# taz.de -- Die Ärzte gänzlich unbescheiden: "Wir sind ein Kulturgut" | |
> Einst waren die Ärzte die meistindizierte Band der Republik, heute führen | |
> sie die Charts an. Ein eher fäkalhumoriges Gespräch über Jazz, | |
> Götterstatus und Pro-Gewalt-Songs | |
Bild: Belafarinrod. | |
taz: Ist "Jazz ist anders" ein Konzeptalbum? | |
Bela: Nein. | |
Warum nicht mal ein Konzeptalbum? Oder ein Jazzalbum? | |
Farin: Weil wir beides schon gemacht haben. | |
Ach ja? | |
Farin: Unser Konzeptalbum hieß "Le Frisur" und war konsequent. Andere | |
Konzeptalben haben immer sehr weit gefasste Themen wie "Der Hunger in der | |
Welt" oder "Die Frauen". Wir haben ein ganzes Album nur über Haare gemacht. | |
Und Jazzstücke gibt es auch schon von uns, aber nicht auf diesem Album. | |
Deswegen war es mal wieder Zeit, dem Jazz seine Grenzen zu zeigen. | |
Also kein Jazz. Aber was dann? | |
Bela: Schwierig. Es ist ja eben kein Konzeptalbum, also können wir es nicht | |
auf einen Nenner bringen. Wir haben halt Songs geschrieben. Für uns. Denn | |
wir drei sind die einzige Qualitätskontrolle. | |
Farin: Wir sind unsere eigene Geschmackspolizei. | |
Bela: Wenn ich einen lustigen Song schreibe, dann will ich die anderen | |
beiden zum Lachen bringen. Wenn ich einen ernsten Song schreibe - | |
Farin: - dann willst du, dass wir heulen. | |
Bela: Genau. Und wenn ich einen Selbstmordsong schreibe, dann will ich, | |
dass gefälligst auch Blut fließt im Badezimmer. So ist das bei mir | |
jedenfalls. Bei Rod ist das natürlich anders, der schreibt Songs für | |
Opernhäuser. | |
Rod: In der Regel. Oder Musicals. | |
Farin: Jedes Album - außer "Le Frisur" natürlich - ist ein Sammelsurium aus | |
aktuellen Ideen. Und weil wir wie die meisten Menschen sind, gibt es sowohl | |
fröhliche als auch traurige Stücke, alberne und ernste, politische und | |
extrem oberflächliche. | |
Bela: Und eigentlich auch immer Reminiszenzen an den Jazz, aber das ist | |
diesmal anders. | |
Farin: Aber "Reminiszenzen sind anders" wäre ein doofer Titel gewesen, der | |
perlt nicht so von der Zunge. | |
"Nur einen Kuss" klingt nach Lee Hazlewood, "Deine Freundin" wie James | |
Brown. Wird jetzt mit dem Tod bestraft, wer von euch musikalisch verarscht | |
wird? [lautes Gelächter] | |
Farin: "Nur ein Kuss" ist vor allem sehr Sixties. Solche Melodien schreibt | |
man heute eigentlich nicht mehr. Als mir die Melodie einfiel, dachte ich | |
zuerst, dass es vielleicht ein real existierendes Stück ist, das ich | |
irgendwo mal gehört hatte. Diese pathetische Melodie brauchte einen | |
pathetischen Text. So kam das. Und wir haben das dann ohne Streicher | |
aufgenommen, aber so gut wir konnten, mit unseren beschränkten Mitteln. Und | |
wenn sich das so eindeutig nach Lee Hazlewood anhört, dann stehen wir da | |
auch nicht drüber und hören uns auch mal alte Platten an, um zu sehen, wie | |
die damals mit Hallräumen gearbeitet haben. | |
Bela: Wir orientieren uns gerne an Vorbildern, an großen zumindest. Zitate | |
oder Verbeugungen kann man durchaus zulassen. | |
Zitiert ihr bewusster als früher? | |
Bela: Nein, das war schon immer so. Spätestens seit unserem allerersten | |
Album "Debil". Schon als wir angefangen haben, haben wir immer versucht, | |
neu entdeckte Musikstile mit unseren bescheidenen Mitteln nachzuempfinden. | |
Farin: Also nicht nachspielen, sondern nachempfinden. Das ist der wichtige | |
Unterschied. | |
Hat Euch der Tod von Hazlewood mitgenommen? | |
Bela: Natürlich. Der hat mich früher schon sehr beeinflusst. Deshalb war | |
ich sehr froh, dass ich ihn letztes Jahr kennenlernen und einen Song mit | |
ihm zusammen aufnehmen durfte. Ich war auch eingeladen auf seine letzte | |
Geburtstagparty, hab das aber verschoben aus Zeitgründen. Und wollte dann | |
einen Monat später hinfliegen, aber da war er schon tot. | |
Farin: Die Verbindung, die ich habe, ist nicht so persönlich wie die von | |
Bela. Aber "Velvet Morning" hat mich umgehauen, tuts heute noch. So ein | |
fantastisches Lied. | |
Ist das der perfekte Popsong? | |
Farin: Das wäre auf jeden Fall einer der Kandidaten. Aber der perfekte | |
Popsong ist nicht der Heilige Gral, von dem es nur einen gibt. | |
Ihr seid auch eher berühmt geworden für indizierte Songs. Von wann ist | |
letzte Indizierung? | |
Farin: 1986. | |
Schon lange her. Ihr wart mal stolz, die am häufigsten indizierte Band | |
Deutschlands zu sein. | |
Bela: Irgendwann schon. Nach dem ganzen Stress, den wir in den ersten | |
Jahren hatten, haben wir das Märtyrer-Image später durchaus benutzt und in | |
der Öffentlichkeit breitgetreten. Aber wir haben Indizierungen nie | |
absichtlich provoziert, das ist uns passiert. Es gab andere Bands, die | |
haben ganz bewusst Songs geschrieben, um indiziert zu werden und das zu | |
instrumentalisieren. Und wenn du heutzutage in der Hiphop-Szene was auf | |
dich hältst, musst du auf dem Index landen. Das ist doch eine eher | |
langweilige Angelegenheit. | |
Ist Euer Humor mainstreamtauglich geworden? | |
Bela: Wir haben uns nicht dem Mainstream angenähert. Aber wir sind | |
Kulturgut geworden, weil, weil, | |
Farin: Ja, jetzt sieh mal zu, wie du da wieder rauskommst. | |
Bela: Weil wir so erfolgreich sind, hören uns auch viele Leute, die nicht | |
so gerne Experimente machen. | |
Farin: Wir hatten die indexrelevanten Themen einfach abgehakt. Ich will ja | |
nicht jedes Jahr über eine neue Sexualpraktik singen. Was ich privat | |
praktiziere, das ist eine andere Frage. | |
Bela: Jedes Jahr eine neue. | |
Farin: Das geht. Außerdem: Gewalt und Rechtsradikalität fand ich persönlich | |
noch nie so attraktiv, also hatten wir das Thema einfach durch. | |
Bela: Und selbst wenn wir was machen wie den "Schinder-Song", der | |
eigentlich ein Pro-Gewalt-Song ist, dann heißt es: Das sind doch Die Ärzte, | |
kommen die wieder mit so einer Schote um die Ecke, alles klar, hahaha. | |
Gefällt es euch nicht mehr, die lustige Band zu sein? | |
Farin: Wir sind ja auch nicht nur lustig. Das ist nur bei den Kritikern so, | |
deren Job es zu sein scheint, uns zu verorten. Es gibt ja auch ganz viele | |
Beweise für die Einordnung als lustige Band. Da kann man die anderen Sachen | |
alle weglassen: politische Band, aufrührerische Band, charmante Band, | |
elegante Band. Lustige Band ist einfacher, denn damit muss man sich nicht | |
inhaltlich auseinandersetzen, ist ja alles nur Spaß. | |
Ist dank 25 Jahre Ärzte heute mehr Humor im deutschen Pop möglich? | |
Farin: Wir haben tatsächlich mal viele Komplimente aus der Hiphop-Ecke | |
bekommen für unseren Umgang mit Sprache. Nicht für die Themen und natürlich | |
erst recht nicht für die Musik. | |
Bela: Ferris MC hat gesagt, wir hätten ihn sozialisiert. | |
Der hat inzwischen mit dem Musikmachen aufgehört. | |
Bela: Ja, der hat aufgehört. | |
Es scheint eh ziemlich schwer, euch zu kopieren. | |
Rod: Jemand wie Jochen Distelmeyer von Blumfeld ist mit einem Song wie "Der | |
Apfelmann" den Ärzten wahrscheinlich näher als irgendwelche | |
offensichtlichen Epigonen. | |
Ausgerechnet Distelmeyer. | |
Bela: Der mag uns nicht besonders, aber das beruht auf Gegenseitigkeit. | |
Rod: Aber irgendwie hat da was abgefärbt. [Gelächter] | |
Bela: Stimmt, "Der Apfelmann" wäre schon ein Stück, das wir gern | |
geschrieben hätten. | |
Gilt also weiter, was Bela vor bald zehn Jahren gesagt hat: "Die | |
Infantilität schützt davor, zu ernst genommen zu werden."? | |
Bela: Der ironische Umgang mit uns selbst, mit dem - um es mal bescheiden | |
zu sagen - göttergleichen Status, den wir innehaben, der ist natürlich | |
gewollt. | |
Wie lebt es sich so als Gott? | |
Farin: Wir können machen, was wir wollen, und haben auch noch großen Erfolg | |
damit. | |
Bela: Wir könnten auf der Bühne einen riesigen Haufen machen und würden | |
auch noch Applaus dafür kriegen. Das wäre eine Möglichkeit, aber würden wir | |
das allzu häufig machen, dann wäre es ziemlich schnell vorbei. | |
Farin: Früher waren die Haufen auch größer. | |
Was sagt es uns über Deutschland, dass ausgerechnet die Ärzte hier so | |
erfolgreich sind? | |
Farin: Das ist ein bisschen wie bei Ephraim Kishon, der auch ausgerechnet | |
in Deutschland seine größten Erfolge feierte, weil alle ein schlechtes | |
Gewissen hatten wegen dem Dritten Reich. Und offensichtlich hatten die | |
Deutschen auch Punk gegenüber ein schlechtes Gewissen. | |
Bela: Weil sie die ganzen Fun-Punker in Umerziehungslager gesteckt haben, | |
wollen sie das an uns wieder gut machen. Aber vielleicht sind wir auch nur | |
drei Typen, die wie viele Deutsche gern mit ihrer Kacke spielen. Aber sich | |
im Gegensatz zu den meisten anderen auch trauen, das öffentlich zu sagen. | |
Farin: Ich spiel doch gar nicht gern mit deiner Kacke. | |
INTERVIEW: THOMAS WINKLER | |
8 Nov 2007 | |
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Pop | |
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