Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Willam Gibsons neuer Roman: Testament der Angst
> Mode, Verschwörungen, kommunistische CIA-Agenten. In seinem neuen Roman
> "Spook Country" fragt Gibson, wie sich mit der eigenen Panik umgehen
> lässt.
Bild: Alles ist in Blau und Rot getaucht und sagt: „Irgendwie Kunst.“ Chris…
Insgeheim definiert sich jede Epoche durch die psychischen Defekte, die sie
produziert. Gegenwärtig sind das die narzisstische Persönlichkeit und die
Angststörung. Erstere ist durch den ungebremsten Drang zu Selbstdarstellung
gekennzeichnet, mit der man ganz hervorragend durchs Leben zu kommen
scheint. Letztere äußert sich in Angstattacken, die im allgemeinen als
behandlungsbedürftig gelten. Dabei könnte man sie als angemessene Reaktion
auf das Leben in ständigen Konkurrenzverhältnissen lesen: Wer unter
Angststörungen leidet, leidet womöglich auch am emotionalen wie sozialen
Irrsinn, den der Narzissmus der anderen erst produziert.
William Gibsons neuer Roman stellt jetzt, ohne das je ausdrücklich zu
sagen, aber dennoch klar und deutlich noch einmal die These auf, dass die
angstgestörten Zeitgenossen die weitaus sympathischeren sind. Gibson hat
ein optimistisches Buch über die Angst geschrieben, in dem jeder Satz so
genau und elegant ist, als ginge es um alles.
"Spook Country" ist ein eher untypischer Spionagethriller und Gibsons
zweiter Roman, der nicht mehr als Science-Fiction beschrieben werden kann.
Er spielt im Hier und Jetzt, bedient sich aber derselben erzählerischen
Mittel und Sichtweisen, die Gibsons Cyberpunk-Romane seit jeher so
einzigartig machen. In seiner in den Achtzigern veröffentlichten
Neuromancer-Trilogie gelang es ihm durch Zuspitzung und Extrapolation wie
keinem anderen, die neuen Verhältnisse zerfallender nationalstaatlicher
Macht, multinational agierender Unternehmen und lichtschneller
Datentransfers verständlich zu machen. Und auch in seinem neuen Roman
erweist sich Gibson einmal mehr als Schüler von William Burroughs und
Marshall McLuhan: Erstens ist die Kontrolle tatsächlich überall, und
zweitens wird das globale Dorf wie jede tribalistische Gemeinschaft immer
wieder von Wellen der Panik erfasst.
"Spook Country" bedient sich eines McGuffins, wie Alfred Hitchcock
handlungsmotivierende Objekte ohne eigene inhaltliche Bedeutung genannt
hat. Es ist ein ominöser Container, der auf den Weltmeeren hin und her
verschifft wird. Sein Inhalt ist anscheinend von beträchtlichem Wert für
eine mafiöse Clique, die aus illegalen Operationen im Umfeld des
Irakunternehmens Profit schlägt. Das allerdings bleibt nicht unbemerkt und
führt zu komplexen Verwicklungen. Dem Leser bleibt lange unklar, welche
Absichten die verschiedenen Parteien verfolgen. Die Auflösung der Frage,
warum alle hinter diesem Container her sind, erweist sich am Ende des
Romans sogar als banal. Eben das ist aber auch der Witz: Denn anders, als
uns die Verschwörungstheorien glauben machen wollen, steht hinter den
Ereignissen nur selten das Ungeheuerliche und Monströse.
Natürlich lässt sich die Weltgeschichte als Kampf zwischen Verschwörungen
und Gegenverschwörungen lesen, aber nichts davon ist für Gibson
geheimnisvoll. Es gibt reaktionäre Verschwörungen zugunsten von
Partikularinteressen und revolutionäre Verschwörungen zugunsten einer
vernünftigen Ordnung, wobei die politischen Etikette je nach Standpunkt des
Betrachters ausgetauscht werden können - und bei Gibson ohnehin keine Rolle
spielen. Er liest die gegenwärtigen Verhältnisse in den USA als "kalten
Bürgerkrieg", deutet aber nur an, worum in diesem eigentlich gestritten
wird.
Sicher ist, dass in seiner Geschichte ein rechtschaffener Ex-CIA-Mann (der
womöglich sogar Kommunist ist) seine alten Kontakte nutzt, um gegen
korrupte Machenschaften im Staatsapparat vorzugehen. Dort hat manch einer
vergessen, was einst die oberste Maxime amerikanischer Gesetzeshüter war:
To serve and protect. Das Fußvolk der Bösewichter hat stattdessen seine
eigene Verschwörungstheorie darüber verinnerlicht, wer an Amerikas
Niedergang schuld ist: der "kulturelle Marxismus" der Frankfurter Schule -
die Juden.
Es kommt also darauf an, wie man mit der Paranoia umgeht: Wie reagieren die
Menschen auf ihre Ängste, auf die Desintegration des Sozialen, die
Fragilität des eigenen Ichs in einer sich im Fluss befindlichen Welt? In
Gibsons Romanen wie in der Wirklichkeit stabilisieren Menschen, die es
vorziehen, der Paranoia nicht zu verfallen, ihr Selbst mittels Produkten,
Marken, Erzählungen, Riten und psychogenen Substanzen. In "Spook Country"
wird ein dichtes Netz von Anspielungen gesponnen, und manches, was den
Alltag Anfang des 21. Jahrhunderts schöner, besser, erträglicher macht,
auch ganz konkret beim Namen genannt. Da kommen mit geografischen Daten
vollgepackte iPods vor, verschlüsselte SMS-Botschaften und virtuelle
GPS-Kunstwerke, in denen River Phoenix gedacht wird. Die Rede ist von den
hippen Klamotten der Pariser Marke APC, von T-Shirts mit den Logos längst
toter Dotcom-Firmen, von den GSG-9-Stiefeln von Adidas, den Mänteln des New
Yorker Herrenausstatters Paul Stuart, Schaufensterauslagen von Yamamoto in
Manhattan (im Unterschied zu den Schaufenstern von Havanna) und immer
wieder vom grauen Chic des Militärdesigns. VW-Käfer kommen genauso vor wie
American-Spirit-Zigaretten, und manchmal fragt sich wer, ob jemand anders
nicht zu viel raucht.
An der Wurzel jeder coolen Ware wohnt das Geheimnisvolle, glaubt Gibson.
Doch wenn die Angst wirklich hochkommt, stößt auch die heilsame Wirkung des
Konsums an ihre Grenzen. Die drei Protagonisten von "Spook Country", deren
Handlungsstränge sich überkreuzen und schließlich aufeinanderprallen, haben
ihre je eigenen Strategien entwickelt, um mit der Panik umzugehen. Hollis
Henry war einst Bassistin in einer Band, die dank Internet nach ihrer
Auflösung mehr Fans hat als je zuvor. Sie hat ihr Geld beim Dotcom-Crash
verloren, muss sich nun als Journalistin durchschlagen und findet sich in
Abhängigkeit eines undurchsichtigen Selfmademans wieder, der einer
erfolgreichen PR-Agentur vorsteht. Hollis bekämpft ihre Angst mit
meditativem Tiefschlaf und verlässt sich ansonsten auf ihre Freunde. Der
junge Tito wiederum ist als Bote bei klandestinen Aktionen tätig und hat
andere Talente entwickelt, um mit der Angst umzugehen, die vom Verlust des
Vaters und des Zuhauses herrührt und uns vielleicht von Gibson selbst
erzählt: Dessen Vater starb, als er 6, seine Mutter, als er 18 war. Kurz
darauf floh er nach Kanada, um nicht in Vietnam kämpfen zu müssen.
Sein Held Tito stammt aus einer chinesisch-kubanischen, im New Yorker Exil
lebenden Familie von Geheimdienstlern, die ihr Geschäft nun als
Familienunternehmen betreibt und den Transport von Konterbande organisiert.
Von seiner Tante wurde Tito in die Techniken des Santero eingewiesen, in
prekären Situationen kann er sich auf die Hilfe verschiedener Geister
verlassen. Religion ist ein anderes Mittel gegen die Angst, insbesondere,
wenn sie wie in Gibsons Romanen in ihrer rudimentären Form als magisches
Denken auftritt, das Medium der Selbstvergewisserung und Werkzeug der
Weltbeherrschung zugleich ist.
Die dritte Hauptfigur hat ihre Angst am wenigsten im Griff, Milgrim ist
medikamentenabhängig. Er befindet sich in der unangenehmen Lage, von einem
Agenten gekidnappt worden zu sein, der seine Dienste benötigt. Mit
täglichen Rationen von Benzodiazepinen der Marke Ativan, die bei
Unruhestörungen, insbesondere Panikattacken verschrieben werden, kettet der
Agent den kleinkriminellen Süchtigen an sich. Milgrim aber hält sich nicht
nur mit Drogen über Wasser, sondern auch an einem Taschenbuch fest, dessen
Titel wir nie erfahren.
Dabei handelt es sich aber mit ziemlicher Sicherheit um Norman Cohns
Klassiker "The Pursuit of the Millennium" von 1957. Cohn schweift darin
durch die Jahrhunderte, um die wiederkehrenden messianischen Bewegungen in
der abendländischen Geschichte zu beschreiben. Seitdem jüdische Propheten
zum ersten Mal das baldige Nahen der Endzeit und der rettenden Ankunft des
Messias verkündeten, griffen immer dann Erlösungsfantasien um sich, wenn
die Angst vor dem Morgen am größten war. Milgrim ist fasziniert und
abgestoßen von der Ketzerei der Brüder und Schwestern vom Freien Geiste,
die glaubten, dass die ganze Welt und zuallererst sie selbst vom Geist
Gottes erfüllt seien, was selbst Mord und Vergewaltigung rechtfertige.
Cohn zeigt in seinem Buch, wie die apokalyptischen Bewegungen des
Mittelalters von den messianischen Erwartungen der Mittellosen und
Randständigen befeuert wurden und in Kreuzzügen und Pogromen endeten, denen
die vermeintlichen Feinde des Gottesreichs zum Opfer fielen - seien es die
Juden von Worms oder die Muslime in Jerusalem. Einzig die Kirche, die von
den wandernden Volkspredigern damals wie von den Populärhistorikern heute
als Hort des Antichristen diffamiert wurde, konnte ein friedliches
Zusammenleben garantieren. Diese Perspektive scheint Gibson inspiriert zu
haben: Nichts ist tröstlicher als die Annahme, dass es selbst in den
undurchschaubarsten Institutionen, irgendwo da draußen, gute Menschen gibt,
die sich um die Ängstlichen sorgen, der narzisstischen Verschwörung den
Kampf ansagen und uns vor dem Wahn der Durchgedrehten schützen.
23 Oct 2007
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue DVD-Veröffentlichung: Die Kassettenrecorderterroristen
„Decoder“ von Muscha ist ein wunderbar schizoider Film aus dem Jahr 1984.
Wiederzusehen gibt es ihn auf DVD und in einigen Kinos.
Cyberpunk-Autor Willam Gibson: "Obama predigt Transzendenz"
William Gibsons Roman "Quellcode" handelt von der Angst. Der Erfinder des
Cyberspace über die Renaissance der Apokalypse, YouTube und die
US-Vorwahlen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.