# taz.de -- Sekt aus der Pfalz: Guerilla-Prickler | |
> Pfälzische Winzer produzieren großartige Sekte. Aber die sind gut | |
> getarnt: Auf dem Etikett steht "Crémant" oder "Cava". | |
Bild: Versteht sich auf deutschen Sekt: Volker Raumland in seinem Keller. | |
Da schmeckt man die Nähe zu Frankreich: Martin Winterling aus dem | |
pfälzischen Niederkirchen hat zum Sektmenü geladen. Ehefrau und Tochter | |
schleppen erst einmal riesige Schüsseln mit "Fin de Claire"-Austern herbei. | |
Zur Begleitung reicht der Winzer etwas Prickelndes, das mineralisch und | |
gleichzeitig frisch nach Limette schmeckt. "Riesling-Crémant" steht auf der | |
Flasche. Moment mal! Crémant aus der Pfalz? Doch, versichert Winterling, | |
seit einigen Jahren dürfe er auch hierzulande hergestellt werden. | |
Nach folgender Methode: Der Most muss aus ganzen Trauben gepresst werden, | |
nach der Weinreife im Fass folgt die traditionelle zweite Flaschengärung, | |
die mindestens neun Monate dauert. Der Restzuckergehalt des Crémant darf 15 | |
g/l nicht überschreiten "Es ist der Qualitätsgedanke, der uns daran | |
gefällt", sagt Winterling. "Wir sind ein Sekthaus und machen nicht mal eben | |
ein paar Flaschen Winzersekt nebenher." Eine Frage noch, Herr Winterling: | |
Warum schreiben Sie nicht einfach Sekt aufs Etikett? "Champagner und Cava | |
sind angesagt, deutscher Sekt führt leider immer noch ein Untergrunddasein. | |
Was wir machen, könnte man als Guerilla-Prickeln bezeichnen", antwortet der | |
Crémant-Macher. Seine Tarnung ist jedenfalls ziemlich perfekt. | |
Plagiat oder Provokation? Wer das großspurig geratene gold-orangefarbene | |
Etikett mit den Sternen und dem feinen Liniengitter sieht, denkt sofort an | |
verwitwete französische Damen. Aber statt des charakteristischen | |
Drahtkörbchens sichert eine eigenwillige Metallspange den Korken. In der | |
kleinen Sektkellerei "Andres & Mugler" im südpfälzischen Ruppertsberg | |
entstehen flaschenvergorene, handgerüttelte Sekte, die ihre stilistische | |
Nähe zu den Verwandten von der anderen Rheinseite nicht verleugnen. Und | |
doch ihre eigene Handschrift pflegen. | |
"Wir wollen das Potenzial unserer Weinberge mit ihren Böden und dem | |
Kleinklima herausarbeiten", versichert Michael Andres. Mit Steffen Mugler | |
hat er 1989 den Betrieb aufgebaut, der nur einheimische Riesling- und | |
Burgundersorten versektet. Für ihre charaktervollen Cuvées verschneiden sie | |
die hell gekelterten Champagner-Grundsorten Spätburgunder und | |
Schwarzriesling mit kleinen Mengen Auxerrois und Barrique-Chardonnay. In | |
Blindproben schlagen die Sekte von Andres & Mugler regelmäßig | |
Jahrgangschampagner, die um ein Vielfaches teurer sind. | |
Was bedeuten solche Vergleiche? Wohl vor allem, dass unter professionellen | |
Probierern die Champagner-Stilistik besonders gut ankommt. Über die | |
Vorlieben der Konsumenten sagen solche Tests herzlich wenig. Die | |
Verkaufszahlen dazu sind wenig prickelnd: 420 Millionen Flaschen Sekt | |
werden hierzulande jährlich geköpft, 366 Millionen davon aus deutscher | |
Produktion. 95 Prozent des deutschen Sektmarktes machen quasi industriell | |
gefertigte Produkte aus. Billige Weine aus den Mittelmeerländern werden | |
mittels Tankgärung in kürzester Zeit zu Sekt - natürlich alles streng im | |
Rahmen deutscher Weingesetze. Alles sprudelnd, schäumend, sauber gemacht. | |
Aber alles auch sehr einheitlich, auf Wiedererkennbarkeit getrimmt. So | |
geraten diese Produkte tendenziell eher fruchtbetont statt oxidativ. Und | |
fallen damit in den Champagner-Reihenverkostungen selbst Ungeübten sofort | |
als "Deutsche" auf. | |
Volker Raumland aus dem rheinhessischen Flörsheim-Dalsheim geht dagegen | |
öfters als "Franzose" durch. "Ich will und kann ja keinen Champagner | |
kopieren, aber oft ist doch sehr oft eine verblüffende ,Verwandtschaft' | |
festzustellen", sinniert der fünfzigjährige Weinbauingenieur. Woher die | |
Nähe kommt? Vor allen Dingen hat Raumland die Methoden der Champagne | |
penibel studiert und in seinem Betrieb mit deutscher Gründlichkeit auf die | |
Spitze getrieben: Seine ökologisch erzeugten Trauben liest er von Hand, | |
auch er schwört auf Ganztraubenpressung und biologischen Säureabbau. Auch | |
Cuvée-Zusammenstellung, Hefeauswahl, Lagerdauer und Temperatur auf der Hefe | |
ähneln den Methoden der Champagne. | |
Dass sich im Südwestzipfel der Republik die ausgezeichneten Sekthersteller | |
ballen, hat aber wohl auch historisch-kulturelle Ursachen. Die | |
Champagnerherstellung war von jeher ein deutsch-französisches Joint | |
Venture. Bis ins 19. Jahrhundert war die Edelbrause trüb, da sich die Hefe | |
der zweiten Gärung in der Flasche befand. 1806 erfand dann eine gewisse | |
Barbe-Nicole Cliquot-Ponsardin, besser bekannt unter dem Namen "Veuve | |
Cliquot", das Rütteln und Degorgieren - zusammen mit ihrem deutschstämmigen | |
Kellermeister Antoine Müller. Etwa zur gleichen Zeit kamen junge | |
Württemberger und Rheinländer in die Champagne, um Französisch zu lernen | |
und Geschäfte zu machen. | |
Auch Gunter Möllers Kunden scheuen keine weiten Wege: Zwanzig Jahre | |
Experiment und Erfahrung haben den Winzer aus dem pfälzischen Hainfeld zu | |
einer beinahe traumwandlerischen Sicherheit bei seiner Arbeit geführt. Zur | |
improvisierten Probe bittet er in sein kühles Flaschenlager, serviert | |
weiches Knäckebrot an wackligen Resopaltischen. Schnell wird klar: Alles | |
Prätentiöse liegt dem Mann fern. Möller besitzt keine eigenen Weinberge, | |
versektet zugekauften Sauvignon Blanc, Chardonnay und Spätburgunder | |
sortenrein und zart gepressten Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon und | |
Merlot zu einer würzigen Rosé-Cuvée. Zu einer groben Leber-Paté auf | |
Ciabatta füllt er einen herrlich buttrigen Chardonnay-Sekt in die Gläser, | |
der bereits deutliche Reifetöne zeigt. Kein Wunder: Es ist ein 1997er, der | |
achtzig (!) Monate Hefelager hinter sich hat. "Ein etwas fragwürdiges | |
Zeitmanagement", räumt Möller selbstironisch ein. Doch das Pokern hat sich | |
ausgezahlt: Ein veritabler Jahrgangs-Champagner. Möller bietet ihn für 15 | |
Euro an. Für Vergleichbares mit den klingenden Etiketten aus Eparnay und | |
Umgebung müsste man gut und gerne das Fünf- bis Zehnfache anlegen. | |
Will in dieser Gegend aber kaum einer. Möllers eigentliche Nachbarn kaufen | |
lieber eine halbe Autostunde südlich ein: Gleich hinter der französischen | |
Grenze lockt die Sektkellerei "Caves de Wissenbourg", mit 35 Millionen | |
Flaschen einer der weltgrößten Hersteller, mit größtenteils tankvergorenem | |
Schaumwein zu Kampfpreisen ab 1,90 Euro die Flasche. Und auch ins | |
pfälzische Schloss Wachenheim ist es nur ein Katzensprung. Wachenheim ist | |
die Nummer drei im deutschen Markt, schwemmt jährlich alleine 20 Millionen | |
Flaschen Faber-Sekt in die Supermarktregale. Von hier kommen auch die | |
vermutlich finalen Innovationen der deutschen Sektkultur: Mit "Light live" | |
- einem alkoholfreien Sekt-Mutanten "im Wellnesstrend" - ist Wachenheim mit | |
über vier Millionen Flaschen bereits unangefochtener Marktführer in | |
Deutschland. Und die Kleinen sollen mit einem in Sektflaschen abgefüllten, | |
quietschsüßen Fruchtsaftgetränk namens "Robby Bubble" auf den richtigen | |
Geschmack gebracht werden. Wie heißt es noch gleich in der Werbebroschüre? | |
"Erfolg kennt für uns keine Grenzen." Genau so ist es wohl. | |
25 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Clemens Hoffmann | |
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Winzer | |
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