# taz.de -- Chinesischer Strategiewechsel: Macht durch Masse | |
> Früher versuchte China, durch Unterstützung der afghanischen | |
> Gotteskrieger Einfluss auf Afghanistan zu nehmen. Heute erobert es | |
> einfach den Markt mit seinen Produkten. | |
Bild: Exporte steigern den Einfluß Chinas auf Afghanistan. | |
Während die USA und ihre Verbündeten in der Nato immer noch der Meinung zu | |
sein scheinen, die Probleme Afghanistans militärisch lösen zu können, gehen | |
die beiden großen Nachbarn, Iran und China, andere Wege. | |
Mit der sowjetischen Invasion in Afghanistan sahen sich die Islamisten im | |
Iran, denen gerade eine Revolution zum Sieg verholfen hatte, in einer | |
schwierigen Position, die durch Konflikte mit den USA und durch den Krieg | |
gegen Irak noch komplizierter wurde. Bei alledem blieb dem Land, das nun | |
von außenpolitisch unerfahrenen Geistlichen beherrscht wurde, kaum | |
Spielraum für eine durchdachte Politik gegenüber seinem Nachbarn, der in | |
einen Bürgerkrieg verwickelt war. Umso erstaunlicher ist, dass Teheran | |
schon Anfang der 1980er-Jahre die Richtlinien für eine neue | |
Afghanistanpolitik festlegte. | |
Das Hauptziel der Islamischen Republik war, über die Unterstützung der | |
schiitischen Minderheit ihren Einfluss in Afghanistan zu erhöhen, ein | |
Gegengewicht zu der von Pakistan unterstützten sunnitischen Mehrheit zu | |
bilden und selbstverständlich auch den bewaffneten Kampf gegen die Sowjets | |
und die kommunistische Regierung in Kabul voranzutreiben. Die Verbindung | |
zur Bevölkerung in Afghanistan wurde auch dadurch begünstigt, dass ein | |
unaufhörlicher Strom von afghanischen Flüchtlingen in Richtung Iran zu | |
fließen begann, deren Zahl bis zum Sturz der Taliban einen Stand von rund | |
drei Millionen erreichte. | |
Ende der 1980er-Jahre gelang es Teheran, die wichtigsten der miteinander | |
rivalisierenden schiitischen Gruppen unter dem Dachverband Hisb-i-Wahdat | |
(Partei der Einheit) zu einigen. Nach dem Abzug der Sowjets und dem Sturz | |
der Regierung Nadschibullah begann der Kampf gegen die vorrückenden | |
Taliban. Die Hisb-i-Wahdat, die von Teheran finanziell und militärisch | |
unterstützt wurde, stellte sich auf die Seite der schwachen Regierung | |
Rabbanis und schloss sich nach der Machtübernahme der Taliban der | |
Nordallianz an. | |
Der von den USA geführte Krieg gegen Afghanistan und der Sturz der Taliban | |
hatten für den Iran Vor- und Nachteile. Selbstverständlich war man in | |
Teheran über den "Sieg" der Nordallianz und das Verschwinden der Erzfeinde | |
im östlichen Nachbarland glücklich. Nun konnte man den erfolgreichen | |
Versuch der Einflussnahme fortsetzen, auch mit Hilfe der afghanischen | |
Flüchtlinge, die im Großen und Ganzen gut behandelt worden waren und die | |
nun als Träger iranischer Interessen fungieren konnten. | |
Von großem Nachteil war hingegen der Umstand, dass nun der Erzfeind USA als | |
Besatzungsmacht in direkter Nachbarschaft Irans seine Militärstützpunkte | |
errichten und die strategischen, politischen und natürlich auch | |
ökonomischen Interessen Irans gefährden konnte. Erstaunlicherweise | |
handelten die regierenden Ajatollahs jedoch sehr pragmatisch. Die | |
US-Invasion konnten sie ohnehin nicht aufhalten. | |
Die Empörung über die Anschläge vom elften September in New York und | |
Washington war weltweit so groß, dass nennenswerte Proteste dagegen | |
nirgends auf der Welt zu erwarten waren. Hinzu kam, dass insbesondere die | |
USA, aber auch andere westliche Staaten Iran als Zentrum des | |
internationalen Terrorismus betrachteten und es damit nicht ausgeschlossen | |
war, dass Washington die günstige Stimmung ausnutzen würde, um auch den | |
Islamisten im Iran einen empfindlichen Schlag zu versetzen. | |
So beeilte sich Teheran nach den Anschlägen, den internationalen | |
Terrorismus zu verurteilen, und erklärte seine Bereitschaft, sich in die | |
Koalition gegen den Terror einzureihen. Damit nicht genug. Teheran bot | |
Washington bei geheimen Gesprächen, die damals zwischen beiden Ländern | |
geführt wurden, sogar konkrete Hilfe an. | |
Iran war auch bei der Afghanistankonferenz auf dem Bonner Petersberg dabei | |
und spielte bei den Bemühungen, zwischen den rivalisierenden Gruppen | |
Einigkeit zu erzielen, eine konstruktive Rolle. Manche Teilnehmer meinten | |
sogar, ohne Iran wäre man sich nicht einig geworden. | |
Seitdem versucht Teheran, mit der mehr oder weniger von den USA bestellten | |
afghanischen Regierung so eng wie möglich zu kooperieren und beim | |
Wiederaufbau des Landes konkrete Hilfe zu leisten, obwohl diese | |
Hilfeleistung zumindest von einem Teil der afghanischen Bevölkerung als | |
Einmischung und unerwünschte Einflussnahme betrachtet wird. | |
Inzwischen ist der Einfluss Irans in Afghanistan in der Tat erheblich | |
gestiegen. Große Teile des Nordwestens und Westens sind eng mit der | |
iranischen Wirtschaft verflochten. Afghanistan gilt schon längst als einer | |
der wichtigsten Absatzmärkte Irans. Zahlreiche iranische Unternehmen haben | |
in Afghanistan Filialen gegründet, kleine Fabriken gebaut und neue Märkte | |
eröffnet. Iran hat sich auch am Straßenbau und an der Stromversorgung | |
beteiligt. Im vergangenen Jahr wurde mit dem Bau der Eisenbahnlinie | |
zwischen Herat und der im Nordosten Irans gelegenen Stadt Maschhad | |
begonnen. Ohne viel Lärm erhöht der iranische Gottesstaat seinen Einfluss. | |
Ob diese Strategie der stillen Einflussnahme langfristig fortgesetzt werden | |
kann, ist in Anbetracht der amerikanischen Militärpräsenz einerseits und | |
der Zunahme der Macht der Taliban andererseits jedoch mehr als fraglich. | |
Die Situation wird noch komplizierter, wenn wir auch einen Blick über die | |
Grenzen Afghanistans hinweg auf den östlichen Nachbarn des Landes werfen. | |
Als die Sowjets Afghanistan besetzten, war die Volksrepublik China | |
aufseiten der Mudschaheddin und der Taliban. Nach Angaben der japanischen | |
Nachrichtenagentur Kyodo wurden "tausende von Chinesen ausgebildete | |
Guerillaexperten für ultrasubversive Aktivitäten abkommandiert, um | |
Blitzaktionen gegen afghanische Truppen durchzuführen, die die Grenze | |
zwischen Afghanistan und Pakistan bewachen". Damals wurde auch bekannt, | |
dass Peking an einem "großen Plan" zum Sturz des prosowjetischen Regimes in | |
Afghanistan mitwirkte, der hinfällig wurde, als sowjetische Truppen im | |
Dezember 1979 in Afghanistan einmarschierten. | |
Die massive Unterstützung der Gotteskrieger gegen die sowjetische Besatzung | |
in Afghanistan war für China in mehrfacher Hinsicht ein riskantes | |
Unterfangen. Da die USA ebenfalls die Gotteskrieger unterstützten, ergab | |
sich zwangsläufig eine Allianz zwischen den beiden Mächten, die in | |
Anbetracht der herrschenden Ideologie in China nicht so einfach zu erklären | |
und zu legitimieren war. Auch die aktive Teilnahme Pakistans an der | |
antisowjetischen Front war politisch-ideologisch genauso anrüchig wie die | |
Teilnahme Saudi-Arabiens, Ägyptens und anderer arabisch-islamischer | |
Staaten. | |
Und die Unterstützung islamischer Rebellen brachte für China noch ein | |
weiteres Problem. Nachdem die linke Regierung in Afghanistan gestürzt war, | |
kehrten tausende muslimische Chinesen, die ihre Glaubensbrüder in | |
Afghanistan unterstützt hatten, in ihre Heimat zurück. Nun waren sie | |
militärisch ausgebildet und erfahren, sie besaßen Waffen, und, noch | |
wichtiger, ihr Geist und ihre Seele waren erfüllt vom islamischen Glauben, | |
den sie nun auch in ihrem eigenen Land pflegen und verbreiten wollten. | |
Seitdem ist die nordwestchinesische Provinz Xinjiang immer wieder | |
Schauplatz von Unruhen, die von chinesischen Streitkräften brutal | |
niedergeschlagen werden. Hier beansprucht das muslimische Turkvolk der | |
Uiguren die an der alten Seidenstraße liegende Region für sich, die vor der | |
Übernahme durch China im Jahr 1949 noch Ostturkestan hieß. Die | |
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf 2005 Peking religiöse | |
und kulturelle Unterdrückung vor. Dagegen behauptet Peking, die Uiguren | |
unterhielten Verbindungen zur Terrororganisation al-Qaida, die ihren Kampf | |
um Unabhängigkeit unterstützte und dirigierte. | |
Die Machtübernahme der Taliban in Kabul ließ in China die Befürchtung | |
aufkommen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Taliban und den Uiguren | |
fortgesetzt werden würde. Deshalb betrieb Peking eine Politik der | |
Annäherung an das Taliban-Regime, das jedoch international immer weiter in | |
die Isolation geriet. | |
Tatsächlich wurde zwischen Kabul und Peking eine ganze Reihe | |
wirtschaftlicher und sogar militärischer Abkommen getroffen. Parallel dazu | |
rückten aber die Taliban immer mehr ins Visier der USA, weil sie | |
Al-Qaida-Chef Bin Laden nicht ausliefern wollten. Das Ultimatum, das der | |
UN-Sicherheitsrat Kabul stellte, Bin Laden innerhalb eines Monats | |
auszuliefern, fand auch die Zustimmung Pekings. Und China nutzte, nachdem | |
sich in der Folge der Anschläge vom elften September eine internationale | |
Front gegen den Terrorismus gebildet hatte, die Gelegenheit, um die | |
radikalen Islamisten im eigenen Land zu verfolgen. | |
Nach dem Sturz der Taliban und dem Einzug von USA- und Nato-Truppen war es | |
mit der chinesischen Afghanistanpolitik zunächst zu Ende. Was sollten die | |
Chinesen auch tun? Die Zusammenarbeit mit den Taliban konnte nicht | |
fortgesetzt und eine Unterstützung der Mudschaheddin nicht | |
wiederaufgenommen werden. China zog sich vorerst zurück und musste | |
hinnehmen, dass die USA und ihre Verbündeten im Nachbarland Krieg führten. | |
Dann begannen die Chinesen mit jener Strategie, die sie seit geraumer Zeit | |
allen Staaten gegenüber verfolgen: überall und mit allen erlaubten und | |
unerlaubten Mitteln, ungeachtet der Ideologie und der Moral, | |
wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Sie überschwemmten den afghanischen | |
Markt mit billigen, in vielen Branchen konkurrenzlosen Produkten. Und sie | |
hatten damit Erfolg. Inzwischen stehen sie unter den afghanischen | |
Importeuren mit einem Anteil von rund zwanzig Prozent an erster Stelle. | |
Aber dabei wird es sicherlich nicht bleiben. China wird weder eine | |
langfristige Besetzung seines Nachbarstaats Afghanistan noch einen Sieg der | |
Taliban und anderer Gotteskrieger hinnehmen. | |
Schon auf dieser ersten Station unserer Lagebeschreibung des Nahen und | |
Mittleren Ostens - in einem Land, das im Vergleich zu anderen Ländern der | |
Region ökonomisch, geopolitisch und militärstrategisch keine besonders | |
herausragende Rolle spielt - wird mithin deutlich, dass die Komplexität der | |
Probleme und Konflikte keineswegs allein auf nationale Ursachen | |
zurückzuführen ist. Folgerichtig lassen sie sich auch nicht national lösen. | |
Die Hauptakteure sitzen in den Nachbarländern, in Pakistan, im Iran und in | |
China, und sie sitzen noch weiter entfernt in Washington und in Brüssel. | |
Und genau dieser Umstand birgt die Gefahr, dass eine Eskalation der | |
politischen Lage eine Kettenreaktion auslöst, die nicht nur die | |
Nachbarstaaten in Mitleidenschaft ziehen, sondern zu einer internationalen | |
Konfrontation führen könnte. | |
Hier in Afghanistan, wie in den anderen Staaten, in denen sich die | |
Konfliktherde befinden, laufen, wie wir gesehen haben und weiter sehen | |
werden, viele verschiedene Fäden zusammen. Es wäre naiv, zu glauben, es | |
handle sich um lokal eingrenzbare Probleme. Noch deutlicher wird dies, wenn | |
wir uns dem südöstlichen Nachbarstaat Pakistan zuwenden. | |
20 Sep 2007 | |
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