# taz.de -- Halle: Sparen auf Kosten von Heimkindern | |
> Offiziell plant Halle ein Präventionskonzept in der Jugendhilfe: Am | |
> liebsten würde die Kommune Kinder, die in Heimen leben, schnell in ihre | |
> Problemfamilien zurückschicken. | |
In Halle droht bis zum Monatsende eine Zwangsrückführung aller in Heimen | |
untergebrachten Kinder und Jugendlichen in ihre Problemfamilien. Eine | |
interne Dienstanweisung des zuständigen Fachbereiches Kinder, Jugend und | |
Familie der Stadt vom 3. September verlangt eine sofortige Überprüfung | |
aller 314 Fälle, in denen Hilfen zur Erziehung nicht anders als durch | |
Heimerziehung erbracht werden können - mit dem Ziel einer Beendigung dieses | |
Aufenthalts. | |
Nach offizieller Lesart von Fachbereichsleiter Lothar Rochau soll damit ein | |
Konzept durchgesetzt werden, das Heimaufenthalte durch präventives | |
Sozialmanagement überflüssig macht. Tatsächlicher Anlass aber ist eine | |
Deckungslücke im Jugendhilfeetat der Stadt in Sachsen-Anhalt von knapp 1,7 | |
Millionen Euro, die geschlossen werden soll. Die Dienstanweisung weist | |
ausdrücklich auf die "Verbindung mit der Haushaltkonsolidierung" hin. Die | |
Stadt will so bis Jahresende knapp 2,2 Millionen sparen, wobei pro | |
Heimplatz monatliche Kosten von 3.100 Euro angesetzt werden. | |
Um mittelfristig vier Millionen zu sparen, erarbeiteten zwei Gutachter im | |
Auftrag der Stadt bereits ein sogenanntes "Pro-Aktiv"-Konzept. Das | |
Jugendamt formulierte ohne Beteiligung der überwiegend freien Träger der | |
Jugendhilfe daraus ein Fachkonzept. Durch 50 "Quartiersrunden" mit | |
Sozialpädagogen und Vertretern öffentlicher und sozialer Einrichtungen | |
sollen Milieus aufgewertet und Problemfälle früh erkannt werden. | |
Dagegen haben Fachleute wie Johannes Herwig-Lempp von der Hochschule | |
Merseburg prinzipiell nichts. Ein solch präventives Konzept, wenn es denn | |
als Modellversuch erfolgreich sein sollte, könne aber erst in drei bis vier | |
Jahren greifen. Wenn man jetzt überstürzt und aus durchsichtigen Gründen | |
Heimkinder nach Hause schicke, sei das so, "als ob Krankenhäuser zugunsten | |
von Gymnastikgruppen aufgelöst würden", so Herwig-Lempp. | |
Widerstand regt sich auch bei den freien Trägern der Jugendhilfe, die etwa | |
250 dieser Heimplätze stellen. In einer Stellungnahme ihres Arbeitskreises | |
sehen sie in diesem "deutschlandweit einmaligen Vorgang" eine | |
Diskreditierung ihrer bisherigen Arbeit. Jede einzelne Entscheidung für | |
ambulante oder stationäre Betreuung sei sorgfältig in Abstimmung mit den | |
Betroffenen sowie dem Jugend-Fachbereich der Stadt getroffen worden. "Eine | |
Rückkehr aller Kinder und Jugendlichen in ihre Familien innerhalb weniger | |
Wochen anzuweisen ist fachlich gesehen grober Unfug, sozial- und | |
strafrechtlich fahrlässig und menschlich ignorant", heißt es im Schreiben | |
des Arbeitskreises. Unterzeichner Steffen Kröner von der Arbeiterwohlfahrt | |
sieht Rechtsansprüche der Betroffenen aus dem Sozialgesetzbuch VIII | |
verletzt. Weil es sich um eine Pflichtleistung der Kommune handele, dürfe | |
sie auch nicht durch ein Budget begrenzt werden. | |
Sein Kollege Frank Germann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband weist darauf | |
hin, dass es in 70 Prozent der Fälle ohnehin gelinge, die Kinder und | |
Jugendlichen nach 13 bis 15 Monaten Heimbetreuung wieder in ihre Familien | |
zu integrieren. Dem "Pro-Aktiv"-Quartierskonzept liege der Irrtum zugrunde, | |
dass eine Milieuverbesserung automatisch intakte Familienverhältnisse zur | |
Folge habe. | |
Fachbereichsleiter Rochau wandte sich auf taz-Nachfrage gegen eine | |
Dramatisierung. Es gehe vorerst nur um eine Überprüfung und neue | |
Kategorisierung der Fälle. Ziel sei es allerdings, von der "Versäulung" des | |
Sozialgesetzbuches mit der Ultima Ratio einer Heimunterbringung wegzukommen | |
und vernetzte lokale Präventionsstrukturen aufzubauen. "Die Jugendhilfe | |
muss auf den fachlichen Prüfstand, sonst ufert sie aus", sagte Rochau. Das | |
Kindeswohl stehe weiterhin im Vordergrund. Nach Beobachtung der Freien | |
Träger hat ihr Widerstand die Absichten der Stadtverwaltung gebremst, | |
sodass bis Mittwoch noch keine Heimkinder entlassen wurden. | |
26 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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