# taz.de -- Klimakompensation: Ablasshandel mit Ökosünden blüht | |
> Das Geschäft mit der Klimakompensation ist ein Wachstumsmarkt. Doch wenn | |
> es zum Marketing-Argument wird, ist der Umwelt nicht immer gedient. | |
Bild: Auch der Papst fliegt nunmehr klimaneutral: Flugzeug vor dem Mond | |
Im Vatikan kennen sie sich mit Ablasshandel aus. Vor einigen Wochen | |
verkündete der katholische Zwergstaat, von nun an klimaneutral zu sein. | |
Nicht dass man im Vatikan jetzt aufs Heizen verzichten würde - die | |
CO2-Sünden soll ein neuer Wald ausgleichen. Ein ungarisches Unternehmen | |
will so viele Bäume pflanzen, dass damit der gesamte CO2-Ausstoß des | |
Vatikan absorbiert wird. | |
Nicht nur der Vatikan - immer mehr Unternehmen entdecken den Reiz der | |
"Klimaneutralität". Das Prinzip heißt Kompensation: Anstatt selbst auf | |
CO2-Emissionen zu verzichten, bezahlt man jemand anderen für seinen | |
Verzicht. Mit dem Geld wird dann, üblicherweise in Entwicklungsländern, CO2 | |
vermieden, eingespart oder absorbiert. Klimaneutralität könnte zu einem der | |
wichtigsten Marketing-Argumente der Zukunft werden. Wenn die Kundschaft | |
klimabewusster wird, lassen sich Bücher, DVDs, Flüge, Konferenzen, | |
Unternehmen, gar Autos unter diesem Label besser verkaufen. Nicht zuletzt | |
deshalb wächst der Markt für freiwillige Klimakompensation rasant. | |
Einheitliche Zahlen gibt es nicht. Für 2006 wird er jedoch auf mindestens | |
100 Millionen Euro geschätzt. Dieses Jahr dürfte es bereits ein Vielfaches | |
davon sein. | |
Die Zahl der Anbieter steigt ständig: Sie sind gemeinnützig organisiert wie | |
die Schweizer Stiftung MyClimate oder kommerziell wie die Berliner Climate | |
Company. Sie kompensieren Flüge wie Atmosfair oder die Emissionen von | |
ganzen Unternehmen wie die Allianz-Ausgründung 3C. Es ist ein Markt mit | |
Licht und Schatten. Er zieht Menschen an, die mit Umweltschutz bislang | |
wenig am Hut hatten: Sie verkaufen den Traum vom reinen Klimagewissen. Ihre | |
Angebote erwecken den Eindruck, als könnten wir alle klimaneutral werden | |
und trotzdem genauso fliegen, fahren oder einkaufen wie bisher. | |
Einer, der genau das eigentlich verhindern wollte, ist Dietrich Brockhagen, | |
der Gründer der Organisation Atmosfair, die Emissionen aus dem Flugverkehr | |
kompensiert. Brockhagen ist ein Pionier im Geschäft mit der | |
Klimakompensation - und gleichzeitig einer der größten Kritiker seines | |
eigenen Geschäftsmodells. Seine Gäste empfängt der 40-Jährige in T-Shirt | |
und Sandalen, die Wände in seinem kleinen, voll gestellten Büro in | |
Berlin-Mitte sind kahl und weiß. Das einzige, was nicht unbedingt zur | |
Arbeit benötigt wird, ist eine kleine Palme in der Ecke. Was die Zahlen | |
angeht, könnte man Atmosfair für einen boomenden Start-up halten: 500 | |
Prozent Wachstum, mehr als eine Million Euro Umsatz. | |
Tatsächlich ist Atmosfair eine GmbH mit Gewissensbissen. Der Werbeflyer | |
liest sich fast wie der Beipackzettel eines Medikaments. Risiko und | |
Nebenwirkung der Medizin Klimakompensation: keine Verhaltensänderung beim | |
Patienten. Atmosfair schreibt: "Jedes Flugticket finanziert das bestehende | |
Transportsystem und gibt keinen Anreiz zu dessen umweltverträglichen Umbau. | |
Deswegen ist Atmosfair ein wichtiger Beitrag zur Schadensbegrenzung - nicht | |
mehr und nicht weniger." Um sicher zu gehen, hat Brockhagen, der aus der | |
Umweltbewegung kommt, eine Studie anfertigen lassen. Er wollte wissen, ob | |
sich das Angebot von Atmosfair "flugsteigernd" auf das Verhalten | |
klimabewusster Menschen auswirkt. Das Ergebnis hat ihn beruhigt: Drei | |
Viertel der Kunden würden eigentlich lieber verzichten, als zu | |
kompensieren. Überzeugte Nichtflieger fliegen nicht auf einmal mehr, nur | |
weil es Atmosfair gibt. | |
Das Wort "klimaneutral" ist bei Atmosfair ein Tabu. "Es klingt zu sehr | |
nach: Problem gelöst", sagt Brockhagen. Er würde seinen Kunden das Wort | |
nicht verbieten, "aber eigentlich ist es nicht richtig, weil es suggeriert, | |
dass Fliegen dem Klima nicht schadet." Andere Unternehmen haben da weniger | |
Skrupel. Zum Beispiel die Climate Company. Hinter ihr verbirgt sich Michael | |
Kroehnert, 51 Jahre alt, kurze graue Haare, Anzug. Kroehnert residiert in | |
einem großen Bürogebäude in Berlin-Charlottenburg, es riecht nach | |
Ledersofa. An den Wänden hängen DIN-A4-große, bunt verzierte Pappzettel, | |
die von weitem aussehen wie Siegerurkunden eines Kegelwettbewerbs. Schaut | |
man genauer hin, kann man zum Beispiel einen roten Oldtimer-Flitzer | |
erkennen, viel Kleingedrucktes und die Überschrift "Klima-Zertifikat". Das | |
hat er an 110 Oldtimer-Fahrer verkauft, die daraufhin ihre Spritztour um | |
Berlin "klimaneutral" nennen konnten. | |
Kroehnert war früher Marketingleiter eines kleinen Energieunternehmens. | |
Damals ist er als Erster auf die Idee gekommen, den Leuten einen | |
Farbfernseher zu schenken, wenn sie einen Stromvertrag für drei Jahre | |
abschließen. Seitdem glaubt er, dass Kunden einen "anfassbaren Nutzen" | |
wollen. Viel Geld verdient Kroehnert mit seiner Climate-Company bis jetzt | |
noch nicht. Aber seine neueste Idee soll das ändern: die Klima-Vignette. | |
Dafür arbeitet er mit einer Gruppe von Autohäusern zusammen, die große | |
Stop-CO2-Schilder aufgestellt haben. Wer sich dort einen Mazda oder Suzuki | |
kauft, bekommt die Klimakompensation von 15.000 Kilometern Autofahrt gleich | |
mitgeliefert. Anfassen können die Kunden: eine Vignette für die | |
Windschutzscheibe, ein Registrierungskärtchen mit Kalender fürs | |
Portemonnaie, eine Urkunde für die Wohnzimmerwand. | |
Klimaschützer wie Karsten Smid von Greenpeace nennen das: den zweiten | |
Schritt vor dem ersten machen: "Man muss doch erst ein sparsames Auto | |
kaufen, danach kann man gerne noch kompensieren." Die wenigsten | |
Umweltschützer halten Klimakompensation für grundsätzlich verwerflich, auch | |
nicht, wenn damit Geld verdient wird. Die Grenze liegt dort, wo | |
Kompensation kontraproduktiv wird, weil sie klimaschädliches Verhalten | |
aufrechterhält. | |
Die Bostoner Tufts-Universität hat Anfang des Jahres 13 Anbieter untersucht | |
und nur vier empfohlen: Atmosfair, MyClimate, die US-Firma NativeEnergy und | |
ClimateFriendly aus Australien. Von anderen rät sie explizit ab. Die | |
Gründe: zu hohe Verwaltungskosten, falsche CO2-Berechnungen, keine | |
effizienten Projekte. Im britischen Umweltministerium charakterisiert man | |
den Markt gar als "wilden Westen" und plant ein einheitliches System zur | |
Emissionsberechnung samt Gütesiegel. Auch der Leiter der Klimaabteilung im | |
Umweltbundesamt, Benno Hain, denkt darüber nach, ob es nicht externe | |
Prüfungen für Kompensationsanbieter geben sollte. | |
Da ist zunächst die Frage, wie viel CO2 berechnet wird. Wer bei Easyjet | |
einen Flug von Berlin nach Barcelona bucht und im Internet den | |
"CO2-Ausgleich" anklickt, kann dort 124 Kilogramm CO2-Ausstoß für 2,39 Euro | |
kompensieren. Die gleiche Angabe bei Atmosfair ergibt eine Klimawirkung von | |
400 Kilogramm CO2. Der Unterschied: Atmosfair berechnet nicht nur den | |
Kerosin-Verbrauch, sondern auch die in CO2-Äquivalente umgerechnete | |
Klimawirkung von Stickoxiden und Kondensstreifen. Auch Flugzeugtyp, | |
Auslastung, Warteschleifen und Flughöhe werden einkalkuliert. | |
Selbst wenn der CO2-Ausstoß einheitlich berechnet würde, würden sich die | |
Anbieter im Preis deutlich unterscheiden: Bei Atmosfair kostet die Tonne | |
CO2 ungefähr 20 Euro, bei "Prima-Klima-weltweit" dagegen nur 10 Euro. | |
Entscheidend dafür ist, was mit dem Geld passiert: Atmosfair investiert in | |
teure Energieprojekte, die unter Beachtung hoher sozialer Standards | |
Klimagase in Entwicklungsländern einsparen: zum Beispiel ein | |
Solarküchen-Projekt in Indien oder eine Biogas-Anlage in Thailand. | |
"Prima-Klima" lässt Bäume pflanzen, was weitaus billiger ist - und | |
umstritten: Denn niemand kann garantieren, dass die Bäume auch in hundert | |
Jahren noch stehen und CO2 binden. | |
Uneinheitliche Preise | |
Noch teurer als bei Atmosfair ist die Klimakompensation bei der Climate | |
Company, aber das liegt an dem ganzen "Drumherum", wie Geschäftsinhaber | |
Kroehnert erklärt. 59,90 Euro kostet das "Klima-Zertifikat" für eine Tonne | |
kompensiertes CO2 hier. Auf einer gut versteckten Seite ihres | |
Internetauftritts legt die Climate Company offen, wie dieser Preis zustande | |
kommt: Ungefähr 16 Euro kostet ein sogenanntes VER-Zertifikat für eine | |
Tonne Emissionsreduzierung bei einem Zwischenhändler. Der Rest geht drauf | |
unter anderem für den Druck des "Klima-Zertifikats", Website, Versand, | |
Verwaltung, Werbung, Steuer oder Gewinn. Nur 27 Prozent fließen in ein | |
Projekt. Bei Atmosfair sind es 88 Prozent. "Rechnerisch mag das richtig | |
sein", sagt Kroehnert. Aber er würde ja schließlich keine Tonne CO2 | |
verkaufen, "sondern ein Klimageschenk", auf buntem Papier mit schönen | |
Bildern. | |
Etwas günstiger als das "Klima-Zertifikat" verkauft Kroehnert die | |
"Klima-Vignette" für Autofahrer. Das liegt unter anderem daran, dass 10 | |
Prozent der CO2-Menge hierfür aus dem Europäischen Emissionshandel stammen. | |
An der CO2-Börse kostet das Emissionsrecht für eine Tonne derzeit nur | |
wenige Cent. Zumindest für die Zeit bis 2008 hatten die Regierungen der | |
Industrie mehr Emissionsrechte geschenkt, als diese verbrauchen konnte. | |
Alle Experten sind sich einig: Wer heute überschüssige Emissionsrechte | |
erwirbt, kauft heiße Luft, dem Klima hilft das nicht. Als hauptamtlicher | |
Emissionshändler weiß Kroehnert das. Aber als Marketing-Fachmann weiß er | |
auch: "Die Leute wollen auch das Gefühl haben, zu Hause CO2 einzusparen." | |
Einfach zu Hause einsparen - das versucht auch Atmosfair-Chef Brockhagen | |
seinen Kunden klarzumachen. Aber Brockhagen verzichtet dafür auf Einnahmen | |
für seine Projekte. Neulich rief der Chef einer Druckerei bei ihm an, weil | |
er klimaneutrale Bücher drucken wollte. Er riet ihm, sich effizientere | |
Maschinen zu kaufen und sie mit CO2-freiem Ökostrom zu betreiben. | |
Brockhagen sagt: "Es ist doch besser, das Problem an der Wurzel zu packen, | |
als das Geld nach Indien zu geben." | |
15 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Nikolai Fichtner | |
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