# taz.de -- Regisseur Fatih Akin: "Ich wollte die Frauen entdecken" | |
> Fatih Akins Film "Auf der anderen Seite" kommt ins Kino. Ein Gespräch | |
> über die Ironie eines Drehbuchpreises, des Totenfest in Mexiko und Wäsche | |
> im Gefängnisfenster. | |
Bild: Glaubt nicht mehr, dass Frauen die besseren Wesen sind: Fatih Akin | |
taz: Herr Akin, "Gegen die Wand" war wuchtig, sehnsüchtig, melodramatisch. | |
"Auf der anderen Seite" ist viel zurückhaltender. Ist "Auf der anderen | |
Seite" Ihr Kopffilm und "Gegen die Wand" entsprechend der Bauchfilm? | |
Fatih Akin: Ja, kann man so sehen. Ich hab mal gesagt, "Gegen die Wand" zu | |
drehen, das war wie einen Pickel auszudrücken. Der Film wollte aus mir | |
heraus. Ganz viel an diesem Film war intuitiv. Ich habe nicht viel in Frage | |
gestellt. Diesmal habe ich alles die ganze Zeit in Frage gestellt. | |
Das Drehbuch von "Auf der anderen Seite" hat schon vor dem Dreh für viel | |
Lob gesorgt | |
Das Drehbuch hat überall ein kollektives Wohlgefühl ausgelöst. Ich habe | |
überall Komplimente bekommen, und ich hatte zum ersten Mal in meiner | |
Karriere Vorverkäufe nach Frankreich, Spanien, Italien. Das hatte sicher | |
auch mit dem Erfolg von "Gegen die Wand" zu tun. Aber ich hatte auch selbst | |
das Gefühl, das ist ein gutes Buch. Der Cast ist auch gut. Jetzt kann nicht | |
mehr viel schief gehen. Dann haben wird den Film gedreht nach dem Buch, und | |
dann habe ich mit meinem Cutter Andrew Bird nach dem Buch geschnitten. Im | |
Schnitt haben wir festgestellt, dass das überhaupt nicht funktioniert. Das | |
Schlimmste, was einem Filmemacher passieren kann! Der Zuschauer kann keine | |
emotionale Bindung aufbauen zu dem, was er sieht. | |
Warum? | |
Oh, dafür gibt es viele Gründe. Die Architektur des Films war eine ganz | |
andere als sonst. Alles passierte zeitgleich. Die Handlungsstränge in | |
Hamburg, Istanbul, Bremen. Ich hab die nacheinander platziert. Und immer, | |
wenn die Figur anfing, interessant zu werden, wechsele ich den Schauplatz. | |
So wie González Iñárritu in "Babel", der kam gerade raus, als wir im | |
Schnitt waren. Ich mochte "Babel" nicht besonders, und ich habe mich immer | |
gefragt, was funktioniert daran nicht. Und so kam ich meinen eigenen | |
Schwächen auf die Schliche. Die größte Ironie bei der Sache ist, dass ich | |
in Cannes den Preis für das beste Drehbuch bekommen habe. Die haben das ja | |
nicht gelesen, die wissen ja nicht, wie anders das mal war. | |
Mir fiel der Abschied von manchen Figuren immer noch schwer. Da hatte man | |
sich gerade in die Geschichte von dem Alten Ali und der Hure Yeter | |
eingeschaut, und dann stirbt sie. Bestand nicht die Gefahr, die Figuren in | |
diesen abrupten Wechseln zu verlieren? | |
Die Gefahr bestand durchaus. "Gegen die Wand" hatte zum Vergleich einen | |
ganz einfachen Plot. Wie ein Punkstück, das ging immer geradeaus. Zwei | |
Menschen treffen sich, und am Ende trennen sie sich, und dazwischen macht | |
das so sssssssst (malt mit den Händen kleine und größere Zacken in die | |
Luft). Dass das bei "Auf der anderen Seite" so anders lief, hat auch mit | |
dem großen Leistungsdruck zu tun, unter dem ich stand nach dem | |
Berlinale-Erfolg von "Gegen die Wand". Deswegen dachte ich bei "Auf der | |
anderen Seite": Da muss ich jetzt noch dies reinpacken und das. Ich hatte | |
verschiedene dramaturgische Berater. Einer war Guillermo Arriaga, der "21 | |
Gramm" und "Babel" geschrieben hat, einer war Michael Gutmann, der | |
Drehbuchautor von "23" von Hans-Christian Schmid. Der meinte, dass ich | |
vielleicht zu viel will, dass das eigentlich zwei Filme sind. Dann habe ich | |
wirklich drüber nachgedacht, zwei zu drehen. Aber hätte ich den einen | |
gemacht, wäre es zu dem anderen vermutlich gar nicht mehr gekommen. In | |
meinem Innersten spürte ich jetzt, die beiden Stoffe gehören zusammen. | |
Der Tod macht in "Auf der anderen Seite" nur ein kurzes metallisches | |
Geräusch, als Yeter gegen ein Möbelstück fällt. Sie steht nicht mehr auf. | |
Das wars. Warum fällt das Sterben diesmal so schlicht aus? | |
Diese Trilogie-Idee "Liebe, Tod und Teufel" ist ja mehr als nur ein | |
Marketinggag. Ich wollte einen Film über die Liebe und eben einen über den | |
Tod. Es sollte ein Gegenentwurf werden zu jemandem wie Ingmar Bergman, der | |
einen Film wie "Das siebente Siegel" gemacht hat. Dunkel, düster, | |
pessimistisch, apokalyptisch. Ich hingegen, weil ich vielleicht ein | |
sonniges Gemüt habe, bin eher inspiriert davon, wie man beispielsweise am | |
Día de los Muertos in Mexiko mit dem Tod umgeht. Da kommt der Tod im Alltag | |
vor, ist kein Tabu wie hier. In der Traumdeutung steht der Tod immer für | |
eine Veränderung, eine Metamorphose. So wollte ich auch in meinem Film | |
damit umgehen. | |
Nach Buddie-Filmen wie "Kurz und schmerzlos" hat man seit "Gegen die Wand" | |
den Eindruck, Fatih Akin entdeckt die Frauen. Stimmt das? | |
Ich wollte immer die Frauen entdecken, ich wollte immer die | |
Herausforderung, Frauenfiguren richtig zu erzählen. Ich war 24, als ich | |
"Kurz und schmerzlos" gedreht habe. Da hatte ich ein anderes Frauenbild, | |
oder sagen wir besser, einen anderen Erfahrungswert als heute mit 33. Ich | |
hatte die große Chance, meine Diplomarbeit über die Geschlechterrollen in | |
meinen eigenen Filmen bis "Im Juli" einschließlich zu schreiben. Frau Helke | |
Sander, meine Professorin, eine sehr präsente Feministin, hat mir das | |
vorgeschlagen. Ich hab das sehr kritisch reflektiert und geschrieben. | |
Wenders sagt seit "Dont' Come Knocking", Frauen sind die besseren Wesen. An | |
dem Punkt war ich auch mal, aber jetzt nicht mehr. Mit Antonella Attili in | |
"Solino" ging das los in meinem Werk, Frauen emanzipiert darzustellen. | |
Sibel Kekilli in "Gegen die Wand" war dann der große Durchbruch. | |
Was ist das für ein Deutschland in "Auf der anderen Seite"? Man sieht Hanna | |
Schygulla in diesem Blankeneser Kapitänshäuschen, in der Hand einen | |
Kirschentkerner, über EU und Türkei debattierend | |
Die Figur basiert auf meiner ehemaligen Deutschlehrerin, die hieß auch Frau | |
Dr. Susanne Staub. Ich entwerfe für alle Figuren eine Biografie. Sonst | |
fällt es mir schwer, zu plotten. Andere, Spielberg zum Beispiel, machen das | |
umgekehrt. Ich hab mir vorgestellt, dass sie im Beamten-, im | |
Nachkriegsdeutschland sozialisiert ist. Sie hat das Fassbinderkino | |
mitbekommen, die Grünen, hat verschiedene Liberalisierungsphasen | |
durchlaufen. Das alles ist aber in Vergessenheit geraten mit dem | |
Älterwerden und dem Kinderbekommen. Erst der Tod ihrer Tochter buddelt das | |
wieder aus. Die eigenen Reisen in den 70er-Jahren, die eigene Suche. | |
In der Türkei gibt es einen Inspektor, der Nejat fragt, ob er nicht lieber | |
kurdische Kinder unterstützen wolle als Ayten ein Studium zu finanzieren. | |
Als Ayten verhaftet wird, klatschen die Passanten Beifall. Ist die Türkei | |
ein zynischer Ort? | |
Ja, sehr zynisch. Ich habe durch meine dokumentarischen Arbeiten gelernt, | |
wie man beobachtet. Das Türkeibild in meinem Film basiert auf diesen | |
langzeitlichen Beobachtungen und auf viel, viel Recherche. Die Türkei in | |
meinem Film ist fast schon wieder eine altmodische Türkei, weil vieles sich | |
sehr schnell ändert. Im Jahr 2004 bei "Crossing The Bridge" war die Türkei | |
die liberalste, die es je gegeben hat. Einigen mächtigen Strömungen war das | |
zu liberal. Durch das Wiedererstarken der PKK begann dann wieder eine | |
Offensive gegen die PKK. Eine mit vielen Opfern. Es gab wieder Rassismus. | |
Die Passanten, die im Film den Polizisten verprügeln, das basiert eins zu | |
eins, bis zur Kameraperspektive, auf etwas, das 1996 passiert ist. Wenn die | |
Passanten applaudieren, als die terroristische Zelle, zu der Ayten gehört, | |
verhaftet wird, ist das nichts, was ich inszeniert habe. | |
Haben die nicht mitbekommen, dass gerade ein Film gedreht wird? | |
Doch. Das war so: Ich habe mit echten Antiterroreinheiten gedreht. Ich hab | |
gesagt: Macht mal und wir folgen euch dabei! Wir machen ne Probe. Und die | |
Passanten auf der Straße klatschen. Ich dachte, die klatschen wegen uns, | |
weil die unsere Arbeit toll finden oder so. Aber der Kommandeur der Einheit | |
meinte, nein, die klatschen wegen uns. Das sind loyale Bürger. (Pause) Ich | |
glaube, ich werde in der Türkei von den Linken eins auf den Deckel kriegen. | |
Weil Ayten am Ende überläuft, um ihre Haut zu retten? | |
Deswegen auch, ja. Das Feuilleton in der Türkei ist eher linksliberal. Die | |
ersten Reaktionen, die nach Cannes kamen, waren bescheiden, kühl. Auch Il | |
Manifesto in Italien hat geschrieben, dass ich das Gefängnis in der Türkei | |
zeige wie ein Fünf-Sterne-Hotel. Das hat die türkische Zeitung nicht | |
geschrieben, weil sie wahrscheinlich gemerkt haben, wie sorgfältig das | |
Ganze recherchiert ist. Wir haben in einem echten Gefängnis gedreht. All | |
diese hübschen Pastellfarben sind echt. Das Einzige, was ich nicht filmen | |
durfte, war Wäsche, die aus dem Fenster hing. Da sagte der Direktor klipp | |
und klar "nein". Denn es gibt EU-Normen, die verbieten eben, dass Wäsche so | |
hängen darf. Die Gefängnisse in der Türkei stehen unter EU-Beobachtung. Es | |
wird tatsächlich in diesen Gefängnissen, wenigstens in denen der großen | |
Städte, nicht mehr gefoltert. Schon gar nicht in der U-Haft. Ich habe mit | |
Amnesty International, mit Anwälten, mit Gefangenen gesprochen, habe mich | |
monatelang an diesen Orten aufgehalten. (grinst über beide Ohren) Ich habe | |
mit Häftlingen auch darüber debattiert, ob man Haschisch nicht legalisieren | |
sollte. | |
Sie sind kein politischer Filmemacher. Was ist Ihr Impuls? | |
Ich bin ein klassischer Geschichtenerzähler. Mein Vorbild ist das Kino des | |
New Hollywood, also alles zwischen "Raging Bull", "Easy Rider". Weil das | |
alles Erzählkino ist, ob humoristisch wie bei Altmans "Mash" oder düster | |
wie bei "Taxi Driver" oder "Apokalypse Now". Ein Kino, das sich auch immer | |
der Gesellschaft bedient, die sie zugleich reflektiert. Das tue ich auch. | |
INTERVIEW: BIRGIT GLOMBITZA | |
"Auf der anderen Seite", Regie: Fatih Akin, mit Hanna Schygulla, Patrycia | |
Ziolkowska, Tuncel Kurtiz u. a., Deutschland 2007, 122 Min. | |
25 Sep 2007 | |
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