# taz.de -- Flugzeugabschuß: "Jenseits des Rechtsstaates" | |
> Jung pfeift auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Abschuss von | |
> entführten Flugzeugen. Ein unerträglicher Zustand, so Ex-Innenminister | |
> Gerhart Baum | |
Bild: Baum kritisiert Jung : "Das Leben der Passagiere darf nicht geopfert werd… | |
taz: Herr Baum, Verteidigungsminister Jung würde ein von Terroristen | |
gekapertes Flugzeug abschießen lassen und danach zurücktreten. Würden Sie | |
sich in seiner Position nicht ebenso verhalten? | |
Gerhart Baum: Nein, auf keinen Fall. Es ist unglaublich, dass das Mitglied | |
eines Verfassungsorgans ein fundamentales Urteil des | |
Bundesverfassungsgerichts nicht respektieren will. Das Gericht hat doch | |
völlig eindeutig entschieden, dass eine Ermächtigung der Streitkräfte, mit | |
Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von | |
Menschen eingesetzt werden soll, mit dem Grundrecht auf Leben und mit der | |
Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar ist. Es gibt nicht | |
den bequemen Weg in den übergesetzlichen Notstand. Es ist nicht regelbar. | |
Besteht Jungs Fehler nicht nur darin, regeln zu wollen, was man zwar in | |
einer solchen Situation machen muss, aber worüber man vorher nicht sprechen | |
darf? | |
Man muss es doch nicht machen! Herr Jung kann doch nicht sagen, dass er | |
bewusst auf einen Verfassungsbruch zusteuert und über Leben und Tod | |
entscheiden will. Er entscheidet sich für den Tod der Passagiere. Doch | |
völlig unbeteiligte Menschen von Staats wegen zu töten, wäre genau das: ein | |
Verfassungsbruch. Dabei ist die von ihm angestrebte Änderung des | |
Grundgesetzes einfach nur aberwitzig. Ich frage mich, von welchem | |
Verfassungsjuristen er beraten wird. Es ist überhaupt keine Änderung | |
denkbar, die seinen Vorstellungen entspricht und verfassungskonform wäre. | |
Das wäre verfassungswidriges Verfassungsrecht! Er soll doch mal das | |
Verfassungsgerichtsurteil lesen. Burkhard Hirsch und ich würden sofort | |
wieder nach Karlsruhe gehen. | |
Nehmen wir an, ein von Terroristen entführtes Flugzeug wäre im Anflug auf | |
ein voll besetztes Sportstadion: Würden Sie dann der Katastrophe nichts | |
tuend entgegenschauen? | |
Bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe wurden alle möglichen Szenarien | |
durchgespielt. Schon heute gibt es zahlreiche unkontrollierte | |
Flugbewegungen, die schwierig zu erfassen sind. Es bleibt dabei: | |
Menschenleben darf nicht gegen Menschenleben aufgerechnet werden. Selbst | |
das Leben Todgeweihter muss bis zum letzten Atemzug geschützt werden. Also | |
darf auch nicht das Leben von Passagieren in einer gekaperten Maschine | |
geopfert werden. | |
1972 stand ein Verteidigungsminister schon einmal genau vor einer solchen | |
Entscheidung. Georg Leber bekam die Information, ein mutmaßlich von | |
Terroristen gekapertes Passagierflugzeug sei im Anflug auf die | |
Abschlussfeier der Olympischen Spiele in München. Leber wollte damals zur | |
Not die Maschine abschießen lassen - Verfassung hin oder her. In letzter | |
Sekunde stellte sich jedoch heraus, dass bei dem Flugzeug nur die | |
Bordelektronik ausgefallen war. So originell sind die Ansichten von Herrn | |
Jung also nicht. | |
Das mag sein, macht sie aber nicht besser. Außerdem gab es damals das | |
Karlsruher Urteil noch nicht. Allerdings zeigt doch gerade dieser Fall, wie | |
fatal so eine Entscheidung sein kann. Sie wissen doch gar nicht, was sie | |
mit einem Abschuss bewirken. Sie wissen nur, sie töten unschuldige | |
Menschen. Stellen Sie sich vor, die Maschine wäre nicht rechtzeitig | |
identifiziert worden. Wie reagiert man auf falsche Terrorankündigung eines | |
Verrückten? | |
Der Aufschrei über den Vorstoß von Jung ist groß. Sogar SPD und Grüne, die | |
noch an der Regierung den Abschuss von Passagierflugzeuge gesetzlich | |
ermöglichen wollten, sind jetzt auf Ihrer Seite. Beruhigt Sie das? | |
Die FDP war ja von Anfang an gegen ein solches Gesetz. Wenn sich jetzt eine | |
breitere Mehrheit im Parlament gegen solche Pläne abzeichnet, begrüße ich | |
das natürlich. Ich hoffe, das bleibt so. | |
Muss Jung zurücktreten? | |
Der jetzige Zustand, das hat die Bundestagsdebatte vorgestern gezeigt, ist | |
unerträglich: Es ist eine Kraftprobe zwischen einem Bundesminister und dem | |
Bundesverfassungsgericht - und die Bundeskanzlerin schweigt. Nein, | |
Rücktrittsforderungen sind nicht meine Sache. Ich fordere vielmehr von | |
Herrn Jung, dass er seinen Frieden mit der fundamentalen Entscheidung zum | |
Lebensschutz des Verfassungsgerichts macht. | |
Wird dann alles wieder gut? | |
Keineswegs. Ich stelle fest, dass wir immer weiter von der | |
Kriminalitätsbekämpfung weg hin zum Kriegsrecht geraten. Nicht nur wegen | |
der Äußerungen Jungs, sondern auch mit der von Schäuble geäußerten Ansicht, | |
die gezielte Tötung von Verdächtigen ins Auge zu fassen. Es wird so getan, | |
als befänden wir uns in einem Ausnahmezustand - und der würde auch | |
Bürgeropfer rechtfertigen. Wir sind auf dem gefährlichen Weg zu einem | |
Feind- und Kriegsstrafrecht - und das wäre eine Situation, in der sich der | |
Staat jenseits des Rechtes bewegt. Dahinter steckt die Denkweise des | |
Nazi-Wegbereiters Carl Schmitt, die sich fortsetzt bei einer Minderheit der | |
Staatsrechtslehre. Ich warne davor, auch nur ansatzweise dessen Gedanken zu | |
übernehmen. Damit würden wir uns jenseits vom Rechtsstaat befinden, wie | |
Bush das getan hat. | |
INTERVIEW: PASCAL BEUCKER | |
20 Sep 2007 | |
## TAGS | |
FDP | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zum Tod von Burkhard Hirsch: Ein unbeugsamer Liberaler | |
Der frühere Bundestagsvizepräsident ist im Alter von 89 Jahren gestorben. | |
Sein Kampf für Freiheitsrechte war eine Lehre aus der NS-Zeit. |