# taz.de -- Nachhaltiger Konsum: Wunderbare Welt der Lohas | |
> Kann ein neues Öko-Milieu namens Lohas mittels bewussten Konsums | |
> tatsächlich die Welt und die Rendite retten? Wer sind diese Lohas | |
> überhaupt? | |
Bild: "Ich kaufe, also bin ich Bestimmer": Frau auf der Biofach-Messe in Nürnb… | |
Am Anfang stehen erst vier, fünf Leutchen im Saal rum. Deshalb hört man | |
selbst aus der Ferne, wie der Konferenz-Initiator Christoph Harrach einen | |
zentralen Satz formuliert. "Bringst du mir eine Bionade mit?" Man kann es | |
bereits verraten: Es wird nicht das letzte durch Fermentation hergestellte | |
Getränk sein, das an diesem Abend in der Frankfurter Brotfabrik geordert | |
wird. Wir erleben hier schließlich die deutschlandweit erste Konferenz der | |
Lohas. | |
Viele reden derzeit über Lohas, aber nicht alle kennen das Wort. Also: Es | |
ist ein Akronym und steht für Lifestyle of Health and Sustainability. Das | |
meint Individualisten, die bewusst nachhaltig leben und konsumieren, aber | |
weder als Generation noch als soziales Milieu fassbar sind. Etwa 130 sind | |
an diesem Abend gekommen, um sich kennen zu lernen bzw. zu networken. Viel | |
Fachpublikum. Also Blogger, Werber, Firmenberater, Hersteller, Händler. | |
Alles unauffällig und weder billig noch edel noch trendy gekleidete | |
Menschen. Nichts, was auf klassische Ökos, Yuppies, Neo-Cons hindeuten | |
würde. Wer sind die Lohas, wo kommen sie her, und was treibt sie an? Fred | |
Grimm ist Autor des Lohas-Klassikers "Shopping hilft die Welt verbessern", | |
ein Leitfaden für bewussten Konsum. In der Brotfabrik beschreibt er den | |
Entwicklungsprozess der letzten 25 Jahre in drei griffigen Bonmots. Erst | |
seien die Antikonsumisten der 80er gekommen. Motto: "Ich kaufe, also bin | |
ich ein Schwein." Dann die Yuppies der 90er: "Ich kaufe, also bin ich." | |
Heute sei das Motto der Lohas: "Ich kaufe, also bin ich der Bestimmer." | |
Eike Wenzel, Chefredakteur von Matthias Horx' Zukunftsinstitut ist auch da. | |
Er hat die Lohas in Rendite-orientierten Kreisen als "Megatrend" populär | |
und wichtig gemacht. In einer Studie namens "Zielgruppe Lohas: Wie der | |
grüne Lifestyle die Märkte erobert" (zum Stückpreis von 165 Euro) definiert | |
er sie als gesellschaftliche Avantgarde und kaufkräftige Zielgruppe. Der | |
Trend kommt selbstverständlich aus den USA, wo der Soziologe Paul H. Ray | |
bereits im Jahr 2000 die "Cultural Creatives" beschrieben hat. Inzwischen | |
gibt es Institute in den USA, die den Lohas-Markt bei 63 Millionen oder 30 | |
Prozent sehen. Vergleichbar aufregende Zahlen werden für den deutschen | |
Markt verbreitet. | |
"Moralische Hedonisten" nennt Wenzel die Lohas, "idealistische | |
Pragmatiker". Für Freunde dieses rhetorischen Wortspiels hat er noch mehr | |
auf Lager. Was Lohas verbinde, heißt es generell in der Literatur, sei die | |
Integration bisher als widersprüchlich angesehener Bedürfnisse wie | |
Nachhaltigkeit und Genuss, Umweltorientierung und Design, Ethik und Luxus. | |
Man ahnt es: Es ist einfach, sich über das lustig zu machen, was die | |
Lohas-Propagandisten positiv beschreiben - ein Leben, das Widersprüche | |
zusammenführt. Und wirklich: Kaum hatte man sich im Zuge der neuen | |
Klimasensibilität der Lohas erinnert, da werden sie auch schon | |
zusammengefaltet, als Leute, die hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt | |
sind und diese Beschäftigung in Zeiten des Klimawandels zum Weltretten | |
aufblasen. Auf der einen Seite höhnen die klassischen Ökos, denen das alles | |
zu konsum- und zu wenig verzichtorientiert ist, vor allem das fröhliche | |
Fliegen. Auf der anderen Seite Elite-Leitartikler wie Zeit-Herausgeber | |
Josef Joffe, der klimabewussten Autokäufern vorwirft, sie wollten sich mit | |
ihrer CO2-Reduzierung doch letztlich nur "gut fühlen". | |
Das missachtet aber die reale Verbesserung und zeigt, dass man mit dem | |
Höhnen über Lohas vorsichtig sein sollte, weil die Wahrscheinlichkeit groß | |
ist, dass man sich im Denken von gestern wiederfindet. Oder selbst ein | |
Lohas ist. Aber es stimmt: Lohas sind eindeutig Teil jener Mittelschicht in | |
den Industriemärkten, die hauptverantwortlich für das Klimaproblem ist. Und | |
dennoch gehen sie frisch und fröhlich eine Lösung an? Der Fortschritt | |
besteht für Trendforscher Wenzel darin, dass sie eben nicht mehr in | |
Entweder-oder-Kategorien ihrer politisch bewegten Ahnen denken, also | |
entweder Mensch oder Schwein, entweder Teil des Problems oder Teil der | |
Lösung. "Nur zwischen den Polen findet Veränderung statt", sagt Wenzel. Im | |
Gegensatz zum "Njet-Set" - also den Moral-Linken der Vergangenheit und | |
Gegenwart oder der allzeit fundamoralischen Grünen-"Basis" - hätten Lohas | |
die ideale Position im Off der Gesellschaft verlassen, die kategorischen | |
Widerstand gegen Kapitalismus, Krieg, Konsum und alle Agierenden | |
ermöglicht. Lohas orientieren sich eben nicht an Verzicht und | |
"verschwommenen Sehnsuchtsorten" im Jenseits, sagt Wenzel. Sondern am | |
Diesseits in ihrem hellen, schönen Biosupermarkt. Wer sie aber als | |
Biohedonisten charakterisiert, hat nur die Hälfte mitgekriegt. Lohas haben | |
sich nicht nur für "Qualität statt Discount" entschieden, sondern auch für | |
ein neues Lebens- und Karrieremodell. Ziel ist nicht: mehr. Sondern: | |
besser. Es gebe, sagt Wenzel, eine "neue Lust an der Affirmation, am | |
Jasagen", aber die sei nicht ironisch verhüllt, sondern offen. Also: Ja zu | |
den Dingen, die wir gut finden. Zum Beispiel: uns. | |
Mit dem Aufstieg der Lohas vollzieht sich also möglicherweise eine | |
Neudefinition des Wortes "Engagement" sowie des ehemaligen Kampfbegriffs | |
"ökologischer Lebensstil". Dessen rechtmäßige Inhaber wurden einst Ökos und | |
Müslis genannt und auch sonst verachtet. Von Normalos, aber auch von | |
aufrecht Politisierten, denen sie als ästhetischer und inhaltlicher Beweis | |
galten, dass man gut daran tat, sie, ihre Biomöhren und Verzichtpredigten | |
zu meiden. Für Konferenzinitiator Christoph Harrach sind Ökos keine | |
Feindbilder, sondern Pioniere. Er liest regelmäßig den Blog von Franz Alt. | |
"Wir sind froh, dass es die Umweltbewegung gegeben hat. Sonst wären wir | |
heute nicht auf diesem Niveau", sagt er. Allerdings gebe es "andere | |
Anforderungen an die Ästhetik". Harrach, 33, betreibt den Blog | |
[1][karmakonsum.de], eines der führenden Medien der sich grade formierenden | |
und vernetzenden Szene. Blog-Motto: "Do good with your money". Er wechselte | |
vor zwei Jahren von Neckermann zum Naturtextilienanbieter Hess Natur, weil | |
er "was Sinnvolles machen wollte". Er downsizte die berufliche Karriere auf | |
halbtags, um sich um die Tochter zu kümmern, startete Anfang des Jahres | |
seinen Blog, indem er auch seine fortschreitende "Ethisierung des Lebens" | |
dokumentiert. Für ihn ist "Lohas" zunächst keine Bewegung oder | |
Konsumeinstellung, sondern ein "Prozess". Einer, der bei ihm mit | |
Biolebensmitteln anfing "und dann immer weitergeht", sich selbst | |
dynamisiert durch intensive Beschäftigung und Erwerb von Wissen. Während | |
der Diskussion formuliert Harrach sein Lohas-Manifest so: "Jeder kann für | |
sich einen Beitrag leisten, die Welt zu verbessern. Und muss dabei nicht zu | |
kritisch sein mit sich". | |
Der Wohlfühlfaktor | |
Das Hamburger Trendbüro kommt in einer Konsum-Ethik-Studie für den | |
Otto-Versand zu dem freundlichen Schluss, dass aus dem ideologischen und | |
gesellschaftspolitischen Thema "Ökologie" oder "Nachhaltigkeit" zwar ein | |
egozentrierter "Wohlfühlfaktor"geworden sei, dass dieser aber wohl stärker | |
zur Verbreitung umweltgerechter Verhaltensweisen beitrage als Jahrzehnte | |
angestrengter Umweltbildungsmaßnahmen. Vor allem hätten sie das Thema in | |
die "Mitte der Gesellschaft" gebracht. | |
Dass nun sogar schon die aktuelle Wirtschaftswoche "Moral bringt Profit" | |
titelt, wird in der Brotfabrik zufrieden zur Kenntnis genommen. Motto: Aha, | |
die derzeit häufig behauptete Moralisierung des Marktes ist also | |
tatsächlich möglich. Der Markt richtet sich auf die ethischen und | |
ökologischen Bedürfnisse seiner Kunden ein. Selbstredend, um sie zu | |
kapitalisieren. Das erstaunliche Klimabewusstsein, das ein paar Kilometer | |
entfernt zeitgleich auf der Auto-Anbetungsveranstaltung IAA kommuniziert | |
wird, läuft unter dem Fachbegriff "Trend-Opportunismus". Eine Frage des | |
Abends war: Ist es verwerflich, wenn die Bösen tatsächlich "gut" werden? | |
Harrachs pragmatische Antwort: "Besser, sie verkaufen auf dem Lohas-Markt | |
als Atomstrom." Mancher Eine-Welt-Laden hat derweil in der Gegenrichtung | |
angefangen, sich ein bisschen aufzuhübschen und sich fest vorgenommen, | |
potenzielle Kundschaft für die gute Ware nicht mehr mit dem Geruch von | |
Räucherstäbchen zu verschrecken. Old-School-Weltläden passen definitiv | |
nicht zum Anspruch der Lohas, ihren Alltag zu ästhetisieren. | |
Was nehmen wir mit? Folgende Prognosen: Das Internet wird das Leitmedium | |
dieser Szene. Viele werden auf dem neuen Markt Geld verdienen wollen. Man | |
wird aufpassen müssen, hinter welchen freundlichen Blogs Konzerne oder von | |
ihnen beauftragte Werber stehen, aber da Lohas ja medienkompetent und | |
kritisch sind, werden sie das hinkriegen. Jedes Internetangebot wird seine | |
individuellen T-Shirts verkaufen, alle werden von Spreadshirt kommen. | |
Zeitungen werden es schwer haben, überhaupt noch eine Rolle als | |
Informations- und Diskursmedium zu spielen, allenfalls den Spiegel konnte | |
man in manchen Frankfurter Beiträgen als Quelle identifizieren. | |
Wenn etwas besonders bemerkenswert ist an diesem Abend, so nicht, dass | |
politische Parteien nicht vorkommen, auch die Grünen nicht. Schon gar | |
nicht, dass ein Werber, dessen Gedanken sich leider auch bei ausgedehntem | |
Sprechen nicht entwickeln, am Ende sagt, dass "Selbstbewusstsein nichts | |
Negatives" sei - und damit immerhin eine positive Sache beizutragen hat. | |
Nein, irritierend ist, dass bis auf eine Ausnahme nicht konkret über die | |
entscheidende Frage geredet wird. Keiner thematisiert die politische, | |
wirtschaftliche oder persönliche Energiewende als Voraussetzung für Zukunft | |
oder als Antrieb des eigenen Denkens und Handelns. Keiner redet über die | |
Effizienz-Revolution, über Stromnetzmonopole, seine persönliche | |
CO2-Jahresbilanz oder erzählt, dass er selbst auf seinem Dach Strom | |
produziert. Keiner redet also über Dinge, die in einem anderen Teil der | |
Klimakonsum-Avantgarde selbstverständliche Grundlage allen Engagements | |
sind. Was hat das zu bedeuten? Wir bleiben dran. | |
22 Sep 2007 | |
## LINKS | |
[1] http://karmakonsum.de/ | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
Peter Unfried | |
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