# taz.de -- Schriften zu Zeitschriften: Irrwege der Kulturrevolution | |
> "Konkret" feiert 50jähriges, der Exmaoist Schmierer liefert eine große | |
> 68er-Interpretation in der "Kommune". Und wie immer geht es um Stalin, | |
> Ulrike Meinhof und China. | |
Bild: "So war es doch diese Hülle, die faszinierte, und waren es nicht die Ver… | |
Die Einsichtsfähigkeit der Linken ist ein kompliziertes, | |
kneipenabendfüllendes Thema. Jüngstes Beispiel: der grüne Sonderparteitag | |
in Göttingen mit dem Votum gegen Antiterrormission und Tornadoeinsatz in | |
Afghanistan. Kaum fuchtelt die autoritäre und verstaubte Politrentnertruppe | |
von Lafontaine und Gysi mit Stimmengewinnen herum, verfallen die grünen | |
Delegierten aus nackter Angst vor möglichen Wahlniederlagen in | |
hemmungslosen Opportunismus. Da ist es plötzlich egal, wie stark im Vorfeld | |
die afghanische Frauenministerin appelliert, ja wie viel berechtigter die | |
Regierung Karsai den Titel "Befreiungsbewegung" tragen könnte als jede | |
Guerilla im El Salvador der Achtzigerjahre. Der menschenrechtszentrierte, | |
bewaffnete Internationalismus, eine grüne Errungenschaft seit Srebrenica, | |
wird über Bord gekippt, sobald Oskar Lafontaine die Backen aufbläst. | |
Doch auch die Vordenker der realogrünen Außenpolitik haben ihre Probleme | |
mit der Einsichtsfähigkeit, zumindest was die eigenen krummen Wege | |
betrifft. In der aktuellen Kommune liefert Mitherausgeber Joscha Schmierer, | |
linksradikales Urgestein und unter Joschka Fischer im Planungsstab des | |
Auswärtigen Amtes, in einem großen Essay seine Interpretation von 1968 ab. | |
Von Renegateneifer ist hier nichts zu spüren; es ist eine ernst zu nehmende | |
Verteidigung dieser globalen Revolution gegen alle vorschnell aufgepappten | |
Label. Seine Argumentation funktioniert jedoch nur solange, bis sie - | |
reichlich diffus - auf die eigenen Anteile stößt. Wenn es um die | |
unerträgliche Faszination der chinesischen Kulturrevolution für westliche | |
Linke geht, betreibt Exmaoist Schmierer Selbstrechtfertigung. "Sie | |
elektrisierte, und zwar als Beispiel für die Selbstermächtigung der | |
Gesellschaft gegenüber zementierten Herrschaftsverhältnissen. Wenn sie | |
nichts als bloße Hülle eines von oben angestoßenen Massenverbrechens | |
gewesen sein soll" - ohne solche Relativierung geht es auch heute, mit | |
Wissen um Hunderttausende Tote, offenbar immer noch nicht -, "so war es | |
doch diese Hülle, die faszinierte, und waren es nicht die Verbrechen, die | |
sich unter ihr verbargen." | |
So kann man die Dinge vernebeln: Die Verbrechen waren weder für die | |
Chinesen noch für die Welt von irgendwelchen Hüllen verborgen, ja nicht | |
einmal für die radikalsten Teile der deutschen Linken. Dort nannte man die | |
Verbrechen nur anders: notwendige und legitime revolutionäre Gewalt. Die | |
Maoisten waren ja keineswegs intellektuell minderbemittelte, verführte | |
Naive. Der Blutzoll war für sie das bewusst in Kauf zu nehmende Opfer, wozu | |
das ferne China sich im Unterschied zu Europa heroisch durchgerungen hatte. | |
Insofern faszinierte eben doch das semantisch camouflierte Verbrechen. | |
Diesem Blick in den Spiegel verweigert sich der Realo Schmierer; die | |
identitäre Macht des einstigen "Wegs in die Sackgasse" (Schmierer) ist | |
immer noch zu stark. Doch ohne schonungsloses Erschrecken über sich selbst | |
ist gerechte Aufklärung über 1968 nicht möglich. | |
"Wir leben in einer Zeit, in der Revolutionen nicht zu machen sind": Zu | |
solch aufregend neuen Erkenntnissen gelangt Hermann L. Gremliza in der | |
Jubiläumsausgabe von Konkret. Zweifel gehören dabei immer noch nicht zur | |
geistigen Grundausstattung der Zeitschrift. Andernfalls würden die Macher | |
ihre ermüdend berechenbare Routine des Dagegenseins gelegentlich als Form | |
des Dabeiseins deuten. Zum 50. Geburtstag kann man zumindest feststellen: | |
Konkret ist systemstabilisierend, weil in jedem Scheißliberalen bei der | |
achselzuckenden Lektüre das gute Gefühl entsteht, doch schön tolerant zu | |
sein. Dieses Gefühl strapaziert Gremliza in seinem Kaffeegeplauder mit dem | |
85-jährigen Greis Ernst Schumacher, führender Theaterkritiker in der DDR, | |
aus Bayern stammender Kommunist, Brechtianer und Peter-Hacks-Feind. Es geht | |
um Stalin, Ulrike Meinhof, Deutschland, Hacks - und wiederum um China. | |
Gremliza widerspricht nicht, als Schumacher bekennt: "Freilich, als 1989 | |
die harte Entscheidung anstand, die Protestbewegung zu beenden, um | |
überhaupt die Existenz eines einheitlichen und unabhängigen China zu | |
garantieren, hätte ich vermutlich nicht viel anders entschieden als die | |
damalige Führung der KP Chinas." Welch Glück, Genosse, dass du hierzulande | |
1989 nur die Schreibmaschine bedient hast. | |
26 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Alexander Cammann | |
## TAGS | |
Kambodscha | |
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