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# taz.de -- Argentinien: Der Verräter im Priestergewand
> Kaplan Christian von Wernich half Gefangenen, die ihn um Hilfe baten
> nicht. Denn der Priester stand im Dienst von Argentiniens Polizei. Nun
> steht er vor Gericht.
Bild: In schusssicherer Weste auf der Anklagebank: Christian von Wernich.
BUENOS AIRES taz Argentinien ist ein katholisches Land. Nur Katholiken
dürfen Präsident werden, so steht es in der Verfassung. In den
Gerichtssälen hängen die Kruzifixe hinter den Richtern und neben den
Nationalfahnen. Das Kreuz an der Wand im Tribunal Oral Federal 1 in La
Plata hängt etwas schief - so fällt der Blick des Gekreuzigten direkt auf
die Anklagebank. Von seinem Platz aus könnte Christian von Wernich also in
das Antlitz des Erlösers schauen. Aber der katholische Priester zieht es
vor, nicht an der Verhandlung gegen ihn teilzunehmen.
Seit Anfang Juli wird Christian von Wernich der Prozess gemacht. Angeklagt
ist er der Beteiligung an sieben Morden, 31 Fällen von Folter und 42
gewaltsamen Entführungen. Für Montag, spätestens Dienstag wird das Urteil
erwartet.
Nur an den ersten Verhandlungstagen erschien von Wernich im Saal. Mit
schusssicherer Weste saß er hinter einer Glasscheibe auf der Anklagebank
und rückte fortwährend seinen Priesterkragen zurecht. Dann nahm er sein
Recht in Anspruch, nicht anwesend sein zu müssen. Seither sitzt er an den
Verhandlungstagen auf Abruf in einer Zelle im Gerichtsgebäude, während die
Zeugen ihre Aussagen machen darüber, wie von Wernich in den Siebzigerjahren
seine Stellung als Gefängnispfarrer ausgenutzt und Gefangene der
Militärjunta bei der Beichte ausgehorcht hat. Und wie er später die Folter
und das Töten als von Gott gewollte Taten gerechtfertigt hat.
Wernich wurde 1938 geboren, er ist deutscher Abstammung. 1976, nachdem sich
das Militär an die Macht geputscht hatte, ernannte die katholische Kirche
den Priester Cristian von Wernich zum Kaplan der Polizeiprovinz Buenos
Aires. In dieser Funktion war er dem Chefermittler Miguel Etchecolatz
unterstellt. Etchecolatz wiederum unterstand direkt dem Polizeichef der
Provinz, Ramón Camps. Camps hatte die Verantwortung für die geheimen
Gefangenen- und Folterlager der Diktatur in der Provinz. Die drei bildeten
ein tödliches Trio.
Im Schutzglas im Gerichtssaal spiegeln sich die weißen Kopftücher der
Mütter der Plaza de Mayo. Sie verfolgen den Prozess. "Wir hatten eine
Diktatur, und der Diktator kam sich vor wie der Messias", sagt Zulema
Castro mit Tränen in den Augen. "Nicht nur heute, ich weine seit dreißig
Jahren, jeden Tag. Alles, was ich hier höre, kommt mir vor, als hätten sie
das meinen Kindern angetan." Die 87-Jährige sitzt wie immer in der ersten
Reihe. Wie die anderen Mütter, die auf der Plaza de Mayo seit dreißig
Jahren ihre Runden drehen, weiß auch sie bis heute nicht, wo zwei ihrer
Kinder sind. Sie verschwanden während der Militärdiktatur, die von 1976 bis
1983 in Argentinien herrschte.
Zehn Staatsanwälte und Anklagevertreter sind im Saal. Es sind so viele
Anwälte, weil es 30.000 Opfer der Diktatur gibt. "In Argentinien hat es
einen Völkermord gegeben", sagt Myriam Bregman entschlossen, "unser Ziel
ist es, Wernich als wesentlich an diesem Völkermord Beteiligten zu zeigen",
so die Rechtsanwältin. Aber "die Kirche hatte viele solcher Kapläne
gestellt, die in den geheimen Gefangenenlagern wirkten".
Von der katholischen Kirche gibt es bis heute keine Stellungnahme dazu, wie
groß der Anteil war, den ihre Geistlichen an den Morden und Entführungen
dieser Jahre hatten. Im offiziellen Sprachgebrauch ist von Aussöhnung und
Verzeihen die Rede, aber nicht von Gerechtigkeit. Wernich selbst bestreitet
nicht, Gefangene in den Kommissariaten besucht zu haben; stets sei er von
der Rechtmäßigkeit der Verhaftungen ausgegangen. In Geheimlagern aber sei
er nie gewesen. Zeugen wie Mona Moncalvillo erinnern sich anders.
Im Dezember 1976 war ihr Bruder Domingo zusammen mit sechs weiteren
Mitgliedern der peronistischen Stadtguerilla Montonero in La Plata
inhaftiert. Drei Monate lang wusste Mona Moncalvillo nicht einmal, wohin
man ihn gebracht hatte. Dann nannte ihr ein Polizist seinen Aufenthaltsort,
und sie durfte ihn mehrfach im Polizeigefängnis in La Plata besuchen.
Mindestens zweimal habe sich ihr dort ein Priester mit dem Namen Christian
von Wernich vorgestellt, schildert sie dem Gericht. Durch ihn habe sie auch
erfahren, dass Polizeichef Camps die Häftlinge für fünf Jahre ins Gefängnis
werfen wolle, dass sie aber die Haft umgehen könnten, wenn sie das Land
verließen. "Mein Bruder erzählte mir, er sei brutal gefoltert worden", so
die Zeugin, und dass bei diesem Gespräch Wernich anwesend gewesen sei. Der
habe ihrem Bruder geistlichen Beistand angeboten - in Wahrheit habe er ihn
ausgehorcht.
Tatsächlich war den sieben versprochen worden, sie könnten freikommen, wenn
sie das Land verließen. Drei von ihnen würden nach Uruguay, drei nach
Brasilien und einer nach Chile ausreisen. Die Rolle von Wernichs, so die
Anklage, sei es gewesen, den Kontakt zu den Familien herzustellen, von
ihnen Geld zu verlangen und die sieben Häftlinge zu begleiten - bis zu
ihrem längst beschlossenen Tod.
"Von Wernich kam zu uns nach Hause", sagt die Zeugin Adriana Idiart, deren
Schwester Cecilia unter den sieben war. "Er brachte uns Briefe von Cecilia
und nahm Essen für sie und die anderen sechs mit." Dann bat er die Familie
um Geld. Er sagte, es sei für Cecilias Pass und dass er sie und die anderen
bis zu ihrer Ausreise begleiten werde. "Der Priester verlangte Geld von
meiner Mutter, um Cecilia aus dem Land zu bringen", so Adriana Idiart. "Sie
gab ihm 1.500 Dollar. Als der Tag der Reise näherrückte, forderte er uns
auf, Kleidung vorzubereiten. Meine Mutter kaufte einen Koffer, Taschen und
neue Wäsche." Sie hat Cecilia nie wiedergesehen.
1984 sagte der ehemalige Polizist Julio Emmed vor der Conadep, der
Kommission über das Verschwinden von Personen, aus, er habe damals die
sieben aus der Haft in La Plata abgeholt und sei dabei gewesen, als sie in
der Nähe der Stadt erschossen wurden. Ihre Leichen seien dann verbrannt
worden. Wernich habe später zu ihm gesagt, er müsse seine Tat nicht bereuen
- es sei "gottgeweihtes Blut" geflossen, Gott vergebe diese Morde. Emmed
selbst kann nicht mehr aussagen, er ist verstorben.
Noch Jahre nach der Diktatur lebte von Wernich in Freiheit. Die Militärs
hatten sich durch zwei Amnestiegesetze Straffreiheit verschafft, auch von
Wernich profitierte davon. Bis 1996 war er Pfarrer in der Provinz Buenos
Aires, dann ging er nach Chile, wo er bis 2003 unter dem Namen Cristian
González als Priester lebte. Dort wurde er von einem argentinischen
Journalisten aufgestöbert. Seit September 2003 sitzt von Wernich in
argentinischer Haft, die Anklage forderte "lebenslänglich".
Plötzlich Unruhe im Saal, Beamte laufen hektisch auf und ab,
Kamerascheinwerfer leuchten auf. Ein Zeuge hat gebeten, den Angeklagten
sehen zu dürfen. Der Richter ordnet an, von Wernich in den Saal zu führen,
er warnt vor demonstrativen Gesten. Die Livebilder werden landesweit
ausgestrahlt, wie immer, wenn etwas Aufsehenerregendes in diesem Prozess
geschieht. In Handschellen wird von Wernich hereingeführt. Groß, grauer
Haarkranz, der Priesterkragen lugt aus der schusssicheren Weste heraus.
Stille. Von Wernich blickt sich um, der Richter fragt, der Zeuge bestätigt:
Das ist der Geistliche, den er während seiner Haft gesehen hat. Nach einer
Minute ist alles vorbei.
Zulema Castro, die Frau von der Plaza de Mayo, schaut zu. Wie stets seit
einem Jahr trägt sie ihr weißes Kopftuch. "Anfangs kamen wir ohne Kopftuch,
es war verboten, und wir mussten es abnehmen", erzählt die 87-Jährige.
Politische Symbole waren im Saal strengstens untersagt. Bis vor einem Jahr.
Im Prozess gegen von Wernichs Vorgesetzten Miguel Etchecolatz ließ das
Gericht die Kopftücher zu mit der Begründung, Argentinien sei nicht nur ein
katholisches Land. So wie das Kreuz im Gerichtssaal einen bedeutenden Teil
der Gesellschaft repräsentiere, so repräsentiere das Kopftuch, das Symbol
der Madres, einen weiteren.
Das Kreuz im Saal hängt noch immer etwas schief. Findet Zulema Castro es
gerecht, dass der Angeklagte den Verteidiger hat, den ihre Kinder nie
hatten? "Ich nenne ihn einen Feigling. Das habe ich dem gesagt, der da
statt seiner sitzt", antwortet sie und deutet auf von Wernichs Verteidiger.
"Aber den Tod wollen wir für niemanden. Denn wir Mütter wissen, was der Tod
bedeutet."
7 Oct 2007
## AUTOREN
Jürgen Vogt
## TAGS
Papst Franziskus
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