# taz.de -- Deutscher Buchpreis: Lesbar und solide | |
> Es geht doch nichts über den Familienroman: Julia Franck erhält den | |
> Deutschen Buchpreis für "Die Mittagsfrau". | |
Bild: Julia Franck: Buchpreis für die Geschichte einer kapuuten Familie. | |
Der Familienroman macht also wieder das Rennen. So wie 2005, als Arno | |
Geiger mit "Es geht uns gut" den Deutschen Buchpreis abräumte. So wie, wenn | |
auch patchworkhaft vertrackt, 2006 bei Katharina Hackers "Habenichtsen". | |
Dass Julia Franck nun für ihren Roman "Die Mittagsfrau" den Deutschen | |
Buchpreis 2007 erhält, könnte bei dem erst zum dritten Mal ausgelobten | |
Preis bereits eine kleine Tradition stiften. In Anlehnung an die berühmte | |
britische Fußballweisheit, nach der Fußball ist, wenn zwei Mannschaften 90 | |
Minuten spielen und am Ende Deutschland gewinnt: Deutscher Buchpreis ist, | |
wenn über allerlei Romanformen diskutiert wird, und am Ende macht der | |
Familienroman das Rennen. | |
Ein Satz in der Begründung der Preisentscheidung durch die | |
FAZ-Literaturkritikerin und Jury-Vorsitzende Felicitas von Lovenberg ist | |
interessant. "Dieser Entscheidung gingen energische und intensive | |
Diskussionen aller Titel voraus; besonders wurde darüber gestritten, was | |
ein deutschsprachiger Gegenwartsroman jenseits von literarischen Moden und | |
Konfektionsware zu leisten imstande ist", sagte sie. Die hochkarätig | |
besetzte Jury hat sich also gestritten; das Schlüsselwort "energisch" weist | |
darauf hin. Nun, das ist ihr Job. Wirklich interessant ist aber, dass der | |
Satz zeigt, wie brüchig und heikel auch unter Fachleuten jegliches | |
Vorverständnis darüber ist, nach welchen Kriterien nun deutschsprachige | |
Romane zu beurteilen sind. | |
Vergisst man für einen Moment, dass man weiß, wie zufällig solche | |
Entscheidungen und eine solche Auswahl in der Shortlist letztlich zustande | |
kommen, kann man den Satz ja mal ernst nehmen. Wozu soll also ein | |
deutschsprachiger Gegenwartsroman imstande sein, jenseits von Moden und | |
Konfektionen? | |
Dass er komisch ist und uns unsere Neurosen vorführt, reicht nicht - sonst | |
hätte man sich für Thomas Glavinic und seinen Roman "Das bin doch ich" | |
entschieden. Dass er ein ganzes Jahrhundert nacherzählt, reicht auch nicht | |
- sonst wäre Michael Köhlmeiers "Abendland" der geeignete Kandidat gewesen. | |
Dass er eine prekäre Liebe im lebenskalten Westberlin der Achtzigerjahre | |
beschwört, ist auch zu wenig - Katja Lange-Müllers "Böse Schafe" hätte | |
sonst zur Verfügung gestanden. Dass ein junges Talent mit dem unbedingten | |
Willen zur Literatur auftritt, ist auch noch nicht preiswürdig - Thomas von | |
Steinaeckers Roman "Wallner beginnt zu fliegen" wäre als Preisträger eh die | |
größte Überraschung gewesen. Und Martin Mosebach ("Der Mond und das | |
Mädchen") bekommt zum Glück ja schon den Büchnerpreis. So musste sich die | |
Jury gar nicht ernsthaft fragen, ob sie die überkommenen Vorstellungen vom | |
konservativ-kulturkritischen Sprachdrechsler noch einmal unterstützen | |
möchte. | |
Nein, die Entscheidung für Julia Franck - deren Roman erzählt, wie der | |
Glückswille einer Frau während Nazizeit und Krieg allmählich zerstört wird | |
und daraus eine kaputte Familie entsteht - ist eine Entscheidung für | |
erzählerische Solidität. Und dafür, dass Literatur weite Bögen schlagen | |
kann und Gefühlslagen erkunden, die unterhalb der manifest ausgetragenen | |
gesellschaftlichen Debatten über Gefühlserbschaften wohl noch in vielen | |
Familien nachwirken. Es ist aber auch eine Entscheidung dafür, Literatur | |
nicht nach dem in ihr wirkenden Vorwärtsweisenden zu befragen. | |
So lesbar Julia Francks Roman ist, ihn als Repräsentanten der | |
deutschsprachigen Literatur auszuwählen, zeigt deutlich das immer drohende | |
Grundproblem dieser Buchpreis-Veranstaltung: Debatten über Gegenwartsromane | |
sind natürlich gut. Aber: Jenseits von Moden und Konfektionsware - klingt | |
das nicht schon sehr nach Gediegenem? Nach der Anwendung des | |
Manufactum-Satzes auf die Literatur: Es gibt sie noch, die guten Bücher? | |
Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" wird nun oft verkauft werden, aber | |
auch mit dem Ruf leben müssen, ein bisschen zu gut auf die Ansprüche nach | |
gehobener Lesbarkeit zu passen. | |
Aber letztlich weiß man um die Zufälligkeit einer solchen Entscheidung. | |
Zwei der bislang am meisten diskutierten Romane des Herbstprogramms hat die | |
Jury gar nicht erst in die engere Wahl gezogen: Michael Kleebergs Roman | |
"Karlmann" und Ulrich Peltzers "Ein Teil der Lösung". Dabei ist zumindest | |
"Karlmann" auch eine Art Familienroman. | |
9 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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