# taz.de -- Ein Bezirk will hoch hinaus: McKinsey ist auch schon da | |
> Das neue Domizil des Kunstsalons, eine der drei Messen, die das Art Forum | |
> an diesem Wochenende begleiten, liegt im Bezirk Wedding. Ob sich damit | |
> diesmal bewahrheitet, dass dies der neue Berliner Trendbezirk wird, steht | |
> dahin. | |
Bild: Blick in die Ausstellung | |
Roter Wedding grüßt euch, Genossen! Am Tor der ehemaligen | |
Omnibus-Zentralwerkstatt der BVG an der Weddinger Bad- und Uferstraße sind | |
rote Faghnen gehisst. Die Arbeiter jedoch haben die Fabrik längst verlassen | |
und machen der Kunst und den Investoren Platz: Es ist der vierte "Berliner | |
Kunstsalon", der in diesem Jahr an den Ufern der Panke neue Maßstäbe setzen | |
will. Denn mit seinen 12.000 Quadratmetern, allerdings bei nur 60 | |
Ausstellern, ist er flächenmäßig vor dem "Art Forum" - mit 136 Galerien - | |
die derzeit größte Berliner Kunstmesse. | |
Mit dem Sprung aus der Treptower Arena in den Wedding wird das | |
Kunstsalon-Team um Edmund Piper und Eiko Sabela Teil einer Entwicklung, von | |
der manche behaupten, sie habe gar nicht stattgefunden: "Berlin-Wedding als | |
internationalen Kunststandort entwickeln" lautet das Thema einer | |
Diskussionsrunde, die der Kunstherbst Berlin am 1. Oktober im Rahmen des | |
Kunstsalons veranstaltet. Die Teilnehmer sollen dabei "unter | |
Berücksichtigung der bildenden Kunst als Wirtschaftsfaktor über die | |
Restrukturierung von Industriebrachen im neu zu entdeckenden Stadtteil | |
Berlin-Wedding" sprechen. Neben lokalen Akteuren vom Forum "Der Wedding | |
lebt" und der "Kolonie Wedding" oder Bezirksbürgermeister Christian Hanke | |
ist der Privatinvestor Hans Martin Schmidt eingeladen. Laut Edmund Piper | |
hat er erst kürzlich den ehemaligen BVG-Gebäudekomplex erworben und will | |
ihn unter dem Namen "Uferhallen" einer dauerhaften künstlerischen Nutzung | |
zuführen. Damit wird nicht nur der Kunstsalon zum Probelauf für den Wedding | |
als internationaler Kunststandort und die seit einigen Jahren dort und in | |
Gesundbrunnen agierenden kleinen Kunstinitiativen kurzerhand zu | |
Standortfaktoren, es wird gleich der gesamte Wedding zur vermeintlich | |
kapitalträchtigen Terra incognita mit verspätetem westlichem | |
Nachwendetouch. | |
"Wedding liegt sehr zentral und ist verkehrstechnisch erstklassig | |
angebunden" - diese auf Immobilienseiten im Internet kursierende | |
Geografiekunde deckt sich in etwa mit der U8-Strategie der Standortkundler, | |
die Bezirksreform symbolisch nachzuvollziehen und den Ort des Kunstsalons | |
mit "verkehrsgünstig gelegen in Berlin-Mitte (ehemals Wedding)" anzugeben. | |
Ist der Wedding entdeckt, ist er bereits verschwunden. | |
Der Galerist Guido Baudach hatte im Sommer 2004 seine kleine Galerie | |
"Maschenmode" in der Torstraße in Mitte "rein zufällig" und wegen der hohen | |
Decken gegen 800 Quadratmeter große Räumlichkeiten in den Osram-Höfen, ein | |
paar Ecken entfernt von den zukünftigen Uferhallen, eingetauscht. Nun zählt | |
er zur Sturmkolonne der neuen Bewegung. Diese umfasst dank günstiger Mieten | |
oder drittseitiger Unterstützung Produktionsorte und kleine Kunstvereine | |
wie "Cluster" in den Osram-Höfen, "Montgomery" in der Pankstraße, das | |
Rotaprint-Gelände in der Gottschedstraße oder "uqbar" und "visite ma tente" | |
in der Schwedenstraße sowie die vom Quartiersmanagement unterstützten | |
KünstlerInneninitivativen im Soldiner Kiez ( "Kolonie Wedding"). Zu dieser | |
neuen Bewegung gehören auch die Hotspot suchenden Sammlerlimousinen, die | |
nun an Weddinger Wettbüros vorbeigleiten. Denn "das sind ja Leute, die noch | |
nie ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt haben", wie Baudach sagt, der | |
seine Galerie ein Stockwerk unter dem dritten Berliner Standort des | |
Kunsthändlers Max Hetzler betreibt. | |
Tatsächlich bietet der Hof der alten Osram-Fabrik nicht nur genügend Platz | |
für wartende Chauffeure, sondern auch ein Mehr an Sicherheit für Baudachs | |
Versicherer. Ihnen hat der Umstand, dass sich auf dem Hof des | |
Dienstleistungs-, Handels- und Gewerbezentrums eine Polizeidienststelle | |
befindet, das Unterbreiten eines Vertragsangebots durchaus leichter | |
gemacht. Komplementär dazu zeigte sich das Finanzamt im ersten Jahr eher | |
verwirrt. Mit einer kommerziellen Galerie hatte man dort bis dahin noch | |
nichts zu tun gehabt und wusste mit den teils großen Preisunterschieden bei | |
den einzelnen Werken schlichtweg nichts anzufangen. Nicht weiter schlimm: | |
McKinsey ist auch schon auf dem Hof angesiedelt. | |
Dass gegenüber demnächst ein Biosupermarkt eröffnet, macht zwar aus dem | |
Wedding noch keinen Senefelderplatz. Trotzdem, so Baudach, sei der erste | |
seiner Künstler bereits im Kiez um die Ecke eingezogen - eine Auskunft, die | |
sich mit der Beobachtung vieler Weddinger Akteure deckt. Immer mehr | |
KünstlerInnen mieten im Stadtteil nicht nur ein Atelier an, sondern leben, | |
dank weiterhin günstiger Mieten und großer Wohnungen, gleich in der "Neuen | |
Mitte" Wedding. Neben den dort traditionell seit den 1980er-Jahren | |
angesiedelten Produktionsorten wie der Bildhauerwerkstatt des bbk, den | |
Ateliers in den Gerichtshöfen oder dem Atelierhaus in der Lindower Straße | |
entsteht langsam eine weitere Atelierkultur, in der zahlungskräftige | |
Galerien ihre internationalen Stars bei Atelierbedarf unterstützen: Julie | |
Mehretu oder Robin Rhode etwa bezogen kürzlich Arbeitsräume in einem | |
ehemaligen Fabrikgebäude. Der Kunstmarkt, der sich seinen Weg in sogenannte | |
Problemkieze bahnt, dürfte den gemeinen Weddinger jedoch kaum jucken, | |
solange die mietpreissteigernde Infrastruktur aus Coffeeshops, Clubs und | |
Focaccia-Restaurants noch nicht anrückt. | |
Die Gruppe lokaler Jugendlicher, die mit Boxerfrisuren und Pumps bei | |
Kartoffelsalat, Kaltschale und R n B im Vereinslokal vom "Orden der | |
Wikinger e. V. im Nerother Wandervogel" an der Bar hockte, staunte am | |
letzten Wochenende jedenfalls nicht schlecht, als die Vernissagegäste des | |
Montgomery das benachbarte Kellerlokal - nicht zuletzt wegen des obskuren | |
Vereinsnamens - für den Club zur Galerie hielten. | |
"The movement goes wedding, and its sometimes a good ding", lautet das | |
Motto auf der Webseite der ein paar Ecken entfernten, kunstaffinen Kneipe | |
"Kaffee Schmidt". Unklar bleibt, welche Bewegung damit gemeint ist. Die aus | |
dem alten Arbeiterlied vom "Roten Wedding"? Oder die aus der am Horizont | |
aufbrandenden Kunstmarkthymne auf die billigen ehemaligen Arbeiterfabriken? | |
Die Liedzeilen Erich Weinerts träfen jedenfalls auf beides zu: "Wir heizen | |
die Herzen mit Kraft und Mut, bis der Prolet uns gehört." | |
27 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Martin Conrads | |
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Kunst Berlin | |
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