# taz.de -- Chinaexperte David Shambaugh: "Es gibt Reformen in Chinas KP" | |
> Am Montag beginnt der 17. Parteitag der chinesischen Kommunistischen | |
> Partei. Im Westen gilt Generalsekretär Hu Jintao als Apparatschik - doch | |
> der Eindruck täuscht, sagt Shambaugh | |
Bild: Rätselhafter Parteiapparatschik oder machtpolitischer Stratege? Hu Jinta… | |
taz: Herr Shambaugh, am Montag beginnt in China der 17. Parteitag der | |
Kommunistischen Partei. Es gibt keinen Zweifel, dass Hu Jintao im Amt des | |
Generalsekretärs bestätigt wird. Bevor er 2002 in dieses höchste Parteiamt | |
aufstieg, fragten westliche Medien spöttisch "Hu is who?". Welches Bild | |
haben Sie heute von Chinas mächtigstem Mann? | |
David Shambaugh: Hu ist genau so, wie Beobachter ihn damals einschätzten: | |
ein rätselhafter Parteiapparatschik. Er lässt sich nicht in die Karten | |
schauen, ist sehr still und extrem vorsichtig. Er hat sein ganzes Leben | |
innerhalb des Parteiapparates gearbeitet. Daraus schließen viele, dass er | |
keine Visionen für das Land hat. | |
Und - stimmt das? | |
Da ist, oberflächlich betrachtet, etwas dran, aber es ist komplexer. Hu ist | |
machtpolitisch sehr geschickt mit der Jiang-Zemin-Gruppe, die das Politbüro | |
prägte, umgegangen. Er hat mit ihr zusammengearbeitet, einige Mitglieder | |
dieser Gruppe jedoch erfolgreich isoliert. 2002 war zudem ein Machtkampf | |
zwischen Hu und Vizepräsident Zeng Qinghong vorausgesagt worden - das ist | |
nicht geschehen. | |
Hat Hu denn in den letzten fünf Jahren die KP verändert? | |
Ja, auch wenn das leicht übersehen wird. In der Partei tut sich etwas. 2005 | |
und 2006 mussten alle 72 Millionen KP-Mitglieder eine 18-monatige | |
Auswertung inklusive Kritik und Selbstkritik durchmachen. 50.000 wurden aus | |
der Partei ausgeschlossen. Zugleich wurden verstärkt Geschäftsleute, | |
Intellektuelle und Technokraten rekrutiert, um die soziale Basis zu | |
verbreitern. Die Partei ist nicht mehr so autoritär, sklerotisch und | |
dogmatisch wie früher. Hu ist sicher nicht so laut und spritzig wie sein | |
Vorgänger Jiang Zemin, aber sehr effektiv. | |
Hat er auch Schwächen? | |
Ja, in der internationalen Politik. Hu, der ja KP-Generalsekretär, | |
Staatspräsident und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist, hat | |
China zwar stark im Ausland repräsentiert. Aber er hat keine erkennbare | |
Vision von Chinas Rolle in der Welt. | |
Bislang hat man im Westen kaum den Eindruck, dass Hu die nötigen Reformen | |
zur Korruptions- und Armutsbekämpfung vorantreibt. Täuscht das? | |
Es gibt in der Tat Reformen, die im Westen zu wenig beachtet werden. Sie | |
finden eher im Stillen statt, wirken sich aber positiv aus. Auf der lokalen | |
Ebene darf zum Beispiel die Gesellschaft nun die Ernennung von Parteikadern | |
kommentieren. Will die Partei einen neuen Kader ernennen, dürfen die | |
lokalen Kader wie die Basis in dem betroffenen Gebiet zwei Wochen lang | |
Stellung zu dieser Person nehmen. | |
Und das macht die Partei durchlässiger für Initiativen von unten? | |
Dieses soziale Feedback wirkt sich positiv aus. Skeptisch betrachtet kann | |
man sagen, dass die Partei damit frühzeitig Opposition identifizieren kann. | |
Es ist aber auch eine Möglichkeit, zu hören, was die Bedürfnisse der | |
Bevölkerung sind, und entsprechende Politik zu machen. Zudem werden die | |
Leistungen der 45 Millionen Kader im Staatsdienst und der 9 Millionen in | |
der Parteiorganisation evaluiert. So werden öffentliche Verwaltungsnormen | |
in den Partei- und Staatsapparat aufgenommen und Effizienz und | |
Regierungsfähigkeit erhöht. | |
Werden denn beim 17. Parteitag wesentliche Entscheidungen fallen? | |
Es wird vor allem um Personalentscheidungen an der Spitze gehen. Im | |
Zentralkomitee werden aus Altersgründen bis zu 60 Prozent der Mitglieder | |
ausgetauscht. Wir werden viele neue Gesichter aus der sogenannten 5. | |
Führungsgeneration im Ständigen Ausschuss des Politbüros sehen. An | |
politischen Entscheidungen erwarte ich von diesem Kongress nicht viel. Wir | |
werden viel von "harmonischer Gesellschaft", von "konsultativer Demokratie" | |
und vom "wissenschaftlichen Entwicklungskonzept" hören. Das sind Hus | |
innenpolitische Programme. Allerdings wurden sie bisher nicht detailliert | |
ausgearbeitet. Und es wurden auch zu wenig Mittel investiert, um sie | |
rhetorisch ansprechend unter die Leute zu bringen. | |
Wie interpretieren Sie Hus "harmonische Gesellschaft" und | |
"wissenschaftliches Entwicklungskonzept"? | |
Das "wissenschaftliche Entwicklungskonzept" hat vor allem mit der Führung | |
der Partei und der Führung der Kader in ihr zu tun und dass diese | |
leistungsorientierter und korruptionsfrei erfolgen soll. Die "harmonische | |
Gesellschaft" ist eine sanfte Abkehr von seinem Vorgänger Jiang Zemin. Der | |
hatte eine Politik des Wirtschaftswachstums um jeden Preis verfolgt und | |
dabei auf die Küstenregionen und Unternehmer gesetzt. Die "harmonische | |
Gesellschaft" erkennt dagegen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in China | |
an. Hu erkennt also zumindest rhetorisch die Hauptsorgen an, die die | |
Chinesen heute beschäftigen: Armut und Ungleichheit. | |
INTERVIEW: SVEN HANSEN | |
11 Oct 2007 | |
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China | |
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