# taz.de -- Jugendmesse und Jugendkultur: "Wer will schon jung und normal sein?" | |
> Die Jugendmesse YOU ist nur eine Präsentationsplattform für Marken, sagt | |
> der Jugendforscher Klaus Farin. Über Trends, die den Nachwuchs bewegen, | |
> erfahre man nichts | |
Bild: Anders sein auf der Jugendmesse: Haarstyling bei der YOU im Herbst 2006 | |
taz: Herr Farin, am Freitag beginnt mal wieder die Jugendmesse YOU. Ist als | |
für Sie als Jugendforscher ein Pflichttermin? | |
Klaus Farin: Nein, ich gehe da schon lange nicht mehr hin. Die Messe ist | |
nur als Präsentationsplattform für Marken interessant, aber die Standgebühr | |
kann sich unser Archiv nicht leisten. Inhaltlich finde ich dort nichts. Was | |
für mich interessant ist, spielt sich auf LAN-Partys, in Clubs, Wohnzimmern | |
oder auf Konzerten statt. Manchmal sogar vor Konzerthallen. | |
Das müssen Sie erklären. | |
Vor dem Auftritt der japanischen Band The Gazette lagerten neulich 20 bis | |
30 Jugendliche schon am Tag zuvor mit Schlafsäcken vor der Columbiahalle. | |
In der Kälte, obwohl sie bereits Eintrittskarten hatten. Auch nach dem | |
Konzert blieben sie. Warum tun die so was? Das ist doch kein normales | |
Konzertbesucherverhalten. Welche besondere Leidenschaft steckt dahinter? | |
Und? | |
Die Antwort war: Es ging um Kommunikation, darum, Gleichgestylte zu | |
treffen, um Austausch innerhalb einer relativ neuen Szene - Visual Keis. | |
Wie bitte? | |
Visual Kei ist die musikalische Schwester der Manga-Comic- und | |
Ottaku-Szene. Die Fans hören japanische Bands und kleiden sich wie eine | |
Mischung aus Gothics, Punks und Mangafiguren. Ein bisschen wie der Sänger | |
von Tokio Hotel, mit dem die Angehörigen der echten Szene natürlich nichts | |
zu tun haben wollen. Visual Kei ist eine kleine Indie-Szene, die noch nicht | |
im Mainstream angekommen ist. | |
Auf der YOU wird noch das 80er-Revival als Trend gefeiert. Geht dieser Hype | |
am Lebensgefühl der Jugendlichen vorbei? | |
Die Mode- und Musikindustrie braucht solche Hypes, Jugendliche finden | |
solche Medieninszenierungen spannend und spielen gerne mit. Aber mehr als | |
Musik und Mode kann man über die 80er kaum verkaufen, denn sie hatten kein | |
dominantes oder einheitliches Lebensgefühl. Dafür waren auch die | |
Jugendkulturen damals schon zu ausdifferenziert: Es gab Punks, Skins, | |
Gothics, New Waver, HipHop und schließlich Acid, House und Techno | |
die sich alle noch anhaltender Beliebtheit erfreuen. Hat die Jugendkultur | |
außer Hiphop nichts Neues hervorgebracht? | |
Der kommt eigentlich auch schon aus den 70ern. Die letzten eigenständigen | |
Entwicklungen waren Techno und der Innovationsschub rund um die | |
Computerentwicklung, woraus sich Szenen wie die der Rollenspieler bildeten. | |
Das meiste ist schon mal da gewesen und mischt sich lediglich neu: Vor zwei | |
Jahren tauchten plötzlich die Emos auf, die Emo-Hardcore hörten und auch | |
wie eine Mischung aus Punks und Gothics aussahen. | |
"Emo" und "Visual Keis" - das klingt ähnlich. Ist Szenezugehörigkeit | |
beliebig geworden? | |
Man muss sich heute weniger anstrengen, um einer Szene zuzugehören. Ein | |
Punk in den späten 70ern musste extra nach London fahren, um sich vom | |
Gesparten echte Doc Martens zu kaufen. Heute holen sich die Kids am Kudamm | |
die Schuhe von Papas Geld und kriegen selbst die obskursten Bands im Netz. | |
Aber die meinen das genauso ernst wie früher. Sie bleiben nur nicht mehr so | |
lange dabei. Zwischen 13 und 19 Jahren wird vier- bis sechsmal die Szene | |
gewechselt. | |
Also doch Beliebigkeit: Heute Punk, morgen Skin? | |
So stark sind die Gegensätze nicht mehr. Heute gibt es 70 bis 90 Szenen, | |
die nicht verfeindet sind, sondern häufig miteinander verwandt. | |
Was ist überhaupt eine Jugendszene - außer Klamotten und der dazugehörigen | |
Musik? | |
Es geht um die Suche nach Identität. Um Freundschaften und Abgrenzung vom | |
langweiligen Rest der Welt. Dabei gibt es immer einen Szene-Kern, bei dem | |
die eigene Kreativität im Mittelpunkt steht: selbst Musik machen, Partys | |
und andere Events organisieren. Das sind 20 bis 25 Prozent aller | |
Jugendlichen. Die übrige Mehrheit besteht aus Mitläufern: konsumieren ja, | |
identifizieren nein. Auch wenn die Zugehörigkeit nur gekauft ist: Sie ist | |
wichtig. Denn wer will schon jung und normal sein? Couchpotato ist keine | |
Jugendkultur. | |
25 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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