# taz.de -- Interview: "Zu viele Engstellen" | |
> Wer die Krise der deutschen Akademiker und Ingenieure beheben will, muss | |
> endlich die Zahl der Bildungsverlierer verringern, sagt | |
> Bildungsforscherin Heike Solga. | |
Bild: Für deutsche HochschülerInnen wird es oft eng. | |
taz: Frau Solga, die OECD hat erneut bemängelt, dass die Akademikerquote in | |
Deutschland zu gering sei. Nervt die OECD - oder gibt es tatsächlich zu | |
wenig Akademiker? | |
Heike Solga: Der Pisa-Koordinator der OECD, Andreas Schleicher, hat sicher | |
recht, wenn er meint, dass das deutsche Bildungssystem zu viele | |
Flaschenhälse hat | |
Was meinen Sie damit? | |
dass das Bildungssystem insgesamt zu undurchlässig ist - und deswegen nicht | |
mehr Akademiker durchkommen. Es ist zum Beispiel sehr schwer für Haupt- und | |
Realschüler, das Abitur nachzuholen. Die Zahl derjenigen, die das auf dem | |
zweiten Bildungsweg schaffen, ist rückläufig. Und es werden ja immer mehr | |
Engstellen - etwa wenn die Länder den Übergang vom Bachelor zum Master | |
beschränken. | |
Ist nicht klar, dass die Wirtschaft mehr Ingenieure braucht? Der | |
Fachkräftemangel ist doch in aller Munde. | |
Im Moment scheint das klar. Aber die Debatte in der Bundesrepublik war | |
bisher eine andere. Da hieß es: Wir haben genug oder eher zu viele | |
Akademiker. | |
Hat diese Sichtweise Bestand angesichts des demografischen Wandels? | |
Wenn das demografische Tal kommt, haben wir in der Tat ein Problem. Gerade | |
in den oberen Gruppen der Hochqualifizierten fehlt es dann. Das zeigen die | |
Zahlen der OECD sehr deutlich. | |
Wann kommt dieses Tal? | |
Im Osten der Republik steht es bereits an, da kommen die geburtenschwachen | |
Jahrgänge. Und in den alten Ländern werden die Jungen ab dem Jahr 2020 | |
fehlen. | |
Inzwischen wurden eine Exzellenzinitiative und ein Pakt für die Hochschulen | |
verabredet, auch im Schulsystem wird seit dem Pisa-Schock herumreformiert. | |
Wieso wirkt das nicht auf die Akademikerquote? | |
Das kann nicht oder noch nicht greifen. Die Exzellenzinitiative bezieht | |
sich nur auf die Forschung, der Hochschulpakt beginnt erst. Und die vielen | |
Schulreformen sind in Bezug auf die Zahl der Hochschulabsolventen zu | |
widersprüchlich. Das gemeinsame Projekt einer Schule, in der potenziell | |
alle Schüler bis zum Abitur gehen können, ist nicht erkennbar. Aber das ist | |
alles nicht wesentlich der Grund, es geht um etwas anderes. | |
Worum geht es denn? | |
Es gibt kein Bildungsklima. Wir fragen nicht, ob möglichst viele Menschen | |
möglichst viel Bildung bekommen. Hier lautet die Frage immer: Nutzt ein | |
Studium, um es für den Arbeitsmarkt zu verwerten? Und es gibt verwirrende | |
Signale, die Studiengebühren zu Beispiel. Sie sind nicht hoch, aber sie | |
verunsichern. Die Studentenzahlen sinken. | |
Liegt die Problemzone des Bildungssystems eigentlich oben oder unten? Zu | |
Deutsch: Gibt es zu wenig Akademiker oder zu viele Bildungsverlierer? | |
Aus meinen Forschungen heraus würde ich sagen, dass es um die | |
Benachteiligten und die sogenannten Risikoschüler geht. In der Schule und | |
in der dualen Ausbildung gibt es zu viele Bildungsverlierer, deren | |
Biografien nicht ins Erwerbsleben und nicht in die Gesellschaft führen. | |
Dabei können wir es uns gar nicht leisten, Risikopopulationen zu | |
produzieren. Wenn wir es hinkriegen, diese Schüler zu integrieren, dann | |
haben wir auch eine Antwort auf die Akademikerfrage. | |
Geben Sie uns ein Beispiel? | |
Die Sonderschulen. Die Hälfte der Schüler in diesen sogenannten | |
Förderschulen sind Lernbehinderte, unter den Migranten sind es sogar 70 | |
Prozent. Das sind Schüler, die aus sozialen Gründen aus den Regelschulen | |
ausgeschlossen werden. Wir sollten die Sonderschulen abschaffen und ihre | |
Schüler ins allgemeine Schulsystem integrieren. | |
Die neue Studie ist nur der Vorbote für Pisa. Was hat sich seit der ersten | |
Pisa-Studie 2001 getan, wovor hat sich die Bildungspolitik gedrückt? | |
Ich finde, es hat sich eine Menge getan. Ich hätte nicht gedacht, dass eine | |
Reihe von Bundesländern sich Richtung zweigliedriges Schulsystem auf den | |
Weg machen. Da ist etwas Grundsätzliches in Bewegung geraten. Versäumt | |
wurden wichtige Personalfragen. Erzieherinnen dürfen nach wie vor nicht | |
studieren. Und in der Lehrerbildung wird der Generationswechsel verschenkt. | |
Wir könnten heute Lehrer ausbilden, die nicht mehr nach Hauptschule, | |
Realschule oder Gymnasium getrennt sind, sondern die in der Lage sind, | |
heterogene Lerngruppen zu unterrichten. Das geschieht nicht. | |
INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER | |
18 Sep 2007 | |
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