen Ereignissen eingeladen, die | |
kostenpflichtig oder nur für Fachpublikum geöffnet sind, wie zum Beispiel | |
Messen und Ausstellungen, kulturelle Veranstaltungen, Vereins- und | |
Verbandstagungen, Kongresse und Seminare, über die ich dann schreibe. | |
Dazu kommt als Drittes, dass ich durch die Redaktionsarbeit Einblick in | |
interessante Bereiche, Themen und Berufe bekomme, die für mich sonst nicht | |
zugänglich wären. Ausgefallene Hobbys, kuriose Beschäftigungen, | |
eigentümliche Tätigkeiten, originelle Zeitgenossen und merkwürdige | |
Begegnungen bereichern mein Leben und zeigen mir, wie bunt es doch ist. | |
Dieses Vergnügen ist allerdings nur möglich, weil ich aus dem Erwerbsleben | |
ausgeschieden bin und mir für die Arbeit viel Zeit nehmen kann. Das ist | |
einem Berufsredakteur leider nicht möglich, weil der ständig unter | |
Zeitdruck steht. | |
Neben diesen drei Vorzügen genieße ich bei dieser Tätigkeit aber auch die | |
Gesellschaft netter Leute: einerseits in der Redaktionssitzung - ein buntes | |
Völkchen, mit dem ich mich gerne treffe -, andererseits aber auch bei | |
meinen Recherchen vor Ort. Wer hat denn schon die Chance, immer wieder | |
fremde Menschen anzusprechen und Bereitschaft zu Kontakt und Gespräch zu | |
finden? | |
Und dann gibt es da noch einen Punkt: Wenn ich durch meine | |
Berichterstattung dem ein oder anderen Leser einen Tipp geben konnte, womit | |
ich ihm ein bisschen geholfen habe, dann habe ich doch - zwar nur ganz ganz | |
wenig, aber doch im winzigen Detail - ein kleines bisschen die Welt | |
verbessert. | |
Es wäre schön, wenn dieser Effekt ehrenamtlicher Tätigkeit in Zukunft immer | |
mehr an Bedeutung gewinnen würde. Denn immer mehr in unserem Leben wird | |
immer weniger bezahlbar, sodass die Verknüpfung eines lustvollen Hobbys mit | |
der Hilfe für andere immer mehr Gewicht bekommen wird. | |
Fred Gnuschke, 81 Jahre | |
15 Sep 2007 | |
## LINKS | |
[1] http://www.alt-na-und.de/ | |
[2] /[email protected] | |
## AUTOREN | |
Dorothea Stehkämper | |
## TAGS | |
Menschen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Plötzlich ist Marias Vorhang zu: Von einer, die fehlt | |
Maria hatte ihre Einzimmerwohnung im Hochparterre eines Wohnhauses auf St. | |
Pauli. Sie war immer da. Und ihr Fenster stand immer offen. |