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# taz.de -- Cory Doctorows kostenloser Internet-Roman: "Ich bin doch kein Info-…
> Der Roman "Backup" von Cory Doctorow erscheint als Buch - und kostenloser
> Download. Verdient er überhaupt noch Geld? Ein Gespräch über eine
> Zukunft, die von der Gegenwart eingeholt wurde
Bild: "Sie können mich als Kulturbanausen beschimpfen, aber ich bin verrückt …
taz: Herr Doctorow, Sie veröffentlichen Ihre Romane und Kurzgeschichten
parallel zu den Printausgaben kostenlos im Internet. Welche Art der Lektüre
bevorzugen Sie - digital oder handfest?
Cory Doctorow: Alle meine Geräte können zwar Textdateien laden - von meinem
Handy bis zum Videoplayer in Kreditkartengröße, den ich mir neulich in
China für 12 Euro gekauft habe. Und auf meiner Festplatte liegen tausende
von interessanten Titeln, in die ich auch mal reinschaue, wenn ich auf
einem Flughafen festsitze. Aber hauptsächlich trage ich die Bücher, die ich
lese, in ihrer Printform mit mir herum. Auf dem Bildschirm lenkt vieles vom
Lesen ab.
Ist das gedruckte Buch im Informationszeitalter wie die CD vom Aussterben
bedroht?
Der freie Austausch von Daten schadet der Literatur weniger als der Musik.
Ein Download ist ein sehr guter Ersatz für eine CD und eignet sich besser
dafür, Musik zu verwalten und abzuspielen. Ein eBook ersetzt nur schlecht
die Printversion, ist aber ein exzellentes Werbemittel.
Sie verwendeten erstmals die Creative-Commons-Lizenz für einen Roman. Ihre
Werke können kostenlos im Internet heruntergeladen, weitervertrieben und in
bestimmten Fällen weiterverarbeitet werden. Hat sich das bezahlt gemacht?
Alle Indikatoren deuten darauf, dass man mehr Bücher mit einer
Creative-Commons-Lizenz verkauft als ohne. Mein Debütroman wurde über
750.000-mal von meiner Website heruntergeladen. Es gibt etliche
Übersetzungen und Visualisierungen von Fans. Derweil ist die
englischsprachige Printausgabe in der siebten Auflage angekommen. Ich kann
mich vor Aufträgen kaum retten, und die ganze Kampagne hat mich 0 Cent
gekostet.
Um dies zu belegen, bräuchte man aber eine Zeitmaschine.
Gut, letztlich ist es eine Glaubensfrage. Aber es gibt Erwartungen seitens
des Verlags, die ich mithilfe der CC-Lizenz übertroffen habe. Alle, die je
unter einer solchen Lizenz veröffentlicht haben, tun es wieder. In den USA
und Kanada neigt sich die Ära des Massenmarkts für Taschenbücher dem Ende
zu. Bücher verkaufen sich nicht wie Thunfischdosen. Heutzutage zielen sie
auf sehr spezifische Gruppen von Lesern ab. Und das Internet eignet sich
dafür, diese präzise zu erschließen. Ich kann verfolgen, welche Wege meine
Werke in einem selbst organisierten Netzwerk zurücklegen, wo man die
Quellen kennt und vieles auf persönlichen Empfehlungen basiert.
Nun ist auch die deutsche Übersetzung ihres Debütromans unter dem Titel
"Backup" mit einer CC-Lizenz erschienen. War es schwierig, den Verlag davon
zu überzeugen?
Offen gestanden, überhaupt nicht. Eigentlich hatte ich nicht mehr damit
gerechnet, denn auf eine erste Anfrage reagierten sie nur lauwarm. Und dann
kam aus dem Blauen heraus eine E-Mail vom Verlag, in der sie mich fragten,
ob ich etwas dagegen hätte, wenn sie das Buch kostenlos ins Internet
stellen würden! Auch für eine Comic-Reihe, die auf meinen Kurzgeschichten
basiert, hat der entsprechende Verlag ohne Probleme einer CC-Lizenz
zugestimmt.
Da fallen Ihre libertären Ansichten mit Verlagsinteressen zusammen. Sie
machen aber auch nicht gerade den Eindruck, als ginge es Ihnen um die
uneingeschränkte Befreiung des geistigen Eigentums.
Ich bin doch kein Info-Hippie. Zunächst verteile ich meine Geschichten
kostenlos im Netz, weil ich so viele Bücher wie möglich verkaufen und
steinreich werden will. Aber es gibt noch andere Gründe. Künstlerisch sehe
ich das Kopieren als integrale Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts an. Nie
war es jedoch so schwierig, etwas zu kopieren. Durch den DRM-Kopierschutz
werden innovative Impulse verhindert.
Zumindest in der Musikindustrie bahnt sich gerade ein Umdenken an: Hier
sind Digital-Rights-Management-Systeme auf dem Rückzug.
Es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Die Musikindustrie ist
so verzweifelt, dass ihr nichts anderes mehr übrig bleibt. Der Aktienmarkt
hat endlich erkannt, dass es eine furchtbare Art des Geschäftemachens ist,
Fans zu kriminalisieren und Sachen zu verkaufen, die niemand haben will.
Gleichzeitig rüstet gerade die Fernsehindustrie auf. Besonders europäische
Sender versuchen, eine Form von DRM mit weitreichenden Kontrollfunktionen
zu etablieren. Die Zugangsbeschränkungen sollen so weit gehen, dass die
Sender bestimmen, wer ein legitimes Mitglied einer Familie ist und
mitgucken darf.
Welche Folgen hat ein restriktives Urheberrecht für die Gesellschaft?
Ich denke, es ist schlecht für eine Gesellschaft, wenn ihre Mitglieder
dafür kriminalisiert werden, dass sie Kultur lieben und miteinander teilen.
Das Problem ist nicht, dass wir alle dafür ins Gefängnis wandern. Die
Gefahr liegt darin, dass die Autoritäten nun für alles, was ihnen nicht
passt, eine Entschuldigung haben, Menschen zu belangen. Eine Demokratie
bricht zusammen, wenn erst mal jeder schuldig ist. Deswegen macht es für
mich kommerziell, künstlerisch und ethisch Sinn, meine Bücher frei im
Internet zu verteilen. Was für eine wunderbare Welt ist das, wo du mit der
Sache am meisten Geld verdienst, die dich auch die beste Kunst erschaffen
lässt und dazu noch gut für dein Gewissen ist?
Vielleicht so eine Art "Bitchun Society", die Sie in Ihrem Roman
beschreiben: frei von Mangel, Tod und Krankheit. In der wir unser
Bewusstsein abspeichern und jederzeit in neue Körper herunterladen können.
Bewusst und unbewusst habe ich beim Schreiben Motive aus dem Internet in
den Roman übertragen. Science-Fiction handelt ja nicht von der Zukunft,
sondern erhellt die Gegenwart. In der "Bitchun Society" kann man sehen, was
passiert, wenn etwas an Wert zunimmt, je mehr man es gebraucht, statt an
Wert zu verlieren, wie es in der klassischen Ökonomie der Fall ist. Das
trifft auf Online-Daten zu: Mit jeder Kopie auf Napster existiert eine
zusätzliche im Netzwerk. Das Internet hat die traditionellen Mechanismen
und Probleme von Knappheit verändert. Und es hat alte Autoritätsstrukturen
aufgebrochen, indem es neu formiert, auf wen wir hören sollen und wem wir
unsere Aufmerksamkeit schenken, wem wir unser Geld geben.
Den erzählerischen Rahmen von "Backup" bildet der Kampf um Disney World.
Der Freizeitpark erscheint dabei als Bastion der freien Fantasie. Meinen
Sie das ernst?
Sie können mich als Kulturbanausen beschimpfen, aber ich bin verrückt nach
Disney World! Ich verabscheue, was der Disney-Konzern sonst treibt. Den
Park jedoch halte ich für große Kunst. Hier werden kulturelle Werte
vermittelt, indem Menschen in eine gigantische simulierte Umwelt aus
Achterbahnfahrten und Themenparks ausgesetzt werden. Wie cool ist das denn?
Disney ist darauf spezialisiert, kulturelle und ästhetische Botschaften
durch physische Erfahrungen zu propagieren. Außerdem gibt es dort die beste
Roboterkunst, die ich je gesehen habe.
In Ihrer Kurzgeschichte "Scroogled" wird Google zur allgegenwärtigen
Kontrollmacht, das erscheint gar nicht mal so weit weg. Und nach William
Gibson, dem Erfinder des Cyberspace, hat sich die virtuelle Realität
mittlerweile nach außen gestülpt: Ständig sind wir mit elektronischen
Medien verbunden. Was bleibt der Science-Fiction, wenn die Gegenwart die
Zukunft eingeholt hat?
Dass die Zukunft schon hier ist, hilft der Science-Fiction, denn sie
handelt ja davon, wie die Gesellschaft sich zu neuen Technologien verhält.
Das passiert alles so schnell, dass es die meisten nicht wahrnehmen können.
Darum war es ein genialer Schachzug von William Gibson, seinen jüngsten
Roman von Ereignissen im letzten Jahr handeln zu lassen. Er hat uns
gezeigt, wie futuristisch 2006 war.
Dagegen könnte man fast wehmütig werden, wenn man an die Zukunft aus
Mondkolonien und Unterwasserstädte denkt, die nie eingetreten ist.
Ich plane gerade ein Magazin mit dem Titel "Instant Nostalgia". Es gibt
doch diese Hefte für Hobbyhistoriker, die am Bürgerkrieg oder Cowboys und
Indianern interessiert sind. So etwas möchte ich machen. Nur beschäftigt
sich das Magazin mit den News von vor drei Monaten, aufbereitet mit
grobkörnigen Bildern: Weißt du noch damals, der Tsunami?
INTERVIEW: UH-YOUNG KIM
28 Oct 2007
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Schwerpunkt Urheberrecht
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