# taz.de -- Mitgründer der Freien Universität Berlin: Die Chance des Verschwi… | |
> Klaus Heinrich ist einer der großen Professoren Deutschlands. Gegen die | |
> Ökonomisierung der Universitäten hat er sich immer gewehrt. Letztlich | |
> ohne Erfolg. Am Samstag wird er 80 Jahre alt. | |
Bild: Die FU heute: Saniert, durchökonomisiert. | |
Es gibt etwas im Verhältnis zwischen Männern und Frauen, mit dem man nicht | |
zu einem Ende kommen kann: Es ist das Verhältnis zwischen denen, die man | |
als männlich sexualisiert, und denen, die als Frau sexuell angesprochen | |
werden. Nicht zu einem Ende kommen können, heißt: Es wird niemals eine | |
Formel geben, aus der die Anleitung gezogen werden könnte, wie das | |
Verhältnis der Geschlechter "glücklich" zu gestalten sei. Und zwar einfach | |
deshalb nicht, weil die Geschlechterspannung von Anfang an da ist. Alle | |
frühen Zivilisationen, soweit wir auf sie zurückblicken können, werden | |
durch die Spannung in wechselnden Geschlechterrollen geformt. Und einer der | |
ersten, der hierzulande darauf hinwies, war der Berliner Religionsphilosoph | |
Klaus Heinrich - 1962 in einem Essay mit dem Titel "Geschlechterspannung | |
und Emanzipation". Titel, Inhalt und der Erscheinungsort der kleinen | |
Schrift in den Berliner Heften für Politik und Kultur / Das Argument führen | |
wie in einem Brennglas die Themen und Frontstellungen, zwischen denen | |
Heinrich bis heute agiert. | |
Heinrich, der am Samstag achtzig Jahre alt wird, war immer um das | |
sorgfältig abwägende Gespräch zwischen Politik und Kultur bemüht, in dem | |
das eine (die Politik) nicht das andere (die Kultur) erschlägt. Und es war | |
für ihn völlig klar, dass das Gespräch zwischen Kultur und Politik, wenn es | |
nicht in der Katastrophe untergehen oder in der Diktatur abgebrochen werden | |
soll, nur ein endlos langes Gespräch sein kann. Nur im Gespräch, das das | |
Gegenteil von Befehl und Diktat ist, kann die Frage nach der Verstrickung | |
in die Schuld verarbeitet werden - für Heinrich war das zuerst immer die | |
Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Naziterrors. Das Gespräch | |
oder die freie Rede waren für Heinrich die Mittel, um dem | |
antiaufklärerischen Affekt gegen das Vermittelte und Abstrakte in sozusagen | |
kleinen Schritten entgegenzutreten. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, | |
denn in kleinen Schritten vollzogen sich auch Heinrichs Bewegungen in | |
seinen berühmten Dahlemer Vorlesungen, die er nach seiner Berufung zum | |
Professor für "Religionswissenschaft auf religionsphilosophischer | |
Grundlage" 1971 an der FU hielt. | |
Das Programm dieser langen Vorlesungsreihe, die Heinrichs eigentliches Werk | |
ist, kann man grob als den Versuch überschreiben, das in einer sich | |
aufgeklärt und säkularisiert gebenden Philosophie Verdrängte und | |
unreflektiert Wiederkehrende bloßzustellen. Die Frontstellung gegen die | |
Philosophie war bei Heinrich zentral und eine Folge seiner Erkenntnis, dass | |
in Mythen und Religionen ein greifbarerer Realismus am Werk war als in der | |
Philosophie. Während etwa die Philosophie Fragen nach Konstruktionen von | |
Geschlecht oder so etwas wie Emanzipation weitgehend ignorierte, lehrte | |
Heinrich die Lektüre der Genesis oder der Schriften Sigmund Freuds die | |
weitreichende Bedeutung der Geschlechterspannung. | |
Diese nämlich durchzieht nicht nur die sexuelle oder intellektuelle Sphäre | |
unserer Zivilisation, sie kann auch von Staat und Gesellschaft nicht | |
neutralisiert werden. Man kann sie nur anerkennen, nicht aufheben. Dass wir | |
jedoch die Spannung des zweigeschlechtlichen Lebens formen können und nicht | |
bloß sie uns, definiert nach Heinrich "einen der einschneidenden | |
Unterschiede zwischen tierischen Gesellungen und der menschlichen | |
Gesellschaft". | |
Wenig erstaunlich heißt denn auch eines der Bücher Heinrichs "anfangen mit | |
freud". Aber dieser Anfang fiel natürlich genausowenig vom Himmel, wie die | |
menschliche Geschlechterspannung ohne animalische Vorläufer war. Der | |
Anfang, den Heinrich meinte, folgte dem Zusammenbruch der NS-Diktatur. | |
Heinrich gehörte zu den wenigen Deutschen, die die Ereignisse 1945 nicht | |
als Untergang, sondern als Befreiung empfanden. Und mit der Kraft eines | |
Befreiten und der Erfahrung eines von den Nazis während seiner Tätigkeit | |
als Luftwaffenhelfer der Wehrkraftzersetzung und des Defätismus Angeklagten | |
und nur durch Glück dem Tod Entronnener freute er sich auf das Studium an | |
der alten Berliner Universität Unter den Linden, die heute | |
Humboldt-Universität heißt. Das Leben, der Geist und die Gesellschaft | |
sollten erneuert werden. Und der Ort, an dem auch der alte Lebens-, Geist- | |
und Gesellschaftsbegriff einem "zersetzenden analytischen Unternehmen" | |
unterzogen werden sollte, konnte nur die Universität sein. Für Heinrich | |
konnte nur eine autonome Universität die Voraussetzungen dafür bieten, die | |
Vergangenheit aufzuarbeiten und eine gesellschaftliche Utopie zu | |
entwickeln. | |
Die Idee einer unabhängigen Universität, die in der Lage sein sollte, "der | |
Gesellschaft ein Bewusstsein ihrer selbst zu geben", wurde für Heinrich zum | |
absoluten Wert. Und dieser Wert kollidierte an der Universität im Ostsektor | |
von Berlin schneller mit der Wirklichkeit, als die erste geistzersetzende | |
Freudlektüre hätte Früchte tragen können. Zwangsvorlesungen, | |
Studentenverhaftungen und eindeutige Angebote, den Sicherheitskräften vom | |
Betragen anderer Studenten zu berichten, führten Heinrich und ein paar | |
anderen die Verfasstheit des Stalinismus vor Augen. Seine Anhänger wollten | |
nicht in ein endloses Gespräch über die Gesellschaft und ihre Organisation | |
eintreten, sie wollten befehlen. | |
Damit war der Versuch eines Neuanfangs an einer alten Universität | |
gescheitert. Der Ausweg lag in der Gründung einer neuen Universität, und | |
Klaus Heinrich wurde 1948 einer der Mitbegründer der Freien Universität in | |
Dahlem. An der FU, wie sie bald abgekürzt wurde, sollte im zweiten Versuch | |
gelingen, was im ersten gescheitert war: eine neue Universität als | |
Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden ohne Talare. Als neue Universität, | |
gegründet von Studenten, die in der Nazizeit entweder verfolgt oder | |
ausgeschaltet waren, sollte sie vor allem mit der wissenschaftlichen | |
Tradition aus der NS-Zeit brechen. Unter dem Eindruck der Berliner Blockade | |
1948 hatte die Stadtverordnetenversammlung die Satzung der Freien | |
Universität genehmigt, die Studenten bis dahin unbekannte | |
Einflussmöglichkeiten in den Entscheidungsgremien zusicherte. | |
Heinrich legt bis heute Wert darauf, festzustellen, dass die FU keine | |
"dezidiert antikommunistische, keine antisozialistische" war. Geholfen hat | |
aber auch das nicht. Ab der Mitte der Fünfzigerjahre wird aus der neuen | |
Universität langsam, aber stetig eine alte. "Unsere Visionen entpuppten | |
sich als Illusionen. Auf diese Enttäuschung hin wurden viele zynisch und | |
beschimpften die, die nicht zynisch wurden, als Phantasten", wird Heinrich | |
2002 in einem längeren Gespräch in den Berliner Seiten der FAZ über das | |
Ende seiner Universitätsutopie sagen. | |
Er selbst wurde aber nicht zynisch und arbeitete weiter als Forscher und | |
Lehrbeauftragter für Religionswissenschaft an der FU. 1964 habilitierte er | |
sich mit einem "Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen". Die | |
religionsphilosophische Studie, die "in einer Welt, die zu Protesten Anlaß | |
bietet", die Formel vom Neinsagen untersuchte, wurde in ihrer geistigen | |
Fernwirkung zu einem Stoff, der den Protest der Studenten in den späten | |
Sechzigern fütterte. Heinrich sah in der Studentenrevolte anfangs einen | |
weiteren Versuch seine Universitätsutopie in die Realität einzuführen. Er | |
hat die Unruhen der 68er später als "letzte Liebeserklärung" einer | |
Studentengeneration an die Universität bezeichnet. Als er das aber 1987 in | |
einer Rede mit dem sprechenden Titel "Zur Geistlosigkeit der Universität | |
heute" sagte, war für ihn die Institution der Universität schon kein Ort | |
der geistigen Entwicklung mehr. | |
Mit der Globalisierung des ökonomischen Denkens ist für Heinrich an den | |
Universitäten der Geist ausgezogen. An die Stelle der Frage nach dem | |
gesellschaftlichen Nutzen der Wissenschaft ist die nach ihrem ökonomischen | |
Ertrag getreten. Was kein Geld einbringt, wird auch nicht weiter gefördert. | |
Für die Geisteswissenschaften ist das nach Heinrich eine üble Lage, aber | |
sonderlich pessimistisch stimmt sie ihn nicht. Den Geisteswissenschaften | |
widerfährt gerade einfach etwas, was mit der Kleinfamilie bereits im | |
ausgehenden 19. Jahrhundert geschehen ist: Sie werden als Institution zur | |
symbolischen Erfassung und Darstellung der Verhältnisse nicht mehr | |
gebraucht, so wie die Kleinfamilie zum Ende des 19. Jahrhunderts hin zur | |
ökonomischen Reproduktion des Lebens nicht mehr benötigt wurde. | |
Und im Verschwinden der Geisteswissenschaften liegt nicht nur die Gefahr | |
einer fundamentalen Verblödung der Gesellschaft, es kann auch eine Chance | |
sein. Der Geist ist ja älter als seine Wissenschaftsformen an den | |
Universitäten, genauso wie der Realgrund der gesellschaftstheoretischen | |
Entdeckungen Freuds, die erst möglich wurden, als die zentralen | |
gesellschaftlichen Konflikte sich in der überflüssig gewordenen Institution | |
der Kleinfamilie ausagieren konnten, älter ist als die bürgerliche | |
Kleinfamilie. | |
Für die Wissenschaftsgeschichte des kranken Tieres, das der sprechende | |
Mensch ist, heißt das, dass Universitäten auch nur ein institutioneller | |
Abschnitt waren, dem nachzutrauern kein Grund besteht, wenn sie nicht mehr | |
in der Lage sind, etwas anderes als immer neue Plasmabildschirme | |
hervorzubringen. Man muss sich, mit Michel Serres zu reden, nur neue Räume | |
suchen, wo der Geist sich gegen die Ökonomie des Besser und Mehr behaupten | |
kann. Oder mit Klaus Heinrich: "Vielleicht gewinnen wir einen klareren | |
Kopf, wenn wir nicht länger den Geist einer Institution zu retten | |
versuchen, sondern uns selbst." | |
21 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Cord Riechelmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |