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# taz.de -- Black Metal-Inteview: "Das ist Volksmusik"
> Die Dissidenz leben: ein Gespräch mit dem Gitarristen Stephen OMalley
> über die ideologischen Hintergründe der Musikrichtung Black Metal.
Bild: Black Metal-Rituale: Skandinavische Folklore?
taz: Herr OMalley, Sie sind Gitarrist. Und in den vergangenen Monaten sind
Sie als Teil der Inszenierung "Kindertotenlieder", einer düsteren
Tanz-Musik-Performance der französischen Regisseurin Gisèle Vienne,
erfolgreich durch Europa getourt. Welchen Reiz hat Black Metal, dass er
sogar Theatermacher und Künstler anzieht?
Stephen OMalley: Black Metal ist unglaublich ästhetisch und kraftvoll. In
vielen Fällen ist dabei die ganze dahinter stehende Ideologie
ausdrucksstärker als die Musik selbst. Die nämlich ist produktionstechnisch
oftmals ziemlich erbärmlich. Die Oberflächen-Ästhetik aber ist inzwischen
in der Kunstszene angekommen, was tatsächlich ziemlich bizarr ist. Ich
selbst arbeite auch noch mit dem Künstler Banks Violette zusammen, einem
Bildhauer aus New York, der sich in seinen Arbeiten mit den der
Black-Metal-Szene nahe stehenden norwegischen Kirchenanzündern beschäftigt
hat.
Wie genau sieht denn die Black-Metal-Ideologie aus, was kennzeichnet seine
Ästhetik?
Black Metal ist in oftmals pubertärer Weise reaktiv und versucht, sich so
dissident wie möglich zur Gesellschaft zu positionieren. Um Dissidenz zu
leben, kann man es auch mit Anarchie, Veganismus oder straight edge
probieren, der Black Metal zieht dazu Satanismus und Okkultismus, teilweise
auch Nazismus heran. Ich würde sagen allerdings sagen: Wenn du zehn
Black-Metal-Bands interviewen würdest, käme heraus, dass acht oder neun von
ihnen pubertär sind, keinerlei soziale Fähigkeiten haben und keine wirklich
durchdachte Ideologie vertreten. Sie partizipieren lediglich an
vorgefertigten Black-Metal-Codes. Ich glaube, die meisten Black-Metal-Bands
verhalten sich wie die bellenden Hunde, die dir nicht ins Bein beißen.
Sie reden von Nazismus im Zusammenhang mit Black Metal. Sie selbst haben
eine Zeit lang bei Misanthropy Records gearbeitet, wo frühe Platten von
Burzum herausgekommen sind - der Band von Varg Vikernes, einem bekennenden
Neonazi und Rassisten, der wegen Mordes an einem Mitglied einer anderen
norwegischen Black-Metal-Band zu 21 Jahren Haft verurteilt wurde.
Burzum ist speziell. Ich würde sagen: weit jenseits des Black-Metal-Genres
anzusiedeln. Ich hatte nie eine Affinität zu Vark Vikernes Ideologie und zu
seinem Rassismus. Ich fand zwar seine Musik und alles um ihn herum
interessant, habe darin aber nie einen Wegweiser für mein eigenes Denken
gesucht. Vikernes ist ganz sicher eine irgendwie intelligente Person, aber
sein Leben ist total ruiniert: Er sitzt im Gefängnis, seitdem er 18 Jahre
alt ist, und entwickelt in der Isolation der Haft seine seltsamen
Ideologien. Ich glaube, was viele an Black Metal auch so fasziniert, sind
diese oft eher philosophisch gestellten Fragen danach, was es bedeutet, in
dieser Welt zu sein. Auch Vikernes beschäftigt sich damit in einer
romantischen Weise, und das macht für die Szene sein Faszinosum aus.
Black Metal nimmt sich selbst und seine Ästhetik ziemlich ernst. Tun Sie
das als reflektierter Hörer dieser Musik auch?
Nein.
Weil diese wahnsinnig tief schürfende Ernsthaftigkeit am Ende auch nur
Image ist?
Dem Rock n Roll geht es auch darum, durchzudrehen und Partys zu feiern,
anders und dekadent zu sein. Auch das ist oft nur Klischee, man muss das
auch nicht alles ernst nehmen.
Aber die Kirchenanzünder in Norwegen, die nahmen sich doch auch jenseits
der Imagefrage ernst, oder?
Ich weiß nicht. Diejenigen, die ich kenne, ja. Die werden sich eben gefragt
haben: Wie kann ich eine konservative und religiöse Gesellschaft ernsthaft
schockieren? Klar, indem ich ihre Ikonen und Symbole zerstöre. Und die
alten Stabkirchen repräsentieren in Norwegen eben die Kultur des Landes.
Wenn wir von den Kirchenanzündern sprechen, dürfen wir jedoch nicht
vergessen, dass wir hier von Teenagern reden.
Ist Black Metal in Lateinamerika oder Polen so präsent, weil dort die
Kirche so mächtig ist?
Natürlich. Polen hat eine lange Black-Metal-Tradition - allerdings treiben
sich dort eine Menge rassistische Bands herum, wie zum Beispiel Graveland.
Und erst vor kurzem habe ich mit dem Gitarristen der Band Gorgoroth
gesprochen, die gerade durch Südamerika getourt sind. Er hat erzählt, dass
es bei ihren Konzerten in Mexiko zu riesigen Riots kam. Die Leute wurden
gewalttätig, und die Polizei schritt ein. Das wiederum ist doch ziemlich
cool: Black Metal vermag es also, Chaos zu veranstalten.
Fasziniert an Black Metal also vor allem das, was mehr ist als bloß die
Musik?
Ich kann nur für mich selbst sprechen: Ja. Ich bin in einem Vorort von
Seattle aufgewachsen, und mich hat vor allem das Fantastische an Black
Metal schwer beeindruckt. Ich war weit weg von Norwegen und dennoch
fasziniert von dieser bizarren psychedelischen Musik und deren Image.
Sie nennen Black Metal psychedelisch?
Ja, das Genre erzeugt eine bestimmte Atmosphäre, Impressionen, die weit
über die reine Musik hinausgehen. Ansonsten ist aber ist das verbindende
Element der Black-Metal-Szene: Isolation, soziale Unfähigkeit ihrer
Mitglieder.
Jeder hasst jeden?
Die Leute aus der Szene, die ich kennengelernt habe, haben tatsächlich eine
Menge Probleme mit anderen Menschen. Jüngere Black-Metal-Bands sind nicht
umsonst beeinflusst von Bands wie Joy Division oder My Bloody Valentine,
also von Bands, die ebenfalls mit Isolation assoziiert werden, nicht
unbedingt in musikalischer, aber doch in psychologischer Hinsicht.
Wie wichtig ist Skandinavien für den Black Metal?
Black Metal ist in gewisser Weise Volksmusik, moderner skandinavischer
Folk. Um Black Metal spielen zu können, musst du nicht der beste Musiker
sein, aber stark mit lokalen Bezügen arbeiten. Die skandinavische
Landschaft ist dabei definitiv wichtig. Auch US-amerikanische Bands sind
nicht viel mehr als Nachahmer der in Skandinavien etablierten Codes,
weswegen dann zum Beispiel eine Band aus Portland, Oregon über Gletscher
und Berge und Fjorde singt.
Neulich, als ich Sie live mit mit Ihrem Projekt KTL hörte, klang Ihre
Gitarre bluesig, fand ich. Hat Black Metal Ähnlichkeiten mit dem Blues, in
dem ja schon Robert Johnson einen Pakt mit dem Teufel schloss?
In beiden Genres geht es um Isolation, Einsamkeit und Randständigkeit - und
um Emotionen, das stimmt. Und der Blues ist ja auch ein Folk Music.
Allerdings versteht sich Black Metal oft natürlich als Antiblues, was
hauptsächlich rassistisch begründet wird und deswegen albern ist. Vark
Vikernes arbeitet nur noch mit Synthies, weil er sagt, Gitarren seien
afrikanische Instrumente. Vikernes hat vor zehn Jahren aber auch ein Buch
geschrieben, in dem er unter anderem den Schwachsinn behauptet, dass Arier
derart starke und funktionstüchtige Körper haben, dass sie nicht einmal
ihre Zähne zu putzen brauchen.
Wie steht es heute um Black Metal in rein musikalischer Hinsicht? Dank
Bands wie Ihrer eigenen, SunnO))), wirkt das Genre wieder ungemein vital.
Nun ja, aus heutiger Sicht waren schon eher die frühen Neunziger das Golden
Age des Black Metal, Mitte der Neunziger setzte mit Bands wie Dimmu Borgir
die Kommerzialisierung ein, die dazu führte, dass viele Leute mit Metal
einfach abschlossen. Aber es gibt noch sehr viel Spannendes. Black Metal
ist heute eher ein Oberbegriff, ein Schirm, der der unterschiedlichsten
Musik Schutz gibt. Eine klar definierte Szene gibt es nicht mehr. Das
Spektrum reicht von technisch versiertem Black Metal wie bei Death Spell
Omega aus Frankreich bis hin zu Bands wie SunnO))). Wir machen mit SunnO)))
ritualhafte Zeremonienmusik und wollen so den Spirit, den wir beim Hören
der klassischen Bands verspüren, weitergeben. Lustigerweise gelten wir
damit auch für Leute außerhalb der Metal-Szene als Vertreter einer nicht
mehr nur als kindisch verschrienen Musik. Wir sind legitimer Metal. Wir
haben Black Metal auch zu Leuten gebracht, die davor mit dieser Musik
nichts zu tun hatten.
Leider bekommt man diese Musik live so schwer zu fassen. Warum gibt es so
wenige Konzerte mit interessantem Black Metal?
Black-Metal-Bands touren generell nicht viel. Ich sage es nicht gern, aber:
Teilweise ist das auch besser so, weil viele live einfach beschissen
klingen. Es gibt Ausnahmen wie Immortal - aber ansonsten spielen Sound und
Equipment, worauf ich selbst großen Wert lege, im Black Metal keine große
Rolle. Vielleicht hängt die Unlust an Konzerten bei vielen auch damit
zusammen, dass du als Tourband einen gewissen Rock-n-Roll-Lifestyle pflegen
musst, der der Isolationsideologie des Black Metal schlichtweg diametral
gegenübersteht.
INTERVIEW: ANDREAS HARTMANN
30 Sep 2007
## TAGS
Metal
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