# taz.de -- Gebührenboykott: Hamburgs Kunst in Aufruhr | |
> Beinahe die Hälfte der Hamburger Kunststudenten verweigern die | |
> Studiengebühren. Der Hochschule für Bildende Künste könnte eine ganze | |
> Generation von Studenten abhanden kommen. | |
Bild: Hamburger Kunststudenten überweisen die Gebühren nicht. | |
Es war schwer, die Journalisten zu begeistern. Als im Frühjahr an der | |
Hamburger Universität ein linkes Bündnis die Kampagne für einen | |
Gebührenboykott vorstellte, meldete sich eine junge Kunststudentin zu Wort. | |
An ihrer Hochschule sei auch der Präsident gegen die 500 Euro Gebühr, aber | |
er sage es nur hinter vorgehaltener Hand. | |
Na und, dachten die Reporter. Typische Inkonsequenz eines exlinken | |
Funktionsträgers. Auch als am 15. Juni der Stichtag ablief und die | |
Hochschule für Bildende Künste (HfBK) die einzige war, die eine relative | |
Mehrheit von 291 Nichtzahlern zustande brachte, wollte die Presse nicht | |
kommen. | |
Die Studierenden waren enttäuscht. Auch von den Professoren, die sich | |
zunächst totstellten und nichts sagten. Der Boykott lief an, die Studenten | |
wurden exmatrikuliert. Aber es war ein Gummibeschluss. Wenn sie die Gebühr | |
bis Ende September doch überweisen, können sie weiter studieren. Am Sonntag | |
endet die Frist. | |
Die jungen Künstler aber haben entschieden, lieber ihre berufliche Zukunft | |
aufs Spiel setzen als zuzusehen, wie der parteilose Hamburger | |
Wissenschaftssenator Jörg Dräger ihre Kunsthochschule kaputt macht. "So | |
kann man nicht Kunst studieren", sagt Student Alex und meint damit nicht | |
nur die 500 Euro Gebühr, die Studierende zwingen, "schon früh für den Markt | |
zu produzieren", und im künstlerischen Sinne "Angsthasen" erzeugen. Er | |
meint auch das gestufte Bachelor-Master-System, das das Studium stark | |
verschule und verkürze. | |
Im Frühsommer wurde der Boykott dann doch zum Medienereignis. Als am 4. | |
Juli HfBK-Präsident Martin Köttering die Jahresausstellung eröffnet, sind | |
vier Kamerateams auf ihn gerichtet. Studierende und Lehrende tragen aus | |
Solidarität einen Sticker mit einem roten "Ex" für "Exmatrikulation" am | |
Revers. | |
Zu dem Zeitpunkt hatte Werner Büttner, Dekan der Freien Kunst, in einem | |
offenen Brief an Senator Dräger bereits seine "brennende Sorge" über die | |
Lage ausgedrückt. Wenn die HfBK 80 Prozent ihrer Studierenden | |
exmatrikuliere, werde es "für viele Jahre keinen künstlerischen Nachwuchs | |
in der Metropole Hamburg geben", heißt es in dem Schrieb, der von 27 | |
Hochschullehrern unterzeichnet wurde. Sie warnen vor "kultureller Verarmung | |
der Stadt". | |
Auf Drägers Schweigen startet Büttner einen zweiten Versuch, Gehör zu | |
finden: "Wären wir ein mittelständischer Zahnstocherhersteller mit | |
drohenden 400 Entlassungen, würde der Bürgermeister persönlich zur Rettung | |
herbeieilen", schreibt er bitter. | |
Am 3. Juli schließlich äußert sich Dräger auf Nachfrage im | |
Wissenschaftsausschuss. "Er antwortete, die Hochschule wird sich schon | |
wieder füllen", berichtet Barbara Brüning (SPD). Am 12. Juli verkündet | |
Köttering, er sehe sich nach einem Rechtsgutachten der Dräger-Behörde dazu | |
gezwungen, 269 Studierende zu exmatrikulieren. | |
Es wird zur Nervenprobe für alle. Denn Nachwuchs aufzubauen, ist schwierig. | |
"In diesem Jahr hatten wir nicht mal 200 Bewerbungen", stöhnt ein | |
Hochschullehrer, der Anfänger in Malerei unterrichtet. Pro Jahr würden | |
gerade mal 40 bis 45 Studenten aufgenommen, man habe Mühe, "genug zu | |
finden, die begabt sind". Auch wenn sie angenommen sind, müssen sie erst | |
eine einjährige Probezeit überstehen. | |
"Ich kann nicht sagen, wie lange es dauert, die Lücke wieder aufzufüllen, | |
weil wir so eine Situation noch nie hatten", sagt Dekan Büttner der taz. | |
Aber jede traditionsreiche Kunsthochschule habe einen "Genius Loci", der | |
drohe, verloren zu gehen. Büttner: "Die HfBK war immer etwas kopflastig. Es | |
ging immer mehr um Ideen, was mit der Konzeptkunst in den 70ern begann." | |
Ein Großteil der Ausbildung finde unter den Studierenden statt, die | |
jahrgangsübergreifend in Klassen lernen, erklärt Büttner. Die neueren | |
lernen durch die Beobachtung der älteren Studierenden. Wenn die HfBK bald | |
eine ganze Generation unbeleckter Gymnasiasten habe, "wird es schrecklich", | |
befürchtet er. | |
Hinzu kommt der Wettbewerbsnachteil für die Hamburger Kunsthochschule. Denn | |
andere renommierte Hochschulen, wie der Hauptkonkurrent Kunstakademie | |
Düsseldorf, die Städelschule Frankfurt oder die Universität der Künste in | |
Berlin nehmen kein Geld und führen auch erst mal kein | |
Bachelor-Master-System ein. | |
Interessant ist der Fall Düsseldorf. Denn das Land Nordrhein-Westfalen hat | |
zeitgleich mit Hamburg die Gebühren eingeführt - es aber den Hochschulen | |
überlassen, ob und wie viel Gebühren sie nehmen. "Die Akademie in | |
Düsseldorf hat sich dagegen entschieden, weil Kunststudierende sehr viel | |
Geld für Material ausgeben müssen", berichtet Ralf-Michael Weimar vom | |
dortigen Kultusministerium. Zudem genießen die musischen Hochschulen | |
Sonderrechte. In einem "Kunsthochschulgesetz" sollen sie auch in puncto | |
Studienstruktur "weitestgehende Freiräume" bekommen, sagt Weimar. | |
Auch in Hamburg hätte Dräger die Gebührenfrage seinen sechs | |
Hochschulpräsidenten überlassen. Die aber fürchteten den schwarzen Peter | |
und lehnten ab - mit Ausnahme von Köttering, der sich alleine jedoch nicht | |
durchsetzen konnte. | |
Der Konflikt ist auch darauf zurückzuführen, dass Dräger sich in der | |
Gesetzgebungsphase zu wenig für die Belange der Künstler interessierte. | |
Zwar richtete er ein mit Zinsen versehenes Darlehensmodell ein, das fertige | |
Akademiker erst ab 12.500 Euro Jahreseinkommen zurückzahlen müssen. Doch | |
das ist für selbstständige Künstler kein Angebot. Nur zwei Prozent werden | |
berühmte Millionäre wie Daniel Richter. Die Übrigen verdienen "zum Sterben | |
zu viel, zum Leben zu wenig", wie der Deutsche Kulturrat formulierte. | |
Laut Künstlersozialkasse verdienen Berufsanfänger nach drei Jahren gerade | |
mal 10.500 Euro im Jahr. Da bedeutet so ein Darlehen lebenslange Schulden, | |
für die sie zahlen müssen, sowie sie etwas mehr verdienen. | |
Mittlerweile wächst der Druck auf Dräger. Die Vorsitzende des externen | |
Hochschulrats, Marianne Tidick, bittet Dräger, an einer "konstruktiven | |
Lösung" mitzuwirken: "Dieses Dilemma ist schließlich auch Ihr Dilemma", | |
schreibt sie. "Sie wollten die Studiengebühren und haben das entsprechende | |
Gesetz in den Senat eingebracht." Doch die CDU-Bürgerschaftsfraktion, die | |
die Studierenden zu einem Gespräch einlud, erklärte, dass es keine | |
"Sonderregelung" für die Kunst geben werde. | |
Dabei läge hier vielleicht für die CDU ein Ausweg, auch wenn die | |
Kunsthochschüler die Gebühren für alle Studierenden kippen wollen. "Die | |
Schule kann uns nicht mit einem Papier nach Hause schicken", sagt Student | |
Benjamin Renter. "Wir lassen uns nicht aus dem Kontext stoßen." | |
Die Hochschule nicht, Dräger vielleicht aber schon. Als er vor Kurzem ein | |
Konzept vorstellte, um kreative Talente in die Hansestadt zu locken, | |
erwähnte er die Kunstkrise mit keinem Wort. | |
26 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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