# taz.de -- Hannelore Elsner: "Ich war grauenvoll" | |
> Schauspielerin Hannelore Elsner im taz-Gespräch darüber, wie es ist, sich | |
> im Kino zu sehen, über die Angst vor einem Blackout und die Versöhnung | |
> mit sich selbst. | |
Bild: "Ich bin nicht austauschbar": Schauspielerin Hannelore Elsner | |
taz: Frau Elsner, in Ihrem neuen Film "Vivere" verliert die Figur, die Sie | |
spielen, ihren Job. Als sie ihren Ausstand gibt, sitzt auf ihrem Platz | |
schon eine Kollegin, die so tut, als hätte sie dort schon immer gesessen. | |
Für wie austauschbar halten Sie sich als Schauspielerin? | |
Hannelore Elsner: Ich bin nicht austauschbar. Wenn eine andere | |
Schauspielerin die Gerlinde gespielt hätte, wäre es ein anderer Film | |
geworden. | |
Aber gedreht worden wäre der Film trotzdem. | |
Grundsätzlich haben Sie recht. Wenn ein Film unbedingt gedreht werden soll | |
und ich nicht kann, spielt die Rolle eine andere. Ist doch klar. Aber in | |
diesem Fall war die Rolle für mich geschrieben. Die Regisseurin wollte mich | |
und niemanden sonst. Das hat mich so ergriffen, dass ich unbedingt dabei | |
bleiben wollte. Es dauerte ja vier Jahre, bis der Film verwirklicht werden | |
konnte. | |
Der Regisseur Oliver Hirschbiegel, mit dem Sie "Mein letzter Film" gedreht | |
haben, hat über Sie gesagt, dass Sie jeden Morgen verzweifelt am Drehort | |
erschienen wären - in der festen Überzeugung nichts mehr zu können. Das | |
klingt ein bisschen kokett. Andererseits haben Sie in einem Interview | |
gesagt: "Mein Gott, dass ich gut bin, weiß ich jetzt allmählich!" Wie passt | |
das zusammen? | |
Wenn Sie das so rauspicken und aufspießen, passt das natürlich überhaupt | |
nicht zusammen. Wie furchtbar! Wenn ich hier so nebenbei sagen würde, mein | |
Gott, dass ich ziemlich gut bin, das weiß ich allmählich, klingt das gleich | |
ganz anders, als wenn die gleichen Worte aus dem Zusammenhang gerissen im | |
Raum stehen. Und bei Oliver Hirschbiegel war ich ganz allein, habe einen | |
Monolog gespielt. Jeden Morgen bin ich mit einem Kopf voll von 30 auswendig | |
gelernten Seiten am Drehort erschienen. Natürlich stand ich manchmal da und | |
dachte, ich weiß nichts mehr. Es ist alles weg. Glauben Sie mir: Das ist | |
keine Koketterie, das ist Angst, reine Angst. | |
Hatten Sie während der Dreharbeiten je einen Blackout? | |
Ja, einmal, in der Mitte des Films. Aber weil Oliver Hirschbiegel ein so | |
wunderbarer Mensch und Regisseur ist und ich so ein Vertrauen hatte, stand | |
ich einfach da - und habe gewartet. Und das konnte meine Figur eben auch. | |
Ich habe also nicht als Hannelore Elsner gewartet, sondern als sie. Und auf | |
einmal war der Text wieder da. Das hat er dringelassen. Ein ganz toller | |
Moment. | |
Im Gegensatz zu vielen Ihrer Kollegen geben Sie zu, Kritiken zu lesen. | |
Ich lese alles und glaube niemandem, dass er es nicht tut. | |
Warum lesen Sie alles? | |
Vielleicht um die Kontrolle nicht zu verlieren. Ich weiß ja, wer ich bin | |
und wie ich bin und fühle mich in meiner Haut eigentlich sehr wohl. | |
Manchmal fühle ich mich allerdings ganz verloren und frage mich: Oh Gott, | |
wie nehmen die Menschen mich wahr? Deswegen lese ich nicht nur Kritiken, | |
sondern auch den ganzen anderen Mist. | |
Auch um zu sehen, ob man Sie noch liebt? | |
Die schönsten Liebesbekundungen für mich sind volle Kinos - meinetwegen | |
auch hohe Einschaltquoten. Ich glaube, bei Kritikern geht es nicht um | |
Liebe. | |
Worum sonst? Sehr häufig werden doch Schauspieler nicht vorrangig gefeiert, | |
weil sie besonders gut sind, sondern weil bestimmte Kritiker einen Narren | |
an Ihnen gefressen haben. | |
Das stimmt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schön es ist, wenn man das | |
Gefühl hat, dass man ankommt. Ich gebe mich ja in jeder Rolle hin, gebe | |
mich preis. Dabei interessiert mich vor allem, dass ich dem Text gerecht | |
werde. Während ich spiele, denke ich doch nicht daran, ob ich irgendwelche | |
Menschen erreiche. Und wenn der Film fertig wird, bin ich ja schon lange | |
weg. "Vivere" habe ich vor kurzem in New York zum ersten Mal gesehen. Und | |
das ist immer ganz merkwürdig. Einen Film, in dem ich mitgespielt habe, | |
kann ich beim ersten Mal gar nicht erkennen, wenn ich ihn sehe. Um die | |
Zusammenhänge wahrzunehmen, in denen ich spiele, muss ich ihn oft dreimal | |
gucken. | |
Wie häufig haben Sie "Vivere" bisher gesehen? | |
Zweimal. Beim ersten Mal war ich entsetzt. Ich fand mich ganz grauenvoll. | |
Es ist ein Schock, so, als würde man zu lange in einen Spiegel schauen. Wer | |
macht das schon?! Ich bin sehr ungnädig mit mir, sehr grausam. Wenn ich | |
ältere Filme noch mal sehe, versöhne ich mich aber meistens mit mir. | |
Sind Sie umso versöhnlicher gestimmt, je älter der Film ist? | |
Wenn ich Filme sehe, in denen ich 19 war, sehe ich mich als kleines | |
Mädchen, das ich in den Arm nehmen möchte. Es ist ein ganz zärtliches | |
Gefühl, weil ich auch die Angst wieder spüre, das Verlorensein, wenn man | |
noch neu ist in diesem Beruf. | |
Mit Verlaub gesagt, Frau Elsner: Sie sind schon ewig im Geschäft | |
Sie müssen sich überhaupt nicht entschuldigen. | |
aber so richtig erfolgreich sind Sie erst seit "Die Unberührbare". Das war | |
2000. Da waren Sie 58, in einem Alter also, in dem Kolleginnen sich darüber | |
beklagen, dass ihnen kaum noch attraktive Rollen angeboten werden. Haben | |
Sie Angstdavor, dass es Ihnen irgendwann ähnlich ergehen wird? | |
Ich habe vor, noch einige Filme zu drehen. Wenn ich dauernd solche Ängste | |
hätte, würde ich sterben. Das wäre grauenvoll. Manchmal habe ich die aber | |
schon. Die Frage, was kommt jetzt, kehrt immer wieder, in jeder Phase des | |
Lebens. In meinem Beruf weiß man nie, was nächstes Jahr ist. Man muss das | |
nicht negativ sehen, kann sich ja auch darüber freuen, dass immer wieder | |
Überraschungen auf einen zukommen. Natürlich denke ich manchmal, dass die | |
wunderbaren Rollen auch früher hätten kommen können. Allerdings hätte ich | |
früher dafür keine Zeit gehabt. Da war ich viel zu viel mit meinem | |
Privatleben beschäftigt. | |
Im vergangenen Jahr haben Sie den Bayerischen Fernsehpreis für Ihr | |
Lebenswerk erhalten. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung? | |
Es war schön, geehrt zu werden. Ich war stolz und dachte, schade, dass | |
meine Mutter das nicht sehen kann. So ein Preis ist wie ein gutes Zeugnis. | |
Ist es nicht seltsam, einen Preis fürs Lebenswerk zu bekommen, während man | |
noch fleißig am Lebenswerk arbeitet? Haben solche Ehrungen nicht etwas | |
unangenehm Endgültiges? | |
Nein. Ich habe den Preis eher als Anfang gesehen, als Anfang der Ehrungen | |
(lacht). | |
Also auf keinen Fall als Etappenziel oder gar Schlusspunkt? | |
Um Gottes Willen: Nein! Ich bin immerhin eine der jüngsten | |
Ehrenpreisträgerinnen überhaupt. | |
Sie haben vor ein paar Jahren mal gesagt: "Ich bin noch nicht wirklich | |
alt." Bleiben Sie dabei? | |
Es ist schon merkwürdig, dass ich immer nach meinem Alter gefragt werde. | |
Ich wurde mit 24 schon gefragt, wie es ist, 25 zu werden und mit 28, ob ich | |
Angst hätte vor dem Alter. | |
Vielleicht weil Sie - entschuldigen Sie den esoterischen Begriff - eine | |
"alte Seele" haben, in Ihrem Spiel also schon in jungen Jahren Abgründe | |
sichtbar waren? | |
Das kann wirklich sein. Ich finde das einen sehr schönen Gedanken. Die | |
Abgründe? Ich denke immer, wenn man die Dinge wirklich erlebt und zulässt | |
und nicht versteinert, wird man durchsichtig und durchlässig - auch für die | |
Abgründe, die in jedem stecken. Dann werden sie sichtbar für andere. Ich | |
habe ja schon wahnsinnig viel erlebt - auch an Schmerzen. | |
Verzeihung, schon wieder ein Zitat: "Ich weiß heute, dass ich eine | |
Zuneigung zu Sisyphos habe." Wissen Sie noch, was Sie damit gemeint haben? | |
Das war in einem Interview zu "Mein letzter Film". Es ist mein Beruf, immer | |
wieder das Gleiche zu tun. Das mag ich sehr. Die Sehnsucht nach | |
Vollkommenheit treibt mich an. Deswegen muss ich wie ein Klavierspieler | |
ununterbrochen üben. Meine Lehrzeit war am Kurfürstendamm-Theater hier in | |
Berlin, wo ich ein Stück en suite 365-mal gespielt habe, ein ganzes Jahr, | |
samstags und sonntags sogar zweimal. Ich habe es geliebt, in dem immer | |
wieder Gleichen immer wieder was Neues zu entdecken. | |
Sie sehen Sisyphos also nicht als tragische Figur? | |
Nein. In meinem Beruf muss man immer und immer wieder den Stein nach oben | |
wälzen. Dann genießt man die Aussicht - und taucht wieder ab. Man kann | |
nicht immer oben bleiben. | |
INTERVIEW: DAVID DENK | |
18 Oct 2007 | |
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