# taz.de -- Musiker Burnt Friedman: Er liebt die ungeraden Takte | |
> Was macht er eigentlich, Elektronik? Folk? Hypnotischen Jazz? Auf jeden | |
> Fall eins: schön unklassifizierbar bleiben. Eine Begegnung mit Burnt | |
> Friedman. | |
Bild: Seine Musik entsteht aus dem Kontrollverlust: Burnt Friedman. | |
Burnt Friedman steigt nicht gern direkt in Interviews ein. Er macht erst | |
einmal Tee. Von der offenen Küche aus hat man einen Blick über die Dächer | |
des Prenzlauer Bergs auf den Berliner Fernsehturm. Burnt Friedman macht | |
manchmal lange Pausen, bevor er eine Frage beantwortet. Es ist schwer | |
vorstellbar, dass jemals Worte über seine Arbeit einfach so aus ihm | |
heraussprudeln. Der Fußboden ist abgeklebt, und an den Wänden lehnen | |
Bilder. In der Wohnung ist Burnt Friedman selbst zu Besuch, das allerdings | |
ziemlich oft. Es ist das Dachatelier von Theo Altenberg, | |
Performance-Künstler und Exkommunarde, der hin und wieder auch als Freund | |
und Sänger auf Friedmans Platten auftaucht. | |
Burnt Friedman, der eigentlich Bernd Friedmann heißt, lebt normalerweise in | |
Köln, in einem Künstlerhaus, in das ihn Can-Trommler Jaki Liebezeit geholt | |
hat. Von dort aus hat Friedman ein Netzwerk von Musikern gestrickt, mit | |
denen er in den letzten Jahren immer wieder arbeitet. Dort laufen die Fäden | |
zusammen, wenn er die Versatzstücke für seine seltsam komplexe Musik | |
sortiert, schichtet und verzahnt, eine Musik, die man gar nicht so recht | |
beschreiben kann. Elektronik? Folk? Dub? Eine Art hypnotischer Jazz? Wenn | |
man "First Night Forever", Friedmans neue CD, in den Computer einlegt, | |
erscheint als Musikrichtung "unclassifiable". | |
Erst Ende August hatte das Label Scape "Just Landed" wiederveröffentlicht. | |
Die beiden Platten kann man als die zwei Pole der Friedmanschen Musik | |
bezeichnen. Das Instrumentalalbum aus dem Jahr 2000 programmierte er als | |
bewusste Illusion einer Reggae-Band, den Nu Dub Players, zu deren | |
Mitgliedern er sich eigentümliche Biografien ausdachte. Bei "First Night | |
Forever", das auf seinem eigenem Label Nonplace erscheint, denkt man gar | |
nicht mehr daran, einzelne Musiker, und seien sie noch so gefakt, | |
identifizieren zu wollen. "Mir geht es um die totale Verschmelzung", sagt | |
Friedman, "dass man vor einem Dickicht steht, das insgesamt lebt, das man | |
aber nicht in seine Einzelheiten auflösen kann." In Friedmans neuer Musik | |
greift eine Stimme in die nächste, Sounds werden an die Oberfläche gespült | |
und tauchen wieder unter. Man kann sich dahinter keine Band vorstellen, | |
eher ein Orchester, fünfzig Leute vielleicht. | |
Der Mann, der sich so kontrolliert ausdrückt, sucht in der Entstehungsphase | |
seiner Musik allerdings den gewissen Kontrollverlust. Friedman erstellt an | |
seinem Rechner Songskizzen, Beats mit ein paar Leittönen zur Orientierung, | |
und verschickt sie an sein Netzwerk, in alle Welt, wo die Musiker dann mit | |
seinen Schnipseln arbeiten und eigene Parts aufnehmen. Anweisungen gibt er | |
ihnen nicht: "Ich gehe ja auf Leute zu, von denen ich weiß, dass die ein | |
Feeling dafür haben, auf unfertige Stücke zu spielen; die keinen Schiss | |
davor haben, ins Leere zu spielen." Musiker so verschieden, dass sie außer | |
der Zusammenarbeit mit Friedman kaum etwas verbindet - Jaki Liebezeit und | |
David Sylvian, Hayden Chisholm und Patrice, Theo Altenberg und Uwe Schmidt. | |
Wenn aus der Ferne eine neue Aufnahme eintrudelt und Friedman beim Einfügen | |
in sein Songgerüst merkt, dass sie das Stück komplett umkrempelt, dass er | |
wieder von vorn anfangen kann, dann ist das für ihn ein Hurra-Erlebnis. Er | |
genießt es, wenn mit seinen Songskizzen unerwartete Dinge passieren. Die | |
Aufnahmen zu jeder Skizze landen in einem Ordner, der "bis ins | |
Unerträgliche wächst und vor sich hin mutiert". Es ist ein Chaos, aus dem | |
sich mit der Zeit die Songs herausschälen. Die einzelnen | |
Instrumentalspuren, die auf "First Night Forever" vorkommen, sind im | |
Zeitraum von 2000 bis 2007 entstanden, in Köln, Sydney, New York und | |
Philadelphia. | |
Einer, von dem Friedman viel gelernt hat, ist Jaki Liebezeit. Oder besser: | |
Er hat durch ihn einiges verlernt, nämlich das Denken in der Symmetrie des | |
in der Popmusik allgegenwärtigen Viervierteltaktes. Friedman liebt ungerade | |
Takte, und "Jaki wusste, wie er einen Neuner spielen muss. Für mich war das | |
am Anfang der totale Krampf, ich musste mich wahnsinnig konzentrieren," | |
erinnert er sich. "Gleichzeitig hat mich fasziniert zu merken, dass eine | |
Logik dahinter steht, die ich aber nicht verstehen kann. Das ist für mich | |
ein Glücksmoment beim Musikhören." Heute spielt er die Siebener, Neuner und | |
Elfer so selbstverständlich, dass seine Hörer sie kaum als ungerade Takte | |
wahrnehmen. | |
Friedman fällt es schwer, in den üblichen musikalischen Begriffen über | |
seine Musik zu sprechen. Begriffe aus der Kunst passen oft besser. Manchmal | |
hat er den Eindruck, er könne um seine Songs herumgehen wie um eine | |
Skulptur. Kunst hat Friedman ursprünglich einmal studiert, eine | |
musikalische Ausbildung hat er nie genossen. Aber bereits zu Schulzeiten | |
versteckte er selbstgebaute Gummibandgitarren und Spielzeuginstrumente in | |
seinem Schrank. Dann begann er Aufnahmen zu machen, sie zu archivieren und | |
zu katalogisieren. Bevor sich Friedman ab Mitte der Neunzigerjahre | |
ernsthaft der Musik widmete, hatte er das alles, wie er sagt, eher als | |
pathologischen Tick erlebt. | |
Während hinter dem Fernsehturm langsam die Dämmerung heraufzieht, kommt | |
Theo Altenberg nach Hause und stellt ein paar Dinge in den Kühlschrank. Er | |
hat zwei der Stücke auf "First Night Forever" gesungen, und eines seiner | |
Fotos aus der Otto-Mühl-Kommune ist auf dem Einlegeblatt zu sehen. | |
Altenberg erzählt, dass er gerade versucht, Friedman für einen Umzug nach | |
Berlin zu begeistern. "Ich glaube, das könnte klappen", sagt er, und an | |
Friedmans Gesicht ist abzulesen, dass er wieder gründlich überlegt, was er | |
jetzt sagt. | |
Burnt Friedman: "First Night Forever" (Nonplace) | |
26 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaluza | |
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